Buchbesprechung

Militarismus in Deutschland. Geschichte einer kriegerischen Kultur

von Andreas Buro

Der bekannte Historiker und spätere Präsident der Deutschen Friedensgesellschaft, Ludwig Quidde, berichtete 1893: Der Präsident des Reichstages, der konservative Abgeordnete Albert von Levetzow, sei zur Grundsteinlegung eines neuen Reichstagsgebäudes in der Uniform eines Landwehrmajors erschienen. Nach der damaligen Auffassung rangierte dieser höher als der Präsident der parlamentarischen Versammlung. Die deutsche Gesellschaft des 19. Jahrhunderts war von oben bis unten vom Geist des Militarismus durchdrungen.

Wolfram Wette erzählt und analysiert diesen spannenden und aufregenden sozialen Prozess als ein Produkt des Kampfes der feudalen  Klasse zur Sicherung ihres dominierenden Einflusses. Diesen hatte sie vor allem durch ihre militärische Stellung in Preußen und später im deutschen Kaiserreich inne. Er war aber durch die Entfaltung der bürgerlichen Gesellschaft und der damit verbundenen Industrialisierung bedroht. Der feudal-militaristischen Elite gelang es jedoch, das wohlhabende Bürgertum über die Institutionen des „Einjährigen“ und des „Reserveoffiziers“ zu integrieren. Dabei spielte das nationale Prestige des Militärs durch den Sieg über Frankreich und die Kaiserkrönung in Versailles eine große Rolle.

Es gelang auch, die ländliche Bevölkerung und sogar die Arbeiter in der sich entwickelnden Industrie in die militaristische Orientierung einzubinden. Das Mittel dazu war die allgemeine dreijährige Wehrpflicht, die aus Sicht der Sozialisten einen antimilitaristischen Effekt haben sollte. Das Gegenteil war der Fall. Der autoritäre, nationalistische Drill zeigte seine Wirkung, so dass auch in diesen großen Teil der Gesellschaft die militaristischen Orientierungen und Wertvorstellungen eindringen und 1914-1918 ihre furchtbaren Wirkungen entfalten konnten. Krieg wurde als ein Element der von Gott gewollten Ordnung dargestellt, die nicht steuerbar, und daher Krieg letztlich auch unvermeidbar war.

Ausführlich behandelt Wette die Rolle der Frauen, die sich ganz überwiegend in den Dienst der ‚nationalen Sache‘ stellten. Pazifismus im heutigen Sinne spielte in dieser Gesellschaft keine nennenswerte Rolle, denn auch die antimilitaristischen Diskussionen innerhalb der Arbeiterbewegung zielten nicht auf eine gewaltfreie Lösung von Konflikten.

Wenig bekannt ist, wie rigoros und erfolgreich die militärische Elite darauf setzte, auch die politische Macht an sich zu reißen. Moltke d. Ä. hatte schon 1870/71 gefordert, das Militär müsse im Kriege völlig unabhängig von der Politik agieren können. Die Militärführung baute parallele Strukturen zur staatlichen Administration auf. Dies ermöglichte ihr, während des Ersten Weltkrieges die Macht der kaiserlichen Regierung zu unterlaufen. Trotzdem liegt ein Hauch von Endkampf-Untergangsstimmung über der Militärelite, wie auch gegen Ende des Zweiten Weltkrieges.

Trotz der katastrophalen Niederlage von 1918 gelang es der Militärelite in der Weimarer Republik, ihre grundsätzliche Orientierung wiederum durchzusetzen und später in ein Bündnis mit der nationalsozialistischen Bewegung einzubringen. Wette beschreibt dies im Detail.

Erstaunlich ist, dass sie sich auch nach der Niederlage 1945 im Rahmen der Remilitarisierung der BRD eine dominante Rolle sichern konnte. 1957 stammten sämtliche 44 Generäle und Admiräle aus der Wehrmacht, überwiegend aus dem Generalstab des Heeres. „Immer wieder unternahmen sie es, die militaristischen Traditionen durch die Beschwörung angeblich zeitloser soldatischer Tugenden in die Gegenwart hinüberzuretten und in die Bundeswehr zu integrieren.“ (S. 223)

Das Ende des West-Ost-Konfliktes markiert gleichzeitig die Neuorientierung der Bundeswehr auf weltweite Kriegsführung als „Armee im Einsatz“. Hatte der damalige Bundespräsident Gustav Heinemann noch den Frieden zum Ernstfall erklärt, so wird nun versucht, wieder den Krieg zum Ernstfall zu erheben, so der Brigadegeneral Graf von Kielmansegg: „Auf die Kriegstüchtigkeit der Bundeswehr ist alles auszurichten, Ausbildung, Ausrüstung und Struktur. Ethos, Erziehung, Sinnvermittlung und Motivation müssen sie mit einschließen ...“  (S. 229).

Gegenläufig zu dieser Tendenz, die von den Bundesregierungen mit getragen wird, hat die deutsche Bevölkerung soziale Lernprozesse in Richtung Frieden durchlaufen. Wette: „Im Gefolge dieser Entwicklung vergrößert sich die Distanz zwischen Militär und deutscher Gesellschaft“ (S. 233). Nicht zuletzt kann sich die deutsche Friedensbewegung diese Distanz als Erfolg ihrer langen schwierigen Arbeit zu gute halten. Sie weiter zu vergrößern, ist ihre wichtige Aufgabe, das Buch von Wolfram Wette dafür eine hervorragende Hilfe.

Wette, Wolfram: Militarismus in Deutschland. Geschichte einer kriegerischen Kultur, Darmstadt 2008, Primus-Verlag, 309 S. ISBN 978-3-89678-641-8

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