Lateinamerika und Karibik im Fokus

Militarismus und Frieden in Lateinamerika und der Karibik

von Raina Zimmering
Krisen und Kriege
Krisen und Kriege

Die Konferenz „Militarismus und Frieden in Lateinamerika und der Karibik“ vom 23. und 24.10.2021 im Gewerkschaftshaus in Frankfurt a.M. wurde vom Netzwerk Kuba in Deutschland, der Friedens- und Zukunftswerkstatt Frankfurt und dem International Peace Bureau zusammen mit einer Reihe weiterer Organisationen organisiert.

In Lateinamerika und der Karibik setzen sich die weltweite Militarisierung, Aufrüstung, lokale Kriege und die damit verbundene Umweltzerstörung besonders krass in Armut, ausufernde Gewalt, dem Anstieg des organisierten Verbrechens, failed states, illegalem Waffenhandel und einer zunehmenden Militarisierung nach innen, aber auch nach außen, um. Die westlichen Staaten, insbesondere die USA, versuchen, in dem Kalten Krieg mit China und Russland den lateinamerikanischen Kontinent verstärkt in ihre Sicherheits- und Konfrontationsstrategie einzubeziehen. Ausdruck dessen ist die Erweiterung der Militärbasen, gemeinsame Militärmanöver, Stellvertreteraktionen gegen Venezuela, Nicaragua und Kuba, Wettrüsten und Rüstungsexporte und die Einbeziehung Kolumbiens und Brasiliens in die NATO-Partnerschaften. So wird die Region zunehmend zu einem Teil der weltweiten Militarisierung und des Militarismus.

Auf der anderen Seite gehen aus der Region bahnbrechende und beispielhafte Initiativen zur Sicherung des Friedens in Lateinamerika und der ganzen Welt hervor. Zu nennen sind dabei der Vertrag über eine Kernwaffenfreie Zone von Tlateloco/Mexiko, der das Testen, Stationieren, den Besitz sowie die Herstellung von Kernwaffen in Lateinamerika und der Karibik verbietet, die Proklamation einer „Zone des Friedens“ durch die Gemeinschaft lateinamerikanischer und karibischer Staaten (CELAC) und die Beteiligung lateinamerikanischer Staaten an Friedensmissionen der UNO. Außerdem zielen die sich auf dem ganzen Kontinent ausweitenden großen emanzipatorischen und Protestbewegungen auf ein gesellschaftliches Modell, das eine friedliche, umweltverträgliche, gendergerechte und sozial gerechte Organisation anstrebt. Dabei wird der Zusammenhang zwischen Frieden und Gerechtigkeit und zwischen Antikapitalismus und Frieden besonders deutlich. Nachdem schon das Ende der progressiven Regierungen in einer Reihe lateinamerikanischer Staaten nach der Rückkehr zu neoliberalen und neokonservativen Regierungen eingeläutet schien, findet nun eine Renaissance der progressiven linken Entwicklung statt, die besonders auch mit Regierungen wie der unter Luis Arce in Bolivien, von Pedro Castillo in Peru, von Alberto Fernández in Argentinien und Carlos Alvarado in Costa Rica an Kraft gewinnt und Frieden fördernde Potentiale frei setzt. Auch die Proteste gegen die ultrakonservative Regierung von Jair Bolsonaro in Brasilien, die Entlassung des ehemaligen linken Präsidenten Luiz Ignacio Lula da Silva aus dem Gefängnis und seine Teilnahme am Wahlkampf, der nationale Aufstand in Kolumbien und der von Linken dominierte verfassungsgebende Prozess in Chile lassen auf eine erneute progressive Wende in Lateinamerika, dem Anwachsen der den Frieden stabilisierenden Kräfte und die Zurückdrängung des Militarismus auf dem Kontinent hoffen.

Die Konferenz
Diese dialektische Entwicklung in Lateinamerika und der Karibik machte auch den Grundtenor der Konferenz aus. So widmete sich der erste Teil der Konferenz überwiegend den Charakteristika und Kontexten der Militarisierung des Kontinents, wobei sich der zweite Teil mit den Chancen der Frieden fördernden Alternativen beschäftigte.

In der Eröffnungsrede des renommierten Sozialwissenschaftlers, Journalisten und Aktivisten Leo Gabriel kamen die historischen Entwicklungen und Besonderheiten wie Kolonialismus, Befreiungskriege, neokoloniale Abhängigkeiten, der Einfluss der USA und der Widerstand dagegen zum Tragen und machten die heutige Militarisierung als auch Friedensinitiativen verständlich.

Der kubanische Rechtswissenschaftler Santiago Espinosa Bejerano vom Zentrum für Internationale Politikforschung berichtete über den Kampf der lateinamerikanischen Staaten gegen die hegemonialen und aggressiven Pläne der USA auf dem Kontinent. Er nahm gegen die völkerrechtswidrige Besetzung der Guantánamo-Bucht und die Wirtschaftsblockade der USA gegenüber Kuba und das dadurch entstandene Leid der kubanischen Bevölkerung Stellung.

In meinem Beitrag zeigte ich am Beispiel Mexikos die gesellschaftlichen Bedingungen, Motivationen und Widersprüche auf, die zu einer Militarisierung nach innen führen. Die neoliberale Entwicklung, die Zuweisung der Rolle Mexikos als Migrations- und Drogenpolizei der USA und die damit zusammenhängende intrinsische Verbindung zwischen Staat, Wirtschaft, Militär und dem organisierten Verbrechen sind eine Ursache für die wachsende Militarisierung. Diesem Phänomen versucht der gegenwärtige Präsident Lopez Obrador durch einen militärisch-zivilen Pakt zu begegnen, ohne zu beachten, dass damit die systemischen Ursachen der Gewalt nicht beseitigt werden können. Drogenhandel und das Morden steigen weiter an. Hinzu kommt, dass alternative soziale Räume und indigene Selbstverwaltungsprojekte im Rahmen der Militarisierung einer besonderen Bedrohung ausgesetzt sind. Deutsche Waffenexporteure wie Heckler&Koch verstärken die Konflikte und die Militarisierung in Mexiko und sind somit für das Leid der Bevölkerung ebenfalls verantwortlich.

Besonders aufschlussreich war der per Zoom zugeschaltete Beitrag der ehemaligen Bundestagsabgeordneten der „Linken“ Heike Hänsel, die darstellte, wie sich ihre Partei und die Linksfraktion im Europäischen Parlament mit dem Kampf gegen die Hegemonie der USA, der EU und der NATO in Lateinamerika und der Karibik auseinandersetzen.

Am Nachmittag wurden die im Plenum angesprochenen Themen in verschiedenen Arbeitsgruppen diskutiert und durch vertiefende Themen erweitert.

Am Abend war der Vortrag von Monica Valente, der Generalsekretärin des Sao Paulo Forums, die per Zoom zugeschaltet wurde und über die Militarisierung in Lateinamerika, die gegenwärtige politische Entwicklung auf dem Kontinent und die stattfindenden Kämpfe sprach, ein echter Höhepunkt der Konferenz.

Der Sonntag stand unter dem Thema der Handlungsorientierungen und Handlungsoptionen „Frieden und Befreiungen“. Julieta Daza sprach über das 2016 geschlossene Friedensabkommen zwischen der Guerilla FARC-EP und der Regierung in Kolumbien und dessen Rückschläge, veranlasst durch die weiter anwachsende soziale Ungleichheit im Land und die rechte kolumbianische Regierung, wobei sie auf den Zusammenhang zwischen Frieden und sozialer Gerechtigkeit verwies. Außerdem schlug sie den Bogen zur gegenwärtigen Protestwelle im Land und der allgemeinen Hoffnung, dass sich daraus eine Chance zur Verwirklichung des Friedens und der Errichtung einer neuen Gesellschaft in Kolumbien ergibt.

Der Generalkonsul Venezuelas Jimmy Chediak sprach über die vielfältigen Kriege der westlichen Staaten gegenüber seinem Land und die lebensnotwendige Wichtigkeit der weltweiten  Solidaritätsbewegung für das venezolanische Volk.

Die Bedeutung der internationalen Solidarität skizzierte auch die chilenische Ärztin Dr. Ruth Kries in ihrem Beitrag, in dem sie aus eigener Erfahrung über das Schicksal der von der Pinochet-Diktatur verfolgten Chileninnen und ihrer Unterstützung durch die internationale und deutsche Solidaritätsbewegung eindrucksvoll berichtete.

Der Abschlussbeitrag von Reiner Braun vom International Peace Bureau bot den Teilnehmer*innen eine gute Zusammenfassung und Analyse des Themas der Militarisierung und Frieden in Lateinamerika. Dabei nahm er besonders die Rolle der EU und der deutschen Regierung in den Blick und kritisierte vehement die Zusammenarbeit der NATO mit Kolumbien und Brasilien, bei der Deutschland eine besondere Rolle einnimmt. Er richtete einen eindringlichen Appell an die führenden Politiker*innen, alles zu tun, um den Frieden in Lateinamerika zu fördern und sich von Regierungen wie der von Bolsonaro eindeutig zu distanzieren.

Nach den Plenumsvorträgen wurde in zwei parallelen Arbeitsgruppen über konkrete Aktionen und Handlungsoptionen der Friedensbewegung diskutiert, um die Militarisierung in Lateinamerika zurückzudrängen und deren progressive Entwicklungen und Friedensinitiativen zu unterstützen. Außerdem wurden in den Arbeitsgruppen zwei Beschlussvorlagen diskutiert, die zum einen gegen die Militarisierung in Lateinamerika und zum anderen gegen die Sanktionspolitik gegen Kuba gerichtet sind. In einer dieser Vorlagen heißt es: „Wir werden unseren Widerstand gegen jede Form der Blockade- und Sanktionspolitik fortsetzen. Denn wir wissen: die Freiheit von Sanktionen und Subversionen und das Selbstbestimmungsrecht der Länder in Lateinamerika und der Karibik sind ein wichtiger Teil des weltweiten Ringens um Gerechtigkeit und Frieden.“ Die Teilnehmer*innen kamen zu dem Schluss, dass die Konferenz und die Aktionen zur Zurückdrängung des Militarismus in Lateinamerika und Unterstützung der Friedensaktionen in Zukunft weiter geführt und zu einem dauerhaften Projekt entwickelt werden sollten.

Den Abschluss der Konferenz bildete eine von der Schweizer Aktivistin und Journalistin Nadja Bellini moderierte Gesprächsrunde mit Kristine Karch, die über ECO Mujer und Aktionen gegen die NATO sprach, mit einem zugeschalteten Beitrag von Özlem Demirel von der Linksfraktion des Europäischen Parlaments, die vor allem über die antimilitaristische Aktivitäten der Linken im Europaparlament berichtete und mit Leo Gabriel, der die Solidaritätsarbeit in Österreich zur Unterstützung von lateinamerikanischen Ländern und sozialen Bewegungen hervorhob.

Weitere Infos, Programm und beide Resolutionen:
https://www.netzwerk-cuba.org/2021/10/konferenz-gegen-militarismus-und-f...

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Krisen und Kriege
Univ.-Prof. Dr. habil. Raina Zimmering ist Historikerin, Politologin, Soziologin, Lateinamerikanistin und Senior Research Fellow am Institut für Internationale Politik (IIP).