Internationaler Frauen-Friedenskongress im Friedensdorf Tresnjevac/Serbien 3.-7. August 1995 veranstaltet von den "Frauen in Schwarz", Belgrad

Mir zada! Frieden jetzt!

von Hanna Jaskolski
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Als ich im September 1991 mit der "Friedenskarawane durch Jugosla­wien bei unserem Empfang in Belgrad die starken, ja lautstarken serbi­schen Frauen erlebte, hätte ich mir denken können, daß sich aus ihnen eine Widerstandsbewegung besonderer Art entwickeln würde. Ange­spornt von den DONNE IN NERO PER LA PACE/Frauen in Schwarz für den Frieden aus Italien, gründeten sie am 9. Oktober 1991 die ZENE U CRNOM PROTIV RATA/Frauen in Schwarz gegen Krieg (Schwarz steht für Trauer und Wut). Sie stehen damit in der Tradition der argentini­schen Mütter der Plaza de 1. Mayo und der israelisch-palästinensischen Frauen. Inzwischen ist die Belgrader Gruppe auf 150 Mitglieder ange­wachsen. Zwanzig bis vierzig von ihnen halten jeden Mittwochnachmit­tag in der Belgrader Innenstadt eine Mahnwache ab, bei der sie zum Beispiel die "Entmilitarisierung des Balkan" fordern oder andere Bot­schaften kundtun. Sie schreiben Briefe und Bücher und nehmen zu im­mer mehr Friedensgruppen auch im Ausland Kontakt auf.

In vierzehn seit dem Kriegsausbruch allein in Belgrad errichteten Einrichtun­gen arbeiten sie für notleidende Men­schen, für vergewaltigte Frauen und Mädchen. Unermüdlich sind sie unter­wegs trotz eigener Notlage durch das Embargo, trotz Trauer im Herzen und lassen sich durch keine Schikanen und Drohungen der Behörden und der Poli­zei einschüchtern.

Für den 3. bis 7. August luden sie das vierte Mal zu einem internationalen Frauen-Friedenskongress ein, dieses Jahr in das sogenannte Verweigererdorf Tresnjevac in der Vojvodina (Nordserbien.

Im Mai 1992 hatten 200 Männer der un­garischen Minderheit aus diesem Dorf und seiner Umgebung, von ihren Frauen animiert und unterstützt, ihre Einberu­fungsbefehle an die Front verweigert. 92 Panzer mit Schießbefehl umzingelten daraufhin vier Tage lang das 2000-See­len-Dorf. Alle rechneten damals mit dem Schlimmsten. Die Männer ver­schanzten sich nach Abzug der Panzer noch 60 Tage in der Dorfkneipe "Zitzer-Club", die Mittelpunkt des pazifisti­schen Widerstands wurde. Die Angst geht auch heute weiter um, obwohl sie seitdem nur zu Wehrübungen herange­zogen werden. Manche verweigern auch diese und gehen dafür ins Gefängnis. "Zwei Weltkriege und wieder das viele Morden reichen, wir machen da nicht mehr mit", so sagte uns einer der Hauptverweigerer. Im "Zitzer-Club fanden wir uns abends zum Singen und Tanzen und Zu Gesprächen in ent­spannter Atmosphäre ein. Unser haupt­sächlicher Aufenthaltsort war das Ge­lände der katholischen Kirche im Nach­bardorf Totovo-Selo. Dort fanden die vielen Arbeitskreise und Begegnungen statt.

Zu dem Kongress hatten sich 190 Frauen aus 19 Ländern angemeldet - aus ver­schiedenen europäischen Ländern, aus Israel und den USA. Die Teilnehmerin­nen aus dem ehemaligen Jugoslawien stammten aus Makedonien, Kroatien, Montenegro, Serbien, Bosnien-Herze­gowina, der Vojvodina und Slowenien. Die Kroatinnen nahmen bis zu zwei Tage lange Reisen - auch mit Fuß­märschen - auf sich. Sie waren, wie sie sagten, selber sehr erstaunt, daß sie wirklich angekommen waren. Die Re­gierung wusste von dem Treffen, obwohl wir es alle vor und während der Reise geheim gehalten hatten. 22 Spanierinnen bekamen kein Visum, und ein Bus mit Italienerinnen und Kroatinnen, die Obst und Gemüse für unsere Versorgung da­bei hatten, wurden an drei verschieden Grenzübergängen verhört und nicht nach Serbien hineingelassen. Sie mach­ten dann im nahen Ungarn ihre Arbeits­kreise, wozu immer wieder Veranstalte­rinnen und Teilnehmerinnen von uns aus hinfuhren. Auch diese wurden jedes Mal verhört. Von uns kassierte die Polizei während des Aufenthaltes die Pässe, wie wir hörten, das erste Mal bei einem solchen Treffen. Die Bevölke­rung der umliegenden Dörfer war uns gegenüber wohlwollend eingestellt. Ei­nige Frauen, besonders aus Tresnjevac, wollten gern an dem Kongreß teilneh­men, wurden aber durchpolizeiliche Verhöre zu sehr eingeschüchtert. Schon am ersten Abend tauchte Polizei im "Zitzer-Club" auf. Auch die Pfadfinder wurden wegen der Zelte, die sie uns zur Verfügung stellen wollten, und die Kin­dergärtnerinnen wegen der angebotenen Räumlichkeiten massiv unter Druck ge­setzt. Also, der Krieg war selbst für uns dort zwar nur indirekt, aber doch be­drückend spürbar, auch wenn uns wäh­rend der ganzen Zeit die Fröhlichkeit nicht verlassen hat. Das Lachen fiel al­lerdings den zwanzig Frauen aus drei verschiedenen Flüchtlingslagern schwer. Viele Tränen wurden vergossen, und manche Teilnehmerin verlor niemals ihr sorgenvolles Aussehen. Glücklicher wa­ren vielleicht die diejenigen, die hem­mungslos schluchzten, gegenüber denen, die sagten, sie könnten nicht mehr weinen. Sie hatten Unvorstellbares erlebt.

Auf dem großzügigen Geländer der Kir­che - mit alten Bäumen, Wiesenstücken für unsere Zelte und einem Gebäude als Begegnungsstätte - waren wir sehr gut aufgehoben. Es ging gerade eine Kin­derfreizeit zu Ende, und so konnte ich mit einem Teil meiner mitgebrachten 700 Buttons und Aufkleber mit Frie­denssymbolen die Kinder erfreuen. Auf einem Aufkleber hieß in Wort und Bild: Kinder kennen keine Grenzen.

Der katholische Pfarrer hieß uns aufs herzlichste willkommen. Wir verdanken wohl auch seinem Mut und Ansehen un­seren ungehinderten Aufenthalt. Vor allem danke ich ihm für die Aussage in seinem Gottesdienst: "Frieden schaffen wir nicht mit Waffen, sondern mit dem Herzen." Was mit dem Herzen schon alles geschaffen wird, erfuhren wir bei der Vorstellungsrunde. Jeder erzählte dabei von seiner Arbeit für Frieden und Gerechtigkeit. Da kam einiges zusam­men, was alle Welt staunen machen könnte. Wenn doch die Medien dazu übergehen würden, mehr Positiv-Nach­richten zu bringen - viele bekämen mehr Hoffnung!

In den vielen verschiedenen Arbeits­kreisen konnte jede ihre Gedanken und Gefühle einbringen. Themen wie "Meine Realität des Krieges", "Frauen bezeugen 'ethnische Säuberung', Ras­sismus und Fremdenfeindlichkeit, "Frauen sollen vergessen - Frauen wol­len sich erinnern" zeigten, daß sich Kriege und Gewalt überall besonders auf das weibliche Geschlecht auswirken. Beim Arbeitskreis "Widerstand gegen Krieg und Gewalt" herrschte bei einigen Teilnehmerinnen Unsicherheit, ob nicht doch die UNO oder NATO das bessere Konzept hätten, nämlich die Anwen­dung von Gewalt als Mittel der Politik. Fast allen war es jedoch klar, daß die Verwirklichung von mehr Frieden in der Kraft der Gewaltlosigkeit liegt, die jeder in sich finden kann. Diese Kraft konnten wir dort alle spüren. Sie ist ein guter Schutz gegen die Angst, die von den Politikern bewusst geschürt wird.

Höhepunkt des Kongresses war eine Demonstration und große Kundgebung in Subotica, einer Stadt, nahe der unga­rischen Grenze, in der ca. 24 verschie­dene Völkergruppen noch recht gut zu­sammenleben. Der Bürgermeister schafft dafür, zum Beispiel durch re­gelmäßige Treffen der Einwohner, gute Bedingungen. Auch unsere Veranstal­tung, übrigens von ganz wenigen Polizi­sten begleitet, war vielleicht nur unter seiner Schirmherschafft möglich. Unge­fähr 130 Frauen, alle Schwarz gekleidet, zogen durch die Stadt. - Wir bekamen dabei zufällig die Mobilmachung Rich­tung Ost-Slawonien mit. Panzer der na­hegelegenen Kaserne fuhren mit Don­nergetöse durch die Straße. In den Nachrichten hörten wir, daß nun erneut 150.000 Menschen auf der Flucht seien. Auch das Dorf Tresnjevac wird Flücht­linge aufnehmen müssen. Ihnen ist jetzt schon ein friedliches Zusammenleben von den Dorfbewohnern zugesagt wor­den. - Bei der Kundgebung auf dem großen, gut geeigneten Platz vor dem Theater führten wir nach sorgfältiger Vorbereitung geradezu ein Theaterstück auf, mit Transparenten, die nach und nach aufgerollt wurden, mit schwarzen und lilafarbenen Luftballons, mit be­schrifteten Friedenstauben an langen Stöcken, mit Kerzen, Fackeln und einer Menge Sonnenblumen. Es wurden ein In­nen- und ein großer Außenkreis gebil­det. Durch Gesang und Sprechchöre in vielen Sprachen wurden zusätzlich un­sere Wünsche und Forderungen laut, gegen Krieg und Rassismus, für Frieden und Verständigung. Die Bevölkerung hielt sich während der zwei Stunden ziemlich zurück. Es herrscht dort große Unsicherheit und Angst, auch, wie mir gesagt wurde, "Nationalismus". Trotz­dem bekamen wir Dank, Bewunderung und Anerkennung. Einige reihten sich in den Kreis mit ein, einige holten zusätz­liche Kerzen, hinter uns stand ein Mann mit gefalteten Händen. Zum Schluss stimmte ich mit der Flöte das Lied "We shall overcome..." an. Wie ein großer Chor schallte es über den Platz. Solche Zeichen sind wichtig; daraus kann je­derzeit eine neue Bewegung wieder an einem neuen Ort entstehen.

Am Ende des letzten Arbeitstages kam ein kommunaler Politiker und richtete ein schönes Schlusswort an uns: "Möge der Kongress gut gewesen sein! Kommt nächstes Jahr wieder und bringt noch mehr mit!"

Viele von uns brachten den Belgrader Schwarzen Frauen Medikamente, ver­schiedene Lebensmittel, Hygiene-Arti­kel und Geld mit, das wir gesammelt hatten. Davon bekamen schon während des Kongresses die Flüchtlingsfrauen kleine Päckchen. Als wir unsere Heim­reise antraten, fiel uns die Verabschie­dung von diesen Frauen besonders schwer. Ich war auch nicht die einzige, die ein Gefühl von Ungerechtigkeit und Schuld verspürte, fuhren wir doch in ein reiches und sicheres Land zurück, das durch Waffenverkäufe den Krieg in Ju­goslawien mit am Leben erhält.

Dieser Kongress war aufs Ganze gesehen nur ein Schritt auf dem Friedensweg, der ja bekanntlich sehr lang ist. Ich er­achte ihn jedoch für sehr bedeutsam und für mehr als ein bloßes Zeichen. Wir waren alle wie verbunden und getragen vom gleichen Optimismus, daß diese Sache geholfen hat, das weltweite Netz der Solidarität weiter zu knüpfen.

Wenn immer mehr Männer das alte Jagdspiel mit der Waffe verweigern und immer mehr Frauen ihre Kraft entdec­ken, nicht nur in Tresnjevac, Bologna, Gelgrad, Israel und Peking, dann geht vielleicht eines Tages der Wunsch in Er­füllung, den eine Frau aus Sobotica bei unserer Kundgebung auf ihrem Plakat in unserer Mitte trug:

FRIEDEN! WIR WOLLEN KEINEN GEWALTTÄTIGEN FRIEDEN! WIR WOLLEN EINEN LIEBEVOLLEN FRIEDEN!

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Hanna Jaskolski ist Friedensaktivistin aus Erftstadt (bei Bonn).