Münchner Sicherheitskonferenz 2020

„Missing Peace“

von Hubert Heindl
Hintergrund
Hintergrund

Absichtsvoll war ich wenig präsent bei den „Referaten der Großen“ im Hauptplenum. Wichtig war mir, mit Teilnehmenden direkt in Kontakt und Diskussion zu kommen, so dass ich die Botschaft und die Medien unserer MSKv als Impuls an die Frau und den Mann bringen konnte: Zeitung zur Konferenz, Postkartenaktion „Challenge“. Im täglichen (kurzen) Austausch mit unserer zweiten Beobachterin Anja habe ich festgestellt, dass sich unsere Ansätze und Beobachtungsinteressen schön ergänzen; was ich auch mit diesem Bericht möchte zu dem, was Anja bereits aufmerksam und richtig wiedergegeben hat.

Die Botschaft hör ich wohl…
Die Konferenz möchte Kristallisationspunkt und Schmelztiegel für sicherheitsrelevante Fragen und Aufgaben, für Expert*innen und Politiker*innen sein. Mit meinem Erleben der Konferenz nehme ich es tatsächlich den Veranstalter*innen und den Teilnehmenden ab, dass sie durch ihr Zusammenkommen die drängenden Fragen der Welt weiterbringen und einzelne Komplexe lösen wollen. Es gibt wohl tatsächlich nicht viele Gelegenheiten in der Welt, miteinander zu sprechen ohne den Druck, Verhandlungsergebnisse zu erzielen und seine Position maximal zu sichern und auszubauen. Die „Münchner Regeln“, die die Konferenz für sich proklamiert, waren für mich spürbar: ‚Wir sprechen den/die anderen offen an, wir hören einander zu, wir urteilen nicht.‘Die Konferenz führte dazu moderne Konzepte von Präsentation und Diskussion in ihre Formate ein: sie nennen sich „Townhall“ oder „Thematische Konversation“.

Die Konferenz habe ich auch unter der objektiven Erfordernis von „Sicherheit Anders/Neu Denken“ thematisch relevant gefunden: Offensichtlich wird begonnen, weltpolitische Themen in ihrer Wirkung gegen Sicherheit auf die Liste der Erörterungen zu setzen:

  • Die Klimakrise als Gegenstand von 16 aus 103 Themenblöcken, wir nennen das „Kein Frieden in der Klimakrise“ (siehe MSKv-Projektzeitung S.7ff);
  • die strukturelle Gewalt, die Sicherheit bedroht und immer neue Gewalt provoziert: Themen von „Dekriminalisierung von Homosexualität“ bis „Geowissenschaftliche Kartierung steigender politischer Gewalt gegenüber der Zivilbevölkerung in Nord und West Afrika“.

Ich habe auch beobachtet, dass wache Akteur*innen den offenen Raum der Konferenz zu nutzen versuchen: In den Zeitungen lesen wir dann z.B. die Überschrift „Steinmeier teilt heftig aus“. Und ermutigend auch, wenn die Passage aus der Eröffnungsrede des Bundespräsidenten auf die Botschaften unserer MSKv an das Bundespräsidialamt bezogen wird: „Ich weiß, dass viele Menschen in Deutschland Sorge haben, dass sich hinter dem Begriff der Verantwortung vor allem militärische Auslandseinsätze verbergen. Aber eine solche Gleichsetzung führt in die Irre. Verantwortung in der Welt von heute heißt vor allem anderen, sich der Wirklichkeit zu stellen […] und nach praktischen Wegen zu suchen, die Welt zu verändern und zu verbessern“. (Antwort des Bundespräsidialamtes, 18.2.2020). Wir nennen das konkreter „Frieden schaffen ohne Waffen“ und: „Business as usual ist out“.

… allein mir fehlt der Glaube!
Ich beobachte nämlich auch, dass das positive und Räume eröffnende Format der Konferenz in Oberflächlichkeit – manch jemand könnte auch sagen in maskenhafter Unverbindlichkeit –steckenbleibt. Nach meiner Teilnahme an den ‚Townhalls‘ und ‚Conversations‘ bleibt mir doch bitter die Frage „Was bleibt“ und „Wie weiter“? Die Konferenz müsste Formate zulassen und anregen, mit denen Ergebnissicherung möglich wird, Nachverfolgung von neu entstandenen politischen oder gesellschaftlichen Spielräumen gemacht werden kann, Verantwortlichkeiten aus den Gesprächen und neuen Kontakten benannt werden.

Die Themensetzungen der Konferenz verfallen in eine unverbindliche Beliebigkeit, wenn die Konferenzleitung nicht in Wort und Formaten deutlich macht, auf welche Basiswerte und Zielvisionen sie jede teilnehmende Person oder Delegation beziehen möchte. Mit relevanten Themen drei Tage lang in Beliebigkeit zu jonglieren, reicht nicht. Angesichts der Weltprobleme, die jede Minute ihre Menschenopfer fordern, gilt gerade auch für die Sicherheitskonferenz, frei nach Albert Einstein: „Es ist ein Zeichen von Wahnsinn, immer das Gleiche zu machen, sich gleich zu verhalten, aber neue Ergebnisse zu erwarten.“

So wird sich die Konferenz in ihrer Qualität hinter dem Hype der drei Tage daran messen lassen müssen, welche Verbindlichkeit ihr innewohnt und welche Teilhabe von relevanten Akteur*innen sie wünscht und sucht: Delegationen internationaler Netzwerke der Zivilgesellschaft, gesellschaftstragender Plattformen wie „Religion for Peace“, „Friday/Scientists for Future“, „Friedensbewegung in Deutschland und International“. Das sind Chancen für die Konferenz, sich tatsächlich als repräsentative Plattform für Sicherheitsfragen weiter zu profilieren. In der Klimadiskussion ist es bereits angekommen: Da, wo die Politik nicht (mehr) vorankommt, müssen NROs, Wirtschaft und eine zivilgesellschaftlich organisierte Bevölkerung vorangehen. Nichts weniger muss als Anforderung an die Münchner Sicherheitskonferenz gestellt werden: Prozesse mitzugestalten der Transformation zum Pazifismus, die Umwandlung von Kriegsmaschinerien in Friedensprozesse zu begleiten, die Entwicklung mitzugestalten aus einer engstirnigen (und regelmäßig aggressiven) „Sicherheitslogik“ in eine pro-aktive, dialogische „Friedenslogik“.

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Hubert Heindl arbeitet bei APTE, Regensburg