Sri Lanka

Misstrauen gegenüber der muslimischen Gemeinde wird von der Politik angeheizt

von Jehan Perera
Krisen und Kriege
Krisen und Kriege

Der Süßwarenhändler sagte, dass er nur wenig verkaufe. Die Leute, die früher seine Süßigkeiten kauften, behandeln ihn heute anders, weil er ein Muslim sei. Er ist ein armer Mann, der versucht, seinen Lebensunterhalt zu verdienen, indem er als Straßenhändler in Colombo arbeitet. Meine Frau nahm ihm drei Pakete ab, bat ihn, das Wechselgeld zu behalten und sagte unseren Kindern, dass auch er eine Familie haben würde, die zu Hause auf seine Rückkehr wartete.

Die Panik der ersten drei Wochen nach den Bombenanschlägen von Ostersonntag-Nacht ist deutlich zurückgegangen. Die Herstellung von Normalität ist sichtbar. So sollte es sein. Ich war froh, eines der Versöhnungstreffen besuchen zu können, die letzte Woche organisiert wurden. Es war ein Ifthar oder Fastenbrechen, organisiert von dem Muslimischen Zivilgesellschafts-Komitee, das auf dem Gelände der Stadtverwaltung von Colombo stattfand. Viele der TeilnehmerInnen kamen aus der muslimischen Gemeinschaft. Von anderen Gemeinschaften (1) waren weniger dabei, was vielleicht die Polarisierung in der Gesellschaft reflektiert. In jeder Gemeinschaft werden Ängste, Sorgen und Verdächtigungen gegen die anderen laut. Bei der Veranstaltung wurde an die Tragödie von Ostersonntag erinnert. Jugendliche aus allen Gemeinschaften machten ein Statement der Versöhnung aus der Basis ihrer Religion heraus.

Ich war ein wenig verspätet und musste nahe dem Eingang Platz nehmen. Es war schwierig, einen Platz zu finden, da die Menschen eng gedrängt saßen. Aber es gab ein paar freie Plätze, wo Mitglieder der Sicherheitskräfte saßen. Es kam mir seltsam vor, bei den Uniformierten zu sitzen. Glücklicherweise kannte ich einen der Offiziere von der Universität, wo wir beide einen Kurs über Peacebuilding besucht hatten. Er sprach mich an und erinnerte mich an unser letztes Treffen, bei dem Angehörige der Sicherheitskräfte von einem Problem der Radikalisierung in der muslimischen Bevölkerung im Osten des Landes gesprochen hatten. Der Anführer der Selbstmordattentäter war tatsächlich auch aus dem Osten gekommen.

Doch was dieser Offizier betonte, war, dass diejenigen, die gewalttätig wurden, nicht notwendigerweise der breiteren muslimischen Bevölkerung bekannt waren. Im besten Falle wussten sie, dass diese Leute Radikale waren und behandelten sie wie Kriminelle. Aber sie würden nicht wissen, dass sie planten, andere Menschen außerhalb ihrer eigenen Gemeinschaft zu töten. Ich musste an 1971 denken, als die Gewalt viel größer und mehr organisiert war und sich gegen die Regierung richtete. Der Aufstand der JVP 1971 (2) überraschte die Regierung so sehr, dass innerhalb von zwei Wochen über 90 Polizeistationen in die Hand der Rebellen gefallen waren. Deshalb ist es weder fair noch konstruktiv, „die Muslime“ anzuklagen, dass sie das Geheimnis für sich behalten und gemeinsame Sache mit den Selbstmordattentaten gemacht hätten. Sie hatten umgekehrt die Regierung und die Zivilgesellschaft seit 2012 mehrfach wegen der Radikalisierung von Teilen der Gemeinschaft gewarnt.

Nüchterne Betrachtung
Trotz der Verbesserungen vor Ort gibt es einen Verzögerungseffekt in Bezug auf die Wiederherstellung von Beziehungen zwischen den Gemeinschaften. Misstrauen und Vorurteile gegenüber der muslimischen Gemeinschaft halten an. Die Propagandaschlacht, die den Eindruck erweckt, dass viele, wenn nicht alle, Muslime sich feindlich gegenüber den anderen Gemeinschaften verhielten, hat hierzu beigetragen. Zum Beispiel gab es jüngst die Geschichte eines muslimischen Arztes, der angeblich mehr als 4.000 Frauen sterilisiert habe – inzwischen ist von 8.000 die Rede -, während er Geburtshilfe leistete. Diejenigen, die in dem Bereich arbeiten, sagen, dass es unmöglich sein, dass ein Mann das tun könne, ohne dass die anderen Mitglieder der aus mehreren Personen bestehenden Gesundheitsteams, die bei Operationen dabei sind, davon wüssten.

Ein anderes Beispiel, das viel Schaden anrichtete, war der Fund von Schwertern in Moscheen, was insbesondere auf die Psychologie von Mitgliedern der singhalesischen Gemeinschaft extrem negative Auswirkungen hatte.

In den ersten drei Wochen der Panik trugen die Medien substantiell zu dem Entsetzen bei, indem sie wiederholt Haufen von Schwertern in Moscheen zeigten, was den Eindruck hervorrief, dass diese Schwerter in einer großen Anzahl von Moscheen gefunden worden seien. Dies schuf Angst vor einem Angriff durch Schwerter-schwingende Muslime. Eine solche Nachricht sagte: „UPFA Parlamentsmitglied Mahinda Amaraweera fragte, warum kein einziger muslimischer Parlamentsabgeordneter Einwände gegen die vielen Schwerter erhoben habe, die in den Moscheen gefunden wurden, und gegen die Gründe, warum sie dort bewahrt wurden. UPFA Parlamentsabgeordneter Thenuka Vidanagamage sagte, dass mit rund 5,2 Millionen Haushalten im Land, wenn ein Schwert in jedem Haushalt gefunden würde, dies eine Anzahl von 5,2 Millionen Schwerter ergeben würde.” Dieselbe Meldung fuhr fort: „In der Zwischenzeit sagte der Ehrwürdige Omalpe Sobhitha Thero, dass es für eine Nation, die Angst wegen der jüngsten Terroranschläge habe, normal sei, die Wahrhaftigkeit der Statements der Sprecher der muslimischen Gemeinschaft infrage zu stellen. Er fuhr fort, dass die Statements, die wegen der Schwerter gemacht worden seien, die zuhause aufbewahrt würden, um Frauen zu schützen oder Gestrüpp zu beseitigen, komplette Lügen seien, das sie überall zu Hunderten gefunden wurden.“ Bei nüchterner Betrachtung ist festzuhalten, dass es in allen Gemeinschaften nicht unüblich ist, ein Schwert im Haus zu haben. Es wurde zudem der Eindruck erweckt, dass Moscheen der Sammelpunkt für Schwerter in Vorbereitung auf einen wahrscheinlichen Angriff von Muslimen auf ihre MitbürgerInnen waren. Aber in Wirklichkeit wurden Schwerter nur in zwei der über 2.000 Moscheen im Land gefunden.

Versagen der Politik
Es hat auch ein absichtliches Schüren von Angst vor möglichen weiteren Bombenanschlägen gegeben. Die Entdeckung eines Bombenpakets in einer Schule letzte Woche hätte eine neue Welle der Panik auslösen können, gerade als Kinder anfingen, wieder zur Schule zu gehen, nachdem sie aus Angst vor Anschlägen weggeblieben waren. In diesem Fall hatte der Sicherheitsmann der Schule zum Glück gesehen, wie ein Mann auf verdächtige Weise weglief, der daraufhin festgenommen wurde. Er ist, so wird berichtet, ein politischer Aktivist der Opposition. Wenn diese Bombe explodiert wäre und Kinder verletzt hätte, dann hätte dies eine neue Welle der Panik und vielleicht sogar erneuten organisierten Aufständen geführt, wie sie in der Nordwestlichen Provinz vor zwei Wochen vorkamen.

Es gibt eine Kampagne von Oppositionspolitikern (3), die derzeitigen Ängste auszubeuten, um die Unsicherheit aufrecht zu erhalten. Sie glauben vielleicht, dass dies ihnen einen Vorteil bringen kann, da es die WählerInnen dazu bringen könnte, eine Regierung abzulehnen, die Stabilität und Recht und Gesetz nicht wieder herstellen kann. Die anti-muslimischen Aufstände, die sich in der ganzen Nordwestlichen Provinz ausbreiteten, zeigen deutlich, dass sie organisiert worden waren. Viele der Festgenommenen gehören zu den politischen Parteien der Opposition. Oppositionspolitiker mischten sich furchtlos mit dem Mob, selbst als der das Gesetz in die eigene Hand nahm. Man weiß seit dem anti-tamilischen Pogrom von 1983, dass Aufstände in Sri Lanka organisiert werden. Aber die Anführer der Regierung scheinen davor zurückzuscheuen, mit dem Finger auf die Befehlskette zu zeigen.

Dass die Regierung die Meinungsfreiheit hochhält, ist als ein wichtiger Aspekt von Demokratie lobenswert. Aber ihr Versagen, gegen die vorzugehen, die Gerüchte und falsche Information verbreiten und bewusst Dinge tun, die die Angst der Menschen schüren, ist ein Versagen der Politik. Da wir im Moment einen nationalen Notstand haben, sollte sich die Regierung eine Medien- und Kommunikationsstrategie geben, bei der ein Segment der Nachrichten regelmäßig der falschen Propaganda und Fehlinformation entgegentritt, die durch politisch motivierte Akteure in den Medien verbreitet werden. Wir brauchen Führungspersonen, die die Barrieren des Misstrauens, Verdachts und Vorurteile überwinden und gleichzeitig den Menschen versichern, dass sie im nationalen Interesse und für das Wohlergehen Aller handeln.

Anmerkungen der Redaktion
1 Sri Lanka ist Heimat von vier Weltreligionen: Buddhismus, Hinduismus, Islam und Christentum. Muslime und Hindus sind im Osten des Landes konzentriert; Hindus im Norden. Ethnisch-sprachlich gesehen, sind Muslime und Hindus Tamilen (obwohl Muslime oft als eigene ethnische Gruppe mit tamilischer Sprache angesehen werden möchten), die Singhalesen sind vorwiegend Buddhisten. Christen, die die Opfer der Osteranschläge wurden, sind eine kleine Minderheit, die über alle ethnisch-sprachlichen Gruppen verteilt ist. (In Zahlen: 70,2% Buddhisten, 12,6% Hindus, 9,7% Muslime, 7,4% Christen, 0,1% andere.)
2 Die JVP ist eine nationalistisch-marxistische Partei, die 1971 einen Putschversuch gegen die Regierung unternahm. Sie ist auch heute noch politisch aktiv.
3 Die Regierung wird zurzeit von der konservativ-liberalen United National Party gestellt.

Übersetzung: Christine Schweitzer

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Krisen und Kriege
Jehan Perera ist Journalist und Friedensaktivist in Sri Lanka. Der Artikel erschien auf der Website des National Peace Council am 29. Mai 2019: https://www.peace-srilanka.org/media-centre/political-commentary/item/720-suspicion-of-muslim-community-is-politically-fueled-jehan-perera.