Psychologische Ansätze als Quelle der Entwicklung

Modernen Trainings in Gewaltfreiheit

von Achim Schmitz

Das Training in Gewaltfreiheit (1) ist ein wichtiges Instrument der Vorbereitung auf gewaltfreie Aktionen (v. a. gegen Atomkraft und Atomwaffen), gewaltpräventives Konfliktverhalten, Mediation, Soziale Verteidigung und Projekte ziviler Konfliktbearbeitung. Als Arbeitsform für die Stärkung gewaltfreier Konfliktkompetenzen ist es in sozialen Bewegungen weit verbreitet. Wenig bekannt ist, dass viele der Inhalte und Methoden der Trainings auf Ansätze der humanistischen Psychologie zurückgeführt werden können. (2)

Uwe Painke ist langjähriger Trainer in Gewaltfreiheit und promovierter Pädagoge und betont unter Berücksichtigung der englischsprachigen Bedeutung von „training“ als „Ausbildung“, „Schulung“ oder „Einübung“, dass die Einübung gewaltfreien Handelns den ganzen Menschen betrifft: „Es soll nicht nur ein verstandesmäßiges Lernen mit dem Kopf, sondern ein Ausprobieren, ein Experimentieren und ein praktisches Üben des als richtig Erkannten stattfinden.“(3) In gewaltfreien Aktionstrainings spielen die humanistische Psychologie bzw. klientenzentrierte Gesprächsführung nach Carl R. Rogers und die Themenzentrierte Interaktion (TZI) nach Ruth C. Cohn eine wichtige Rolle. Rogers galt als wichtiger Vertreter der humanistischen Psychologie und interessierte sich in seinen letzten 15 Jahren für Friedenspolitik und die Vermeidung des Atomkrieges; 1985 entstand das Carl Rogers Peace Project. (4)

Empathische psychologische Ansätze als Basis für Gewaltfreie Kommunikation
Zur Gewaltfreiheit passt die Aussage der Themenzentrierten Interaktion (TZI), die aus der humanistischen Psychologie entstand: „Ehrfurcht gebührt allem Lebendigen und seinem Wachstum.“(5) Die Hilfsregeln der TZI finden sich in gewaltfreien Trainings wieder (z. B. Ich-Botschaften, Zurückhaltung mit Interpretationen). Die humanistische Psychologie setzte sich mit der Gewaltfreien Kommunikation nach dem Rogers-Schüler Marshall B. Rosenberg fort, der sich auch auf die Gewaltfreiheit nach Gandhi bezog.

Empathie ist ein respektvolles Verstehen der Erfahrungen anderer Menschen. Damit verbunden ist die Fähigkeit, leidenden Menschen die ganze Aufmerksamkeit zu schenken. Eine unverzichtbare Voraussetzung dafür ist es, auf Gefühle und Bedürfnisse (anderer Menschen) zu achten. (6) Elemente der Empathie werden in Trainings für Gewaltfreiheit und Gewaltfreie Kommunikation nach Rosenberg vermittelt. Das Modell der Gewaltfreien Kommunikation besteht aus vier Elementen:

1. Schritt: Beobachtung  (Eine Person sagt, was geschieht und was sie beobachtet. Dies wird von Bewertungen getrennt.)

2. Schritt: Gefühl (Die Person schildert ohne Beschuldigungen und Vorwürfe, wie sie sich fühlt, wenn sie eine Handlung beobachtet.)

3. Schritt: Bedürfnis (Die Person sagt, welches Bedürfnis hinter den genannten Gefühlen steht.

Es kann sich um ein unbefriedigtes Bedürfnis handeln.)

4. Schritt: Bitte (Die Person bittet ihr Gegenüber um eine konkrete und realisierbar erscheinende Handlung, ohne ihr vorzuschreiben, was sie zu denken oder zu fühlen habe.)

In Deutschland existieren Netzwerke für Gewaltfreie Kommunikation v. a. in Berlin, München, Steyerberg und Stuttgart (siehe http://www.gewaltfrei.de).(7)

Nach dem Kommunikationsquadrat von Friedemann Schulz von Thun (8) enthält jede Nachricht vier Botschaften gleichzeitig: Sachinformation, Selbstkundgabe, Beziehungshinweis (was ich von jemandem halte und wie ich zu jemandem stehe) und  Appell (was ich bei jemandem erreichen möchte). Ebenfalls psychologisch bedeutsam erscheint das Eisbergmodell nach Ortrud Hagedorn: (9) Die Ausbilderin für Mediation benutzt die Metapher des Eisberges für Interaktionen, die in Konflikten üblich sind: 1/10 des Eisberges ist sichtbar (Streitausdruck an der Oberfläche), 9/10 (z. B. dahinter liegende Gefühle) bleiben unter Wasser.

Im Folgenden werde ich in ein paar Beispielen illustrieren, welche psychologischen Inhalte in Trainings vermittelt wurden und werden.

Modellversuch zum deeskalierenden Konflikttraining
Eckert und Willems stellen in ihrem Buch „Konfliktintervention“ Ergebnisse aus einem Modellversuch „Der Umgang mit dem Jugendprotest - Die Entwicklung von Seminaren zum Konflikttraining“ (1991) vor, der vom damaligen Bundesministerium für Jugend, Familie, Frauen und Gesundheit (BMJFFG) gefördert wurde. In jedem Seminar war nur eine Konfliktpartei vertreten.

Die Trainingsseminare wurden mit unterschiedlichen Zielgruppen (BürgerInneninitiativen, UnternehmensvertreterInnen, KommunalpolitikerInnen, PolizeibeamtInnen) durchgeführt. Die Teilnehmenden sollten lernen, die Sichtweise ihres Gegenübers nachzuvollziehen (Empathie), eskalationsförderndes bzw. -hemmendes Verhalten einzuschätzen und ihre in Konflikten ausgelösten Gefühle und Affekte wahrzunehmen und zu kontrollieren.

In den Trainingsseminaren wurden per Video mitgeschnittene und anschließend ausgewertete Pro-Kontra-Diskussionen dazu genutzt, Grenzen und Probleme des Verstehens der anderen Konfliktpartei zu erkennen und alternative Handlungsweisen zu erproben. Rollenspiele sollten den TeilnehmerInnen mit der Übernahme einer fremden Rolle das Ansprechen tabuisierter Konfliktbereiche sowie die Verdeutlichung von Handlungsalternativen ermöglichen. So sollte durch die Perspektivenübernahme trotz der Grenzen in Konfliktsituationen die Möglichkeit geschaffen werden, die Perspektive der/des Anderen zu verstehen und sich selbst aus einer Fremdperspektive heraus neu zu betrachten.

Qualifizierungskurse des Forum Ziviler Friedensdienst von 1997 bis 1999
Seit 1997 wurden als Vorläufer des Zivilen Friedensdienstes im Modellvorhaben „Ausbildung in ziviler Konfliktbearbeitung“ die ersten Qualifizierungskurse für Menschen, die sich auf einen mehrjährigen Auslandsaufenthalt als Friedensfachkräfte vorbereiten wollten, durchgeführt. Psychologisch relevante Inhalte des ersten Kurses waren Mediation, Konfliktanalyse, psychosoziale Betreuung, „Burn-Out-Prävention“, Moderation von Gruppen/Teamarbeit, Versöhnung und Umgang mit Aggressionen. Die Curricula der nächsten beiden Kurse beinhalteten auch die psychologischen Modelle, die in diesem Beitrag vorgestellt wurden: Dazu gehörten v. a. die Gewaltfreie Kommunikation nach Rosenberg und das Kommunikationsmodell nach Schulz von Thun. Als weitere wichtige psychologische Trainingsinhalte bzw. soziale Kompetenzen wurden behandelt: Vorurteile (ein sozialpsychologisches Thema), Versöhnung, Umgang mit Traumatisierung, Empathie, Burn-Out, persönliche Konfliktmuster, Gruppenprozesse, Ängste und Kraftquellen. (10)

Aktuelle Ansätze mit psychologischen Bezügen
Das Kölner Trainingskollektiv für gewaltfreie Aktion und konstruktive Konfliktlösung erklärt auf seiner Homepage http://www.trainingskollektiv.de, dass es auf der Grundlage von humanistischer Psychologie und Pädagogik, TZI, Kommunikationspsychologie nach Paul Watzlawick und Friedemann Schulz von Thun, Gestaltpsychologie, Befreiungspädagogik von Paolo Freire und Theater der Unterdrückten von Augusto Boal arbeitet.

In der Ausbildung zu TrainerInnen in ziviler, gewaltfreier Konfliktbearbeitung vermitteln  Mitgliedsorganisationen in der Aktionsgemeinschaft Dienst für den Frieden (AGDF)    humanistische Ansätze wie die Gestaltpsychologie, den systemischen Ansatz und die Transaktionsanalyse.(11) Die Standards des Qualifizierungsverbundes der AGDF setzen als Inhalte des Grundkurses voraus: Aktives Zuhören, Perspektivenwechsel, eigene Gefühle und Bedürfnisse wahrnehmen und mitteilen können und Empathiefähigkeit erweitern. Die Kurse verfolgen einen ganzheitlichen Ansatz: kognitives, emotionales und soziales Lernen.

Ein aktueller lösungsorientierter Ansatz, um Mobbing in der Schule und am Arbeitsplatz zu stoppen, ist der „No Blame Approach“ (wörtlich „Ohne Schuld Ansatz“) in der Tradition systemischer und kurzzeittherapeutischer Ansätze von Steve de Shazer und Insoo Berg. Dabei wird trotz der schwerwiegenden Problematik auf Schuldzuweisungen und Bestrafungen verzichtet.

Stattdessen vertraut der Ansatz auf die Ressourcen und Fähigkeiten von Kindern und Jugendlichen, wirksame Lösungen herbeizuführen. Mittlerweile gibt es mehrere Hunderte Falldarstellungen: In den meisten Fällen soll das Mobbing zeitnah beendet worden sein. (12)

 

Anmerkungen

  1. Gewaltfreiheit mag dabei den prinzipiellen und pragmatischen Verzicht auf Gewalt sowie Lebensprinzip, Aktionsformen und eine gesellschaftliche Vision aus Respekt vor allem Leben bedeuten.
  2. Als weitere Quelle von Trainings sind die Bürgerrechtsbewegungen in den USA in den 1950er/60er Jahren zu nennen.
  3. Painke, Uwe (1997): Trainings für Gewaltfreiheit. Ein historischer Streifzug. In: Büttner, Christian W./Jochheim, Gernot/Luer, Nadya/Schramm, Torsten (Hrsg.) (1997): Politik von unten. Zur Geschichte und Gegenwart der Gewaltfreien Aktion. Theodor Ebert zum 60. Geburtstag. Berlin: Gewaltfreie Aktion, Heft 111/112, S. 168
  4. Vgl. Schmid, Peter F. (1995): Carl Rogers 1902-1987. Ein biografischer Abriss. Adaptierte Fassung des Kapitels 3.1.1. aus Schmid, Peter F. (1995): Personale Begegnung. Würzburg: Echter, 2. Aufl., S. 76-90. Gesichtet am 18.12.2009 unter http://www.pfs-online.at/papers/paper-crrbio.htm
  5. Cohn, Ruth C. (2004): Von der Psychoanalyse zur Themenzentrierten Interaktion. Von der Behandlung einzelner zu einer Pädagogik für alle. 15. Auflage, Stuttgart: Klett Cotta, S. 120
  6. Vgl. Rosenberg, Marshall B. (2002): Gewaltfreie Kommunikation. Aufrichtig und einfühlsam miteinander sprechen. Neue Wege in der Mediation und im Umgang mit Konflikten. 3., korrigierte Auflage, Paderborn: Junfermann, S. 103 ff
  7. Hier wird auf o. g. Netzwerke hingewiesen, auch auf zertifizierte TrainerInnen und Übungsgruppen, die in den meisten Großstädten in Deutschland existieren.
  8. Vgl. Schulz von Thun, Friedemann: Miteinander reden. Bd. 1. Störungen und Klärungen. Allgemeine Psychologie der Kommunikation.  Reinbek: Rowohlt, 1992
  9. Hagedorn, Ortrud (1995): Konfliktlotsen – Lehrer und Schüler lernen die Vermittlung im Konflikt. Stuttgart: Klett
  10. Vgl. Schmitz, Achim (2008) Gewaltfreiheit trainieren - Die friedenspolitische und  friedenspädagogische Relevanz eines Praxisfeldes politischer Bildung in Deutschland - Eine institutionengeschichtliche Bestandsaufnahme. Dissertation (Dr. phil.), Hochschule Vechta, S. 175
  11. Vgl. Schmitz, a. a. O., S. 182
  12.  http://www.no-blame-approach.de. Heike Blum und Detlef Beck (fairaend) bieten in diesem Ansatz Fort- und Weiterbildungen für MultiplikatorInnen an.

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Schwerpunkt
Dr. Achim Schmitz ist Sozialwissenschaftler und Sozialpädagoge mit Schwerpunkt „Friedenspolitische Bildungsarbeit“ und Trainer für Gewaltfreiheit. Er promovierte zum Thema „Gewaltfreiheit trainieren“ an der Hochschule Vechta; sein Buch „Gewaltfreiheit trainieren“ erscheint 2010 beim Verlag Sozio Publishing in Belm-Vehrte.