Möglichkeiten und Grenzen von Zivilgesellschaft

von Ulrich Frey

Akteure im Rahmen von Außen- und Sicherheits- sowie von Entwicklungspolitik sind seit den 90er Jahren weltweit und vermehrt Nichtregierungsorganisationen (NRO) geworden. Im internationalen Sprachgebrauch werden sie statt bisher Non-Governmental Organisations (NGO) neuerdings Civil Society Organisations (CSO) genannt. Was können sie zur Minderung oder gar zur Lösung von gewaltförmigen Konflikten durch deren Transformation leisten, wo sind ihre Grenzen? Wie können sie zu einem langfristigen sozialen und politischen Wandel auf der Mikro-, der Meso- und der Makro-Ebene beitragen?

Zur Zivilgesellschaft gehören nach dem Cardoso-Report der Vereinten Nationen Massenorganisationen, beruflich oder erwerbsorientierte Organisationen, religiös orientierte Organisationen, akademische Einrichtungen, Organisationen zur Förderung des Gemeinwohls durch Dienstleistung oder Advocacy-Arbeit, soziale Bewegungen und Netzwerke für Kampagnen. (1) „Zivilgesellschaft“ wird „allgemein die gesellschaftliche Arena freiwilliger und kollektiver Aktivitäten verstranden, deren Handlungen freiwilliger Natur sind, orientiert an gemeinsamen Interessen, Zielen und Werten. Diese unterscheiden sich von jenen anderer gesellschaftlicher Akteursgruppen wie Staat, Wirtschaft und Familie. Zivilgesellschaft besteht aus einer großen Vielfalt an Freiwilligenorganisationen und umfasst nichtstaatliche Akteure und Vereinigungen, die nicht allein von privaten oder wirtschaftlichen Interessen geleitet und autonom organisiert sind, zivile Werte vertreten und in der Öffentlichkeit interagieren. Im Kontext der Friedensförderung wird Zivilgesellschaft als ein wichtiger Akteur für die Prävention von bewaffneten Konflikten, die Stabilisierung von Frieden und den Übergang von Friedensförderung zur Demokratisierung verstanden“. (2)

Die „Transformation von Konflikten“ (conflict transformation) im Rahmen von Friedenskonsolidierung (Peacebuilding) (3) ist erst relativ spät zum Gegenstand von Entwicklungsforschung und -Praxis geworden, aber längst nicht abgeschlossen. (4) Wurde früher die Rolle von externen Akteuren betont, steht heute unter dem Stichwort der conflict transformation die Rolle der lokalen Akteure und die der einheimischen Friedenskräfte im Vordergrund (local ownership). Jean Paul Lederach, amerikanischer Mennonit, Forscher und Praktiker, fand 1997 heraus, dass entscheidend für den Entwicklungsfortschritt die Friedenskräfte vor Ort im Konfliktland selbst sind. Er hält es für wichtig, „zerstörte menschliche Beziehungen wieder aufzubauen, Versöhnung innerhalb der Gesellschaft voranzutreiben und das Friedenspotenzial von Gesellschaften zu stärken. Eine Einmischung Dritter sollte sich darauf konzentrieren, interne Akteure aus dem Konfliktland zu unterstützen und externe Friedensbemühungen zu koordinieren“. (5) Grundlage dafür waren die Arbeiten von Johan Galtung zum positiven Frieden. Aufgaben von Peacebuilding sind, den Ursachen von Gewalt und ihren Folgen über den individuellen Bereich hinaus entgegenzuwirken. Dazu gehören „Not, materielle Zerstörung, der Zusammenbruch von sozialen Beziehungen, Hass gegenüber dem als Feind wahrgenommenen Gegenüber, Traumatisierung sowie oftmals die Schwächung oder gar der völlige Zusammenbruch von staatlichen Funktionen wie von Zivilgesellschaft. Peacebuilding schließt auch Tätigkeiten ein, die offen das Ziel verfolgen, politischen Wandel herbeizuführen.“(6) Der Ansatz der conflict transformation ergänzt den der conflict resolution (Konfliktbearbeitung durch individuelle Veränderungsprozesse), die folgende Wirkungskette beinhaltet: Schaffung einer Kultur des Friedens, Ermöglichung von Dialogräumen für Versöhnung, Reduzierung der Folgen von Gewalt sowie die Unterstützung von Akteuren und deren Vernetzungen für soziale Veränderungen. (7) 

Beispiele
Einige Beispiele aus dem Bereich des Zivilen Friedensdienstes (ZFD) illustrieren diese Aufgaben.

Das Projekt „PADET“ von EIRENE, Internationaler Christlicher Friedensdienst, in Kooperation u.a. mit den Partnerorganisationen „Bodenkommission im Département Téra“ und der Regionalkoordination der Lokalradios in Niger bemühte sich bis 2010 im Zuge der Bodenreform um die Vermittlung in Spannungen zwischen Ackerbauern und Viehhaltern. Dort streiten sich sesshafte Bauern und Vieh züchtende Nomaden um die knappen Ressourcen Boden und Wasser. Es ging und geht um den Ausgleich der sehr unterschiedlichen Interessen. Dem dienen Beratungen, Schulungen, Mediation, Konfliktanalyse und die Erarbeitung von Lösungen, die von den rivalisierenden Gruppen angenommen werden können. Das Projekt kooperierte auf höherer Ebene mit den Bodenrechts-Kommissionen der Kommunen, die die Bodenreform durchführen. Über die kommunalen Radiosender wird zu erfolgreichen gewaltfreien Konfliktlösungen und öffentlichen Ereignissen mit Bezug zu Konflikten und Kooperationen berichtet. (8)

Der Weltfriedensdienst war bis April 2011 Partner von „SINANI/ Kwa zulu- Natal Programm for Survivors of Violence“ in Südafrika. SINANI arbeitet in KwaZulu-Natal daran, die Spirale der Gewalt zwischen den Anhängern des African National Congress (ANC) und der Inkatha Freedom Party (IFP) zu durchbrechen. Während der Zeit der Apartheid in den 80er und 90er Jahren haben sich beide Parteien zum Nutzen des Apartheidregimes bürgerkriegsartig bekämpft. „SINANI unterstützt die Gemeinden KwaZulu-Natals dabei, den Teufelskreis der Gewalt zu durchbrechen, der Persönlichkeiten und gesellschaftliche Strukturen zerstört. Mit behutsamer Trauma- und Versöhnungsarbeit fördert SINANI individuelle und soziale Heilungsprozesse. Eine von SINANI initiierte große spirituelle Reinigungszeremonie im Jahr 2007 ragt dabei als Meilenstein hervor. Wichtige Persönlichkeiten KwaZulu-Natals riefen im Rahmen dieser Zeremonien zu gegenseitigem Respekt auf und traten öffentlich für gewaltfreie Konfliktlösungen ein. Eine Zeitung von und für Jugendliche stärkt das Ansehen der Organisation und ihrer Arbeit. Um der hohen Arbeitslosigkeit entgegenzuwirken, versucht SINANI wirtschaftliche Perspektiven aufzuzeigen. Dafür werden Kleinprojekte für Frauen und Jugendliche initiiert und Entwicklungsforen unterstützt. Lokale Wirtschaftsentwicklung ist eine wichtige Voraussetzung zur Bekämpfung der Armut.“ (9) Der WFD unterstützte die Bemühungen von SINANI, um Räume für Aussprache und Kommunikation zwischen den verfeindeten Parteien zu schaffen.

Das ZFD-Programm des Deutschen Entwicklungsdienstes (DED), nunmehr Teil der Gesellschaft für Internationale Zusammenarbeit (GIZ), kooperierte von 2007 bis 2010 bei dem Vorhaben „Gerechtigkeit und Versöhnung in Kambodscha“ mit mehreren zivilgesellschaftlichen Partnern im Umfeld des „Extraordinary Chambers of the Courts of Cambodia“ (ECCC), der für das Khmer-Rouge-Tribunal verantwortlich ist. Dieses Tribunal soll helfen, den Genozid des Khmer-Rouge-Regimes aufzuarbeiten. Das Land leidet heute noch unter den Folgen des Massenmordens der roten Khmer (Landprobleme, soziale Integration ehemaliger Kämpfer, Minenräumung). Die Kooperation setzt an zentraler Stelle an, weil die Aufarbeitung des Genozids der Schlüssel für seine demokratische Zukunft Kambodschas ist. Paffenholz bewertet im Evaluierungsbericht zum ZFD das Projekt als nachhaltig und komplementär zu Aktivitäten des ECCC und internationaler Akteure auf der Grundlage eines Mehrebenen- und Multiakteursansatzes. (10)

Organisationen der Zivilgesellschaft nehmen für sich zwar in Anspruch, Agenten des Wandels zu sein, wenn sie sich in Konflikte anderswo einmischen. Um aber im Sinne von conflict transformation über den individuellen Bereich hinaus einen Wandel bewirken zu können, sind – um beim Beispiel des ZFD zu bleiben - nach den Erkenntnissen der Evaluierung des Paffenholz-Teams nötig: (11)

  • Eine große Anzahl von Menschen ist zu erreichen.
  • Die Zusammenarbeit mit eingeführten Institutionen und Einrichtungen über den lokalen Rahmen hinaus und/oder die mit anderen Friedens- und Entwicklungsorganisationen ist zu organisieren.
  • Informationen müssen effektiv verbreitet werden.
  • Lokale Strukturen müssen unterstützt oder aufgebaut werden.
  • Die Probleme der Bevölkerung müssen konkret angesprochen werden. Trainingskurse für Gewaltfreiheit bleiben ohne Wirkung, wenn sie nur allgemein gehalten, aber nicht mit konkreten Veränderungschancen z.B. in Schulen oder für Landrechte verbunden werden.
  • Programme und Projekte müssen auf die öffentliche nationale, regionale und lokale Tagesordnung gesetzt werden.
  • Die ausländischen Intervenierenden arbeiten mit wichtigen einheimischen Organisationen zusammen.
  • Die Programme unterliegen einem effektiven Monitoring.

Diese Elemente können helfen, die local ownership, also einen „Prozess wie auch das Ziel der graduellen Übernahme von Verantwortung durch lokale Akteure“ zu bewirken. Local ownership bedeutet nicht, „bereits definierte internationale Politiken an lokale Realitäten anzupassen“. (12) Entscheidend für die Verminderung von Gewalt und die Vermeidung von Krieg sind letztlich nicht Drittstaaten oder ausländische zivilgesellschaftliche Intervenierender, sondern zivilgesellschaftliche (und staatliche) Akteure im Lande selbst. Die einheimischen Ansätze werden durch Einmischung von außen oft geschwächt oder gar an den Rand des Geschehens gedrängt. (13)

Die Grenzen einer zivilen Intervention sind erreicht, wenn sie – ungewollt – mehr Schaden als Nutzen stiftet. Zu beachten ist also der Grundsatz des „do no harm“, eingeführt von Mary B. Anderson.(14) Nach Jochen Hippler (15) sind entscheidend ein „politisch organisierter“ und „öffentlich artikulierter“ Reformdruck, aber auch der „Charakter der Staatlichkeit und die Wirksamkeit der staatlichen Strukturen“. Staatliche Schwäche, z.B. bei failed states, oder „Reformfeindlichkeit“, z.B. ausgeübt durch Sicherheitsapparate, sowie bewaffnete Gewalt hemmen zivilgesellschaftlichen Einfluss von außen. Beispiele dafür sind Afghanistan und Syrien.

Anmerkungen
1) United Nations, We the peoples: Civil Society, the United Nations and Global Governance, Report  of the Panel of Eminent Persons on United nations Civil Society Relations, New York, 2004, UN-Document A/56/817,  (Cardoso-Report)

2) Paffenholz, T. et al. (2011): Der Zivile Friedensdienst: Synthesebericht. Band I: Hauptbericht. Unveröffentlichter Evaluierungsbericht. Bonn: Bundesministerium für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung, S. 14 f

3) Peacebuilding, von Boutros Boutros Ghali 1992 in seiner „Agenda für den Frieden“ begrifflich geprägt, ist eine Friedensstrategie neben der Prävention, dem Peacemaking zur politischen Regelung eines gewaltsamen Konfliktes und dem Peacekeeping zum Schutz von Menschen vor Gewalt und Verletzung ihrer Menschenrechte, vgl. Christine Schweitzer, Erfolgreich gewaltfrei – Professionelle Praxis in ziviler Friedensförderung, ifa-Studien, Institut für Auslandsbeziehungen, Stuttgart, 2009, S. 36

4) Grundsätzliche Ausführungen sind zu finden in der “Friedens-Warte” 2010, Bd 85, Heft 4, zu “Zivilgesellschaft und Frieden”, ua. von Thania Paffenholz, Martina Fischer und Cornelia Brinkmann; Thania Paffenholz und Christoph Spurk, Civil Society, Civic Engagement, and Peacebuilding. Social Development Paper 36, Weltbank, 2006, http://siteresources.worldbank.org/INTCPR/Resources/WP36_web.pdf; Martina Fischer, Civil Society in Conflict Transformation – Strengths and Limitations, in: Berghof Handbook for Conflict Transformation, http://www.berghof-handbook.net/articles/section-i-concepts-and-cross-cu... (Zugriff 15.12.2011)

5) Paffenholz, aaO, S. 15, 31; ebenso Schweitzer aaO, S. 7

6) Schweitzer, aaO, S. 9

7) Paffenholz, aaO, S. 30

8) http://www.eirene.org/projekt/padet-friedensförderung-und-dezentralisierung-im-niger-oder-konfliktbearbeitung-im-zusammenh  (Zugriff 12.12.2011)

9) Weltfriedensdienst, Querbrief  3/2011, S. 4, http://www.wfd.de/projekte/friedensdienst/suedafrika-sinani-psv.html (Zugriff 12.12.2011)

10) Paffenholz, T. et al. (2011: Der Zivile Friedensdienst: Synthesebericht, Band I Hauptbericht, S.71; Band II: Länderstudien und Anlagen, Unveröffentlichter Evaluierungsbericht. Bonn: Bundesministerium für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung, S. 25 ff

11) Paffenholz, T. et al. (2011: Der Zivile Friedensdienst: Synthesebericht, Band I Hauptbericht, S. 35 f; ähnlich: Schweitzer aaO, S. 10 f, S. 62 f

12) Major, Pietz, Schöndorf, Hummel, Toolbox Krisenmanagement, Stiftung Wissenschaft und Politik und Zentrum für Internationale Friedenseinsätze, Berlin, 2. Auflage, 2011, S. 11

13) Schweitzer aaO, S. 7.

14) Collaborative Learning Projects, Do No Harm Handbook, Camebridge 2004, www.cdainc.com; Schweitzer aaO S. 13

15) Jochen Hippler, Strategische Grundprobleme externer politischer und militärischer Intervention. Unter Berücksichtigung der Krisensituationen des Nahen und Mittleren Ostens, INEF-Report 103/2011, S. 35 ff

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Ulrich Frey ist Mitglied im SprecherInnenrat der Plattform Zivile Konfliktbearbeitung.