Westfälischer Friedenspreis

Münster, der Westfälische Friede heute und seine Friedenspreise

von Dieter Kinkelbur
Hintergrund
Hintergrund

2012 wurde der EU der Friedensnobelpreis verliehen. War dies eine gute Entscheidung (1) oder eher eine naive, da sie sowohl die historischen, kolonialen Außenbeziehungen der westeuropäischen Staaten ignorierte, als auch die im Zuge des Lissabonvertrags in Gang gesetzte Militarisierung der EU wahlweise ignorierte oder guthieß? Inwiefern quasistaatliche Akteure überhaupt geehrt werden sollten – wo es doch bei der Arbeit am Frieden (frei nach Hannah Arendt) um das menschliche Tun und Unterlassen geht – steht auf einem anderen Blatt.

Jetzt scheint sich die Geschichte zu wiederholen. Die Wirtschaftliche Gesellschaft für Westfalen und Lippe (WGWL) wird Mitte Juli den alle zwei Jahre verliehenen Westfälischen Friedenspreis an drei Staaten in der baltischen Weltregion vergeben: Estland, Lettland und Litauen. (2) Mehr Sinn hätte es vielleicht gemacht, die russische Stadt Kaliningrad mit auf die Rechnung zu nehmen. Immanuel Kant, der diese Stadt Zeit seines Lebens kaum verlassen hat, dachte dort für alle Weltbürgerinnen und -bürger über die Abschaffung stehender Heere nach. Auch wenn ein ewiger Frieden ein schöner Traum sein mag, ist eine dauerhafte Friedensordnung zwischen Staaten unter Einschluss Russlands ein Gebot einer postwestfälischen Ära.

Hilft aber der Blick auf das Weite und die Welt weiter? Geht womöglich sogar die Urbanität der Mondialisierung voraus? Oder wäre das Vorstellen, Herstellen und das Handeln für den Frieden die Maßgabe für den Frieden von und für Münster? Und – müssen auf Kosten der Wirtschaftsgesellschaft drei staatliche Repräsentanten eingeladen werden? Noch mehr Männer auf dem Bild der staatlichen Unterhändler von 1648 bis 2018! Wäre es nicht schön und angemessen, den Ausgang aus den Kriegstraditionen und einer Gewaltkultur im 20. Jahrhundert in der eigenen Kommune zu finden, in welcher das Denkmal für den Westfälischen Frieden verschwunden ist und von den Nationalsozialisten beseitigt wurde?

Was ist gewichtiger? Eine halbe Minute in der Tagesschau oder das Lernen von den BaltInnen, Männern, Frauen und Jugendlichen jenseits der Hauptstädte? Musik mag gegen Bedrohung und Waffen mitunter wirken, vielleicht kann aber neben der Kaliningrad-Königsberger Denkschrift ein aktuelles Buch für innereuropäische Diskurse und eine transnationale Debatte helfen. Wie sähe eine postwestfälische, weltgesellschaftliche Entwicklung ohne eine Erhöhung der nationalen wie weltweiten Militärausgaben aus?
Der Metropole Westfalens und dem Hochschulstandort Münster würde es gut zu Gesicht stehen, neben den beiden Mayors for Peace aus den Nachbarhauptstädten ein, zwei WissenschaftlerInnen aus Tallin (3) und – wenn es um Dialoge zum Frieden gehen sollte – eine Person aus der russischen Enklave an der Ostsee einzuladen.

Europa hat sich auf etwas zu besinnen, was gegen Großmachtambitionen steht. Der Kontinent bleibt auf das aufklärerische Erbe sowie den Verzicht auf Gewalt als Mittel der Politik angewiesen (oder muss dorthin zurück). Ein zusammenwachsendes Europa hat von daher und in Gänze auf Atomwaffen zu verzichten. So wäre also der Blick nach Paris und auch nach London zu richten, um einen Weckruf zu formulieren, der Verzicht auf nukleare Teilhabe am Spiel mit der Apokalypse und Entschluss zum „Österreichischen Weg“ verinnerlicht – wo doch Atomwaffenfreiheit Gesetzesrang genießt. Münster ist aufgefordert, der Kritik von Atomwaffen, dem völkerrechtswidrigen Gebrauch dieses Unmittels (4) einen Ort des Widerhalls zu geben.

Es sind keine acht Millionen Nobel-Euros in einem Jahr bzw. in einem Zweijahresrhythmus nötig. Die BürgermeisterInnen Münsters und die friedenspolitischen SprecherInnen aller Ratsfraktionen und -gruppen sind bei der ersten Friedenskonvokation Münsters im Frühjahr 2017 gefragt worden, ob sie einen Münster Friedenspreis vergeben, mitverantworten oder überreichen würden. Es ist Zeit – für Abrüstung, Konversion und positive Antworten in der früheren preußischen Garnisonsstadt Münster in Westfalen.

Für die Arbeit für den Frieden und eine Kultur des Friedens im Sinne der Vereinten Nationen hat Münster auch einen Preis verdient. Wenn es die Stadt, die Hochschulen in Münster und die vielfältige, regenbogenfarbene Stadtgesellschaft es nicht schaffen oder meinen, es sich nicht leisten zu können: Unser Förderverein Frieden ist zu einer Zustiftung für einen Friedenspreis urbi, einen Preis für das Bodenpersonal bereit.

Anmerkungen
1 Fredrik S. Heffermehl: The Nobel Peace Prize. What Nobel really wanted. Santa Barbara 2010; ISBN 978-0-313-38744-9
2 http://www.wirtschaftliche-gesellschaft.de/?id=267
3 Reinert, Erik S., Ghosh, Jayati, und Rainer Kattel (Hg.): Handbook of Alternative Theories of Economic Development. Cheltenham 2016
4 https://www.icanw.de/wp-content/uploads/2017/07/a-conf-229-17-8.pdf
5 http://internationaldayofpeace.org/about/

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Dieter Kinkelbur ist Sozialwissenschaftler und Lehrer. Er ist Vorsitzender des Fördervereins Friedensinitiativen in Münster e.V.