Am Ende erst wird abgerechnet

Nach dem Bleiberechtsbeschluss der Innenministerkonferenz sind viele Fragen offen

von Bernd Mesovic

Am 17. November 2006 hat die Innenministerkonferenz (IMK) die lange geforderte Bleiberechtsregelung für langjährig geduldete Flüchtlinge beschlossen. Die geforderte? Nein. Das was PRO ASYL gemeinsam mit anderen Nichtregierungsorganisationen gefordert hatte, sollte den Charakter einer wirklichen Schlussstrichregelung haben, großzügig sein und schließlich auch nicht den Rechtsstreitigkeiten der Vergangenheit neue Probleme hinzufügen, die vor Gericht ausgetragen werden müssen. Nachdem eine jahrelange Kampagne für das Bleiberecht von Flüchtlingsorganisationen, Wohlfahrtsverbänden und den Kirchen initiiert worden war und die Situation der Dauergeduldeten allerorten von Initiativen, Vereinen und Schulklassen auf die Tagesordnung gesetzt wurde, konnte sich die Politik der Forderung nach einer Bleiberechtsregelung für langjährig geduldete Menschen nicht völlig entziehen.

Föderale Zuständigkeitsstreitigkeiten und Eitelkeiten führten schließlich sogar dazu, dass zwei Bleiberechtsregelungen verabschiedet wurden, eine per Beschluss der Innenministerkonferenz und eine gesetzliche Reglung im Rahmen einer Neuregelung des Zuwanderungsgesetzes.

Ohne die Kampagne und insbesondere ohne die Aktivitäten der Betroffenen - insbesondere der Jüngeren unter ihnen - hätte es überhaupt keine Regelung gegeben. Und wenn jetzt einige zehntausend Menschen einen einigermaßen sicheren Aufenthaltsstatus bekommen, dann rechtfertigt dies alle Mühe, mit der PRO ASYL die Kampagne über Jahre hinweg begleitet hat.

Beide Regelungen kranken an einem systematischen und gewollten Mangel: Gerade alte, kranke und arbeitsunfähige Menschen bleiben von vornherein ausgeschlossen. Sie erneut auf die Warteliste für die Abschiebung zu setzen, ist besonders inhuman. Auch handelt es sich bei der Bleiberechtsregelung um eine Regelung mit festem Stichtag. Wer die vorgesehene Mindestaufenthaltsdauer nicht erfüllt, wird nicht begünstigt. Man hätte stattdessen eine permanente Altfallregelung nach einer bestimmten Aufenthaltszeit kreieren können. Die heftig kritisierten Kettenduldungen werden künftig nicht nur erhalten bleiben, Menschen werden so auch wieder in diesen unerträglichen Zustand des dauerhaft Geduldetseins hineinwachsen.

Der IMK-Beschluss begünstigt Familien mit Kindern nach sechs Jahren Aufenthalt, Einzelpersonen nach acht Jahren, wenn sie ihren Lebensunterhalt sichern können. Ausgeschlossen werden sollen diejenigen, die über ihre Identität getäuscht oder ihre Abschiebung verhindert haben, eine Regelung, die dazu führt, dass Ausländerbehörden in vielen Fällen dies zunächst einmal ins Feld führen und um das Bleiberecht gestritten werden muss. Ausgeschlossen bleibt auch, wer zu einer Strafe von mehr als 50 Tagessätzen verurteilt worden ist, für Straftaten im Zusammenhang mit dem Ausländerrecht gelten 90 Tagessätze. Der gesicherte Lebensunterhalt ist nach beiden Regelungen eine nicht leicht zu nehmende Hürde. Nach dem IMK-Beschluss erhielt, wer seinen Lebensunterhalt noch nicht vollständig gesichert hatte, eine Duldung zur Arbeitssuche bis zum 30. September 2007. Nach der gesetzlichen Regelung erhalten die Betroffenen eine Arbeitserlaubnis, mit der sie bis spätestens Ende 2009 ihren gesicherten Lebensunterhalt nachweisen müssen.

Es begann der langsame Behördenwalzer der Umsetzung. Die liegt in der Hand der Bundesländer, die eine Weile brauchten, um die Erlasse zu entwerfen, auf deren Basis dann von Bundesland zu Bundesland, von Kreis zu Kreis, von Stadt zu Stadt sehr unterschiedlich entschieden wurde. In ein und demselben Bundesland gab es extreme Unterschiede bei der Entscheidungspraxis zwischen einzelnen Ausländerbehörden. Sie bewegten sich von unter zehn Prozent positiv beschiedener Anträge auf ein Bleiberecht bis zu neunzig Prozent allein innerhalb Nordrhein-Westfalens. Mehr als 20.000 Anträge auf der Basis des IMK-Beschlusses waren zum Auslaufen der Regelung noch nicht einmal entschieden. Auch das Anlaufen der gesetzlichen Bleiberechtsregelung gestaltete sich schleppend. Innerhalb der ersten vier Monate der Frist wurden nur etwa 11.000 Aufenthaltserlaubnisse erteilt, viele davon "auf Probe", da der Lebensunterhalt noch nicht gesichert ist. Es droht der Rückfall in den unsicheren Status der Duldung, wenn im Laufe des Jahre 2009 keine existenzsichernde Beschäftigung nachgewiesen werden kann. Je nach Region und deren Arbeitsmarktsituation ist dies in vielen Fällen schwierig, mancherorts fast aussichtslos.

Beide Bleiberechtsregelungen haben bis Ende 2007 Aufenthaltserlaubnisse für etwa 30.000 bislang Geduldete gebracht. Vielleicht werden noch einmal 10.000 Aufenthaltserlaubnisse hinzukommen, wenn alle Anträge bearbeitet sind. Ob damit wenigstens ein Viertel der in Deutschland lebenden Geduldeten begünstigt wird, ist nicht sicher. Abgerechnet wird zum Schluss. Ende 2009 steht die Verlängerung der erteilten Aufenthaltserlaubnisse an. Die Probleme, die dann ihre Wirkung entfalten, sind jetzt schon bekannt: Das Leben in Gebieten mit hoher Arbeitslosigkeit, die zunehmende Zahl von nichtexistenzsichernden Jobs im Niedriglohnbereich und die besondere Situation der größeren Familien.

Bereits zuvor droht nach der Systematik der Regelung, die Ältere, Kranke und Behinderte außen vor lässt, ein verstärkter Ausreise- und Abschiebungsdruck auf gerade diese Problemgruppen. Ob eine Welle von "Seniorenabschiebungen" wirklich stattfinden kann, wird auch von der Bereitschaft der Flüchtlingsorganisationen und der Nachbarn aus dem engsten Umfeld abhängen, es den Ausländerbehörden so schwer wie möglich zu machen und die inhumanen Aspekte dieser angeblich menschenfreundlichen Regelung in ihren Auswirkungen zu zeigen.

Die Bundesregierung jedenfalls hat sich in einiger Hinsicht extremistischen Interpretationen der Bleiberechtsregelung angeschlossen, wie sie etwa das Land Niedersachsen vertritt. Dort wird die Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis im Rahmen der Altfallregelung davon abhängig gemacht, dass die Betroffenen prognostisch bis zum Eintritt des Rentenalters in der Lage sein müssen, die Voraussetzungen "für eine auskömmliche Rente" zu schaffen. Kaum ein Deutscher weiß zur Zeit, ob er es bei der Sozialpolitik dieser Bundesregierung schaffen wird, sich die Voraussetzungen für eine auskömmliche Rente zu erarbeiten, Riester hin - Minijobs her. Schafft es jetzt ein Fünfzigjähriger, einen Job zu finden, der ihn durchaus unabhängig von Sozialhilfe macht, dann erhält er möglicherweise allein deshalb kein Bleiberecht, weil er es trotzdem nicht schaffen wird, einen ausreichenden Rentenanspruch zu erwerben. Die jahrelang von der Politik systematisch Ausgegrenzten und Benachteiligten sollen jetzt so schnell wie möglich nachweisen, dass sie integriert sind. Soviel zur Ehrlichkeit deutscher Integrationspolitik.

Die von Politikern der Union besonders gelobte und insbesondere vom sächsischen Innenminister Schünemann initiierte Regelung des § 104 b Aufenthaltsgesetz hat in ganz Deutschland gerade mal zu einer Handvoll Aufenthaltserlaubnissen geführt. Dieser Paragraph sieht vor, dass Kinder geduldeter Ausländer, die älter als 14 Jahre sind, auch dann eine Aufenthaltserlaubnis erhalten können, wenn die Eltern selbst die Voraussetzungen nicht erfüllen. Allerdings gilt dann: Die Eltern müssen ausreisen. Vor diese unsittliche Entscheidungssituation zwischen dem Leben mit der Familie im längst fremd gewordenen Herkunftsland nach Abschiebung oder einem Bleiberecht in Deutschland ohne die Familie gestellt, haben sich offenbar fast alle für die Bewahrung der Familie entschieden. So werden denn demnächst Familien im Kosovo, in Serbien oder in Afghanistan ankommen, deren Kinder in Deutschland sozialisiert worden sind und für die Deutschland ganz selbstverständlich die eigentliche Heimat ist. Die Verbannung ist noch nicht endgültig abgeschafft in diesem Lande.

Trotz solch weiter bestehender Unklarheiten über viele Schicksale ist es erfreulich, den Weg derer zu verfolgen, die zum Teil nach zehn- oder fünfzehnjährigem Aufenthalt endlich etwas anfangen können mit ihren Fähigkeiten. Gerade den lokalen Unterstützern der Bleiberechtskampagne ist es in vielen Fällen zu verdanken, dass gerade viele junge Erwachsene jetzt Ausbildung und Studium beginnen oder mit der Aussicht der Umsetzung des Gelernten in Deutschland abschließen können.

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Bernd Mesovic ist stellvertretender Geschäftsführer von PRO ASYL. Seit 1980 beschäftigt er sich mit der Thematik Flucht und Asyl.