Kritik der Wuppertaler Umwelt-Studie

Nachhaltig zukunftsfähig?

von Ulrich BrandStefan Armborst
Schwerpunkt
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Die Studie "Zukunftsfähiges Deutschland" von MISEREOR und dem Bund für Umwelt und Naturschutz (BUND) ist nicht nur in der Medienöffentlichkeit ein Knaller. Das gut 400 Seiten starke Kompendium präsentiert sich als Angebot, den ökologischen Wandel der  Marktwirtschaft mit Hilfe von klaren Reduktionszielen und Leitbildern endlich anzugehen. Mit Sätzen wie "Lieber Kilowattstunden als Arbeitskräfte sparen" kann der ideologisch übermächtige Diskurs der Neo-Liberalen, jedenfalls in Talk-Shows, angeknackt werden. Allerdings haben insbesondere viele Dritte Welt Gruppen heftigste Bedenken angemeldet. Im Folgenden tragen Stefan Armborst und Ulrich Brand, Mitglieder der AG "Sustainable Development" des Bundeskongresses entwicklungspolitischer Aktionsgruppen (BUKO), eine Kritik an der Studie vor. Ihr Hauptaugenmerk gilt der Frage, wie die Restlinke die Fülle der erarbeiteten Materialien der Studie in einen anderen Diskurs stellen könnte.

Der erste Teil der Studie "Zukunftsfähiges Deutschland" (ZD) benutzt naturwissenschaftlich-quantitative Methoden, um zu einer "Bestandsaufnahme" des Umweltverbrauchs in der BRD zu kommen. Für die AutorInnen ist der sogenannte Umweltraum der zentrale Maßstab für eine erst auf der Basis ethischer Wertmaßstäbe bestimmbare "Zukunftsfähigkeit" einer Gesellschaft. Dieser "natürliche Handlungsrahmen" zukünftiger wirtschaftlicher und gesellschaftlicher Entwicklung errechnet sich aus der Tragfähigkeit von Ökosystemen, der Regenerationsfähigkeit natürlicher Ressourcen und der Verfügbarkeit von Rohstoffen. Die Größe des zur Verfügung stehenden "Umweltraumes Deutschland" ergibt sich aus den postulierten gleichen Nutzungsrechten für alle Menschen weltweit und wird entsprechend der hiesigen EiwohnerInnenzahl hochgerechnet. Dem werden die heutigen Ressourcen-, Energie- und Materialverbräuche sowie Schadstoffemissionen gegenübergestellt und der nicht gerade neue Schluß formuliert: Die in Deutschland lebenden Menschen überziehen ihr "Umweltkonto" ganz beträchtlich. Aus dem Vergleich mit dem heutigen Umweltverbrauch und dem laut Umweltraum "erlaubten" Konsum werden Reduktionsziele abgeleitet. Dies führt dann zu Reduktionsszenarien von ca. 25 Prozent bis zum Jahr 2010 und bis zu über 80 Prozent bis zum Jahr 2050. Dem schließen sich Forderungen nach einer hundertprozentigen Umstellung auf eine biologisch-organische Landwirtschaft und einer drastischen Einschränkung des Güter- und Personenverkehrs an.

Die Anrufung des Individuums

Derartige Veränderungen in bezug auf die materielle Basis des Stoffwechsels mit der Natur innerhalb von wenig mehr als 50 Jahren müssen zwangsläufig zu Umstellungen der Produktions- und Lebensformen führen. Zur Umsetzung der skizzierten Umweltziele präsentiert die Studie nun ihr eigentliches `Herzstück`, die sogenannten Leitbilder für die "sozial-qualitative Gestaltung" einer zukunftsfähigen Gesellschaft. Den verschiedenen gesellschaftlichen "Akteuren-Unternehmer, Erwerbstätige, Verbraucher, öffentliche Versorger, Gesetzgeber, Städter, Bürger in ländlichen Gebieten, entwicklungspolitisch Engagierte" - werden hier "realistische" Möglichkeiten ökologisch verantwortbaren Handelns präsentiert. Dabei geht es nach eigenen Worten darum, eine "Domestizierung der Marktwirtschaft" sowie deren "ökologisch zuträglichen Entfaltung" zu skizzieren. Die angestrebte Reduzierung des effektiven Verbrauchs in den relevanten Bedarfsfeldern muß nach Ansicht der AutorInnen der Studie aber zusätzlich durch ein neues "Wertemodell" auf der Ebene des Individuums ergänzt werden. Dieses bleibt aber in seiner Rolle als Konsument verhaftet. Das politische Subjekt wird nicht erfaßt. Ebenso vermißt der/die LeserIn eine Standortbestimmung der Umweltbewegung, eine Analyse gewerkschaftlicher Politik sowie eine Kritik der offiziellen Umweltpolitik. Auch fällt kein Wort zu den Veränderungen des patriachalen Geschlechterverhältnisses als notwendigem Bestandteil sozialökologischer Transformierungen.

Blinde Flecke

Aus politischen Opportunitätsgründen und wohl wider besseren Wissens erfolgt keine Analyse der Ursachen der sozial-ökologischen Krise. Zudem Fallen die Zusammenhänge zwischen gesellschaftlichen Strukturen und möglichen politischen Handeln von Anfang an auseinander. Die in der Einleitung der Kurzfassung gestellte Frage, "warum und wie die Gesellschaft sich in hohe Stoffverbräuche verwickelt hat", bleibt unbeantwortet.Problematisch ist auch ein Verständnis von "Natur", welches einerseits "Natur" als quantifizierbare Ressource ansieht, die im Rahmen eines ökologischen Sozialprodukts einen Preis bekommen und damit in die Marktrationalität eingepaßt werden soll, und andererseits sie auch als "schützenswertes" Gut betrachtet. Ohne Frage ist es notwendig, sich in einem gewissen Rahmen naturwissenschaftlicher Kategorien zur Beschreibung von Naturzerstörungen und -gefährdungen zu bedienen. Aber der Umweltraum als objektiven "natürlichen Handlungsrahmen" zu konzipieren, greift zu kurz. Die Bestimmung von wissenschaftlich fundierten Grenzwerten und Reduktionszielen kann nur als Prozeß verstanden werden. Die Blindheit der ökonomischen Mechanismen gegenüber den natürlichen Grundlagen des Lebens ist nicht nur ein Ressourcenproblem oder ein Problem ausreichender Deponieräume, sondern als spezifisches Vermittlungsverhälnis von Natur und Gesellschaft zu verstehen. Soziale Auseinandersetzungen und divergierende Interessen, wie sie ausnahmsweise auch im Bereich der Energiewirtschaft angesprochen werden, gehen nur ganz am Rand in die Studie ein. Die historischen Erfahrungen der Ökologiebewegung, daß nämlich grundlegende Veränderungen an bestimmten Interessen scheitern, werden damit negiert. Man will offensichtlich niemanden wehtun. Die "Ökologiebewegung" oder "entwicklungspolitisch Engagierte" schrumpfen auf eine Restgröße: Ihr teilweise bis heute bestehender Protestcharakter, der in der Geschichte dieses Landes durchaus sinnvolle Veränderungen anstieß, ist offenbar unwichtig.

Ökostandort Deutschland

Die Auftaggeber der Studie wollen, zumindest dem Anspruch nach, einen breiten Diskussionsprozeß einleiten und dem ökologisch-sozialen Reformprozeß neuen Atem geben. Die dahinterstehende politische Strategie weist in Richtung verstärkter Lobbyarbeit. Durch eine spezifische Mixtur von Diskurselementen über Umwelt und Nachhaltigkeit soll dazu beigetragen werden, eine lager- und institutionsübergreifende hegemoniale `ökologische Diskursordnung` (Egon Becker) in dieser Republik zu verfestigen. Weil jedoch dem postulierten Menschheitsinteresse angesichts drohender materieller Einbußen im Norden des Globus wohl insgeheim doch nicht die nötige Durchschlagskraft beim angestrebten radikalen stofflichen Rück- und Umbau zugetraut wird, bleibt es dabei, allen angesprochenen "Akteuren" die Nutzeffekte einer anstehenden "ökologischen Erneuerung" schmackhaft zu machen: den Gewinnerunternehmen weltweite Absatzmärkte, den PolitikerInnen Standortvorteile, den ArbeitnehmerInnen Gestaltungsspielräume durch eine Flexibilisierung der Arbeitsmärkte und den bisher Mobilitätsorientierten mehr Muße und Beschaulichkeit. Die Vorgängerstudie "Sustainable Netherlands" war mit dem drastischen `Kleinrechnen` des im Umweltraum nachhaltigen Energieverbrauchs auf die Einzelne und den Einzelnen zumindest konsequenter. Konzepte der politischen, ökonomischen und sozialen Transformation, die angesichts der strukturellen Verfaßtheit diesre Gesellschaft in ihrer Reichweite den angestrebten stofflich-energetischen Reduktionszielen entsprechen, sucht man in der Studie vergeblich. Die dramatischen Reduktionsziele entsprechen keineswegs einem institutionellen Umbau von Gesellschaft, den man angesichts der heutigen Lage nur als `revolutionär` bezeichnen könnte.

Der globale Nachbar

Auch im Bereich der "globalen Zukunftsfähigkeit", d.h. der internationalen Verknüpfung sozialökologischer Fragen mit denen der Weltwirtschaft, der Entwicklungsperspektiven peripherer Länder sowie der Zukunft der Nationalstaaten, zeigt sich das analytische Defizit der Studie in besonders deutlicher Weise. Die sozial ruinösen Folgen der globalen "Standortkonkurrenz", die durch die neoliberale Strukturanpassung erzwungene Ausplünderung von Natur- und Rostoffreserven zum Zwecke der Devisenerwirtschaftung, die Ausgrenzung von Regionen und Menschen aus dem globalen Markt und nicht zuletzt der Funktionswandel für die nationalstaatliche Regulierungskompetenzen werden entweder ignoriert oder aber (wie oft bei den eigentlich heiklen Aspekten) in Form von Fragesätzen in den Raum gestellt, ohne die dahinterliegende strukturelle Problematik einzubeziehen. Hier nur ein eloquentes Beispiel: "Ist auf einem zukunftsfähigen Weltmarkt Platz für alle, die auf ihn drängen?" Die anvisierten Verbindungen von technologischem Innovations- bzw. Produktivitätsschub und "Lebensstilwandel" vergrößern die globale Tendenz zur Fraktionierung und Ungleichheit, da den abhängigen Ländern, im Gegensatz zu den Metropolengesellschaften, weder technologisch noch sozial alternative Optionen offenstehen. Die weltweit um die regionalen Wachstumspole gescharten Produktionszweige werden sich durch den Konkurrenzdruck eben nicht `entschleunigen`. Das in der Studie vertretene Leitbild der "globalen Nachbarschaft" appelliert mit seiner Forderung nach fairen Handel und globaler Chancengleichheit zwischen Nord und Süd an einen "aufgeklärten, langfristig denkenden Eigennutz" der Industrieländer. Wer allerdings wie die AutorInnen der Studie dabei die Transnationalen Konzerne nur streift bzw. an anderer Stelle nur beiläufig von der "Mitverantwortung" spricht, die die Industriestaaten für das übernehmen sollen, was von den Unternehmen ihrer Länder imm Süden getan wird, der macht sich unglaubwürdig, weil er jahrelange Debatten und dabei erarbeitete Positionen und Analysen der internationalen Umwelt- und Entwicklungsbewegung einfach außer acht läßt.

Kritik an der Kritik

An dieser Stelle wollen wir uns auf die KritikerInnen der Studie einlassen. Zwei Varianten der Reaktion dominieren die Auseinandersetzung. Oft fällt der inhaltliche Mangel der Konzepte der KritikerInnen auf. Sie bleiben entweder in reinen Denunziationsphrasen stecken oder benutzen aus der quantitativen Masse der Studie einzelne Versatzstücke für ihre eigene Arbeit. Solche Vorgehensweisen laufen Gefahr, linke Kritik und Politik zu versteinern. Am Beispiel des Bezugsrahmens Individuum läßt sich dies deutlich machen. Gerade die Fixierung der Studie auf die individualistisch ausgerichteten `Leitbilder` wären in diesem Kontext alles andere als unrealistisch zu bewerten oder als reine Ideologie abzutun. Sie weisen vielleicht eher auf neue Formen konsensualen und legitimierten sozialen Verhaltens hin, die zukünftige soziale Spaltungen abfedern helfen und gleichzeitig auf der Ebene der symbolischen Ordnungen und der daraus resultierenden individuellen Verhaltensnormen die geänderten gesellschaftlichen Naturverhältnisse eines "ökologischen Kapitalismus" reflektieren. Ohne Frage gibt es "das" Konzept von `Sustainable Development` nicht. Der Begriff und seine Umsetzung ist umkämpft. Genau dies macht die Studie ZD so wichtig, denn sie ist ein zentrales Diskursfragment im sich verfestigenden Sustainibility-Diskurs. Man kann sich deshalb auch nicht die Zielvorgaben des Wuppertaler Instituts umstandslos aneignen und die Chancen der Realisierung durch eigenes (zum Beispiel kozeptionelles) Engagement vergrößern. ZD kann nicht als Steinbruch genutzt werden, aus dem man sich beliebig bedient. Die Studie ist kein Sammelsurium, sondern ein deutlicher Wurf. Die acht entworfenen Leitbilder sind keine einzelnen Vorschläge, sondern skizzieren ein relativ umfassendes gesellschaftliches Zukunftspanorama.

Eine Institution wie der Bundeskongreß Entwicklungspolitischer Gruppen (BUKO), der sich dem allgemeinen Schulterschluß fast aller entwicklungspolitischen NRO's mit dem Bundesministerium für wirtschaftliche Zusammenarbeit (BMZ) widersetzt und mit einer ersten Replik ("Zunkunftsfähiges Deutschland" - Ein Technokratenmärchen) Staub aufgewirbelt hat, sowie die um eine Neudefinition des Internationalismus ringenden Restlinken sollten sich aber nicht allzulange an der Studie abarbeiten,. Es gilt stattdessen, die entstehende Debatte und ihre blinken Flecken zum Anlaß zu nehmen, um Selbstverständigungsprozesse in den eigenen Reihen zu beginnen, die aus dem Ghetto herausführen und die Anziehungskraft für Außenstehende erhöhen. Theoretische Konzepte wie die der "solareden Revolution" (Elmar Altvater) oder des "radikalen Reformismus" (Joachim Hirsch) müssen klarer gemacht werden.

Alternativen zur "Öko-Aristokratie"

Die Gratwnderung, die sich zwischen den Polen "Ablehnung der gesamten Nachhaltigkeitsdiskussion" und der schlicht "kritischen Zustimmung" bewegt, gilt es zu beginnen. Eine Antwort auf das fundamentale Demokratiedefizit in der Studie setzt voraus, sich mit der Demokratisierung des Produktionsbereichs sowie aller gesellschaftlichen Institutionen als notwendiger Voraussetzung sozialökologischer Transformationen zu beschäftigen.

Die Studie ist gerade aufgrund der ihr inhärenten Inkonsistenzen und Leerstellen sowie das dadurch zum Ausdruck kommenden Opportunismus Sinnbild der starken Orientierungslosigkeit im umwelt- und entwicklungspolitischen Bereich. Die Erfahrungen der Menschen mit sozialökologischen Krisen wie auch mit Überwindungsversuchen spielen keine Rolle bei diesem Ansatz "von oben". "Unten" soll "umgesetzt" werden. man könnte es auch in Abwandlung des "demokratischen Zentralismus" einen "undemokratischen Dezentralismus" nennen. Trotz alledem: Wenn sich nun - wie z.B. in Berlin und Münster - aus gegebenen Anlaß neue Zusammenschlüsse von Gruppen und Einzelpersonen herausgebilden, die mit dem Bezug auf die Studie neue bewegungsübergreifende Diskussionsprozesse beginnen, dann ist das grundsätzlich erst einmal zu begrüßen.

Daß die Durchsetzung einer hiesigen "ökokorporatischen Modernisierung kapitalistischer Herrschaft unter dem label der "Nachhaltigkeit", welche die bestehenden Eigentumverhältnisse und Weltwirtschaftsstrukturen, den Verwertungsimperativ und das Geschlechterverhältnis unangetastet läßt, nicht so richtig in die Gänge kommen will, liegt vielleicht auch an der scheinbaren Alternativlosigkeit von Politik und der damit verbundenen Eindimensionalität des Denkens. Erstarkende gegenkräfte von unten, die die soziale und ökologische Frage zusammendenken und auch das Nachsinnen über einen "ökologischen Sozialismus" - über Macht-, Eigentums- und Verteilungsverhältnisse - neu aufnehmen, würden Zugeständnisse erzwingen, wie sie die Ökologiebewegung unter anderen gesellschaftlichen Vorzeichen in den 80er Jahren erreicht hat. Angesichts des gegenwärtigen Zustands politischer Opposition wäre eine Spaltung entlang der Frage, ob denn nur das Nachdenken über sinnvolle Formen "ökologischer Regulierung des Kapitalismus" per se schon "des Teufels" sei, ist angesichts der sich Jahr für Jahr überbietenden Rekorde ökologische bedingter Katastrophen genauso problematisch wie umgekehr die Mißachtung außerparlamentarischer und -instituioneller Handlungsspielräume.

Eine vielfältig emanzipatorische Politik müßte neben dem weltweit parktizierten Ökoimperialismus auch die realexistierende "Öko-Aristokratie" metropolitanen Zuschnitts in sAuge fassen, ansonsten würde eine "Ökologisierung auf eine Bestätigung und Verschärfung der gegenwärtigen Containment-Politik gegen die "Verdammen dieser Erde" hinauslaufen. Dazu würde es gehören, den Menschen das blinde Vertrauen in das technokratische Management als Allheilmittel zu nehmen und ihnen die Erkenntnis zu erleichtern, daß Selbstbestimmung, Menschemwürde und die Befriedigung eigener elementarer Bedürfnisse global vermittelte Probleme sind. Dies können nur angegangen werden, wenn "Freiheit, Demokratie Gerechtigkeit" (EZLN) in den jeweiligen lokalen und nationalen Verhältnissen wie auch weltweit neu definiert und erkämpft werden.

aus: blätter des iz3w, Nr. 211, Feb. 96

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Ulrich Brand arbeitet an der Universität Kassel am Fachgebiet "Globalisierung und Politik", ist politisch aktiv in der Bundeskoordination Internationalismus (BUKO) und im wiss. Beirat von Attac.