Haus für Deserteure in Budapest eröffnet

NATO instrumentalisiert Deserteure aus Jugoslawien

von Rudi Friedrich
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Nachdem mehrere Wochen lang die NATO Jugoslawien bombardiert hatte, wurde plötzlich über massenhafte Desertionen berichtet. Auffällig war daran, dass dies in eine Zeit fiel, in der die NATO keine Perspektive mehr hatte. Hier sollte offensichtlich suggeriert werden, dass der Widerstand aufgrund des NATO-Einsatzes erfolgte. Deserteure der feindlichen Armee wurden so für die eigenen Zwecke instrumentalisiert.

Die NATO hatte in Flugblättern zur Desertion aufgerufen: "Verlasst Eure Einheit und Euer Kriegsgerät und flieht aus Kosovo, so weit Euch die Füße tragen". Auch das Europäische Parlament "fordert die Mitgliedsstaaten" in einer Erklärung vom 6. Mai 99 auf, "Deserteuren der jugoslawischen Armee und Kriegsdienstverweigerern eine zeitweilige Aufenthaltsgenehmigung für die Europäische Union zu erteilen".

Ignoriert wurde der schon länger bestehende Widerstand: Mehrere Tausend hatten sich schon im Vorfeld des Krieges den Einberufungen entzogen. So protestierten im März 99 annähernd 100 Reservisten in Leskovac: "Lasst diejenigen, die uns in einen Krieg führen wollen, in den Krieg ziehen. Wir werden nicht gehen." Einige kleinere Parteien in Montenegro und der Vojvodina riefen dazu auf, nicht auf die Einberufungen zu reagieren und unterstützten Kriegsdienstverweigerer und Deserteure. Vor allem Minderheiten hatten sich den Rekrutierungen entzogen. Verkannt wurde auch, dass sich auch bei der UCK, die eine allgemeine Mobilisierung angeordnet hatte, Männer dem Dienst entzogen oder sich weigerten, Kriegssteuern zu zahlen.
Es ist unklar, wie viele tatsächlich den Einberufungen nicht nachkamen oder desertierten. Inzwischen wird in Jugoslawien von über 20.000 Strafverfahren wegen Nichtbefolgung der Einberufung und Desertion ausgegangen. Das Strafmaß erhöhte sich durch die Ausrufung des Kriegszustandes. Nach Art. 214 und 217 sind Haftstrafen von ein bis zehn Jahren möglich, bei Flucht ins Ausland von fünf bis zwanzig Jahren. Der Präsident des Militärgerichtes in Belgrad erklärte, dass die Mindeststrafe bei Nichtbefolgung der Einberufung fünf Jahre Haft betrage. Eine Reihe von Verurteilungen sind bekannt.

Aufgrund der drohenden Repressionen sind viele ins Ausland geflohen. So wurde von fünf bis sechstausend Wehrflüchtigen in Sarajevo ausgegangen. Auch in Ungarn gibt es sicher einige tausend Wehrpflichtige, die sich den Rekrutierungen entzogen haben. Sie leben in Flüchtlingslagern, in denen sich 6 bis 16 Personen einen Raum teilen und ihre Bewegungsfreiheit eingeschränkt ist, sie leben als Touristen ohne finanzielle Mittel auf der Straße, eine unbekannte Zahl befindet sich außerdem wegen "illegalem Grenzübertritt" in ungarischen Gefängnissen. So versuchen sie, ins westeuropäische Ausland weiterzuwandern. Sie erhalten allerdings keine Visa, so dass ihnen dieser Weg verwehrt ist.

Den wenigen, denen tatsächlich die Flucht nach Deutschland gelungen ist, wird dennoch kein Schutz gewährt. Die Verfolgung von Kriegsdienstverweigerern und Deserteuren gilt nicht als Asylgrund. Stehen sie im Asylverfahren oder erhalten sie eine befristete Duldung, so begründet sich dies auf die Tatsache, dass keine Abschiebung möglich ist und die Asylanträge von allen Flüchtlingen aus der Bundesrepublik Jugoslawien derzeit nicht bearbeitet werden. Eine Arbeitserlaubnis erhalten sie gleichwohl auch für diesen Zeitraum nicht. Wird dieser Zustand geändert, ist mit Ablehnungen des Asyls und Abschiebungen zu rechnen.

In dieser Situation hat Connection e.V. eine Eigeninitiative von Deserteuren aufgegriffen, die in Budapest ein "Haus für Deserteure" eröffnet haben (siehe beiligendes Faltblatt). "Wir benötigen Eure dringende Unterstützung, um den aus Jugoslawien nach Budapest geflohenen Deserteuren einen zeitlich befristeten Schutz anbieten zu können", schreiben die Initiatoren. Es ist ihnen jedoch auch klar, dass dies nur ein kleiner Schritt sein kann. "Zu einer tatsächlichen Hilfe sind lediglich die europäischen Regierungen in der Lage, indem sie ihre Grenzen öffnen und den Deserteuren einen Rechtsstatus anbieten, wie sie ihn offiziell immer wieder versprochen haben."

Zugleich wird derzeit über entsprechende Beschlüsse der Städte Osnabrück, Münster und Bonn versucht, einige Deserteure einzuladen, ihnen so einen Schutz zukommen zu lassen und politischen Druck für eine generelle Aufnahme auszuüben.

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