Osttimor ist ein Jahr nach dem Referendum immer noch von Spuren der Zerstörung geprägt

Neben Ruinen blüht wieder geschäftiges Leben

von Klemens Ludwig
Krisen und Kriege
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Ausgebrannte Häuser, gespenstische Ruinen, umgeknickte Strommasten - ganze Straßenzüge liegen wie tot. Die Spuren der Zerstörung sind in der osttimoresischen Hauptstadt Dili noch immer gegenwärtig. Ismelda Rodriguez steht vor den verrußten Mauern ihres Häuschens. "Ich habe mich immer aus der Politik herausgehalten, denn ich habe acht Kinder groß gezogen", sagt die Lehrerin, die Anfang 50 ist.

Doch dass Nachbarn sich vor einem Jahr offen für die Loslösung Osttimors von Indonesien aussprachen, "reichte den Milizen wohl, um auch mein Haus niederzubrennen". Nur die Außenmauern blieben stehen.

Am 30. August 1999 fand in der damaligen indonesischen Provinz Osttimor die ersehnte Volksabstimmung statt. 78,5 Prozent der Wahlberechtigten stimmten für die Unabhängigkeit. Doch die Reaktion war brutal. Pro-indonesische Milizen legten viele Orte in Schutt und Asche, plünderten und mordeten, mit Duldung oder Unterstützung des Militärs. Selbst das UN-Büro wurde von feindseligen Milizionären umzingelt.

Erst nach drei Wochen griff die internationale Gemeinschaft ein. Zuerst kamen australische Truppen, dann übernahmen Blauhelme das Kommando. Im Oktober 1999 gab Indonesien Osttimor nach rund 24 Jahren Besetzung frei. Nun wird die ehemalige portugiesische Kolonie unter UN-Verwaltung auf die Unabhängigkeit im Jahr 2002 vorbereitet. Doch der Weg ist noch weit.

Vor dem Jahrestag des Referendums verschärften die UN die Sicherheitsvorkehrungen. Denn die Milizen, die sich ins indonesische Westtimor zurückzogen, fallen immer wieder in Osttimor ein. In den vergangenen Wochen wurden zwei Blauhelme erschossen. "Timor LoroSae" soll der neue Staat einmal heißen, Osttimor in der einheimischen Tetum-Sprache. Doch ob Tetum, Portugiesisch oder Indonesisch Amtssprache werden wird, ist noch heiß umstritten.

Unterdessen weiß auch Imelda Rodriguez nicht so recht, wie es bei ihr weitergehen soll. Verwandte halfen ihr, das Dach ein wenig zu flicken, damit ihre Familie während der Regenzeit wenigstens eine Notunterkunft hatte. Für eine richtige Reparatur fehlt das Geld, aber der enge Zusammenhalt der Familien lindert manche Not. Die Lehrerin hofft, dass die Schulen bald wieder öffnen und sie angestellt wird.
 

Und die Vereinten Nationen? "Ihre Soldaten geben uns Sicherheit. Deshalb sind sie wichtig", sagt Rodriguez. Aber Geld sei von ihnen nicht zu erwarten: "Wenn wir uns nicht selbst helfen, hilft uns niemand." Die UN-Administration bemüht sich um Sicherheit und den Wiederaufbau öffentlicher Gebäude sowie um den Aufbau von Verwaltung, Polizei und Justiz. Im Juli nahm erstmals seit dem Abzug der Indonesier ein Gericht in Dili seine Arbeit auf. Doch es wird vermutlich noch lange dauern, bis erstmals ein Milizionär wegen der Verbrechen vor einem Jahr angeklagt werden wird.

Lautes Stimmengewirr weist den Weg zum Markt von Dili. Das bunte Getümmel und das große Warenangebot zeigen, dass die Menschen sich aufs Improvisieren verstehen. Marktfrauen feilschen mit Kunden, Hähne krähen, Schweine quieken. Vielerlei Obst ist hier ausgebreitet, Fisch und Fleisch, neben Kleidung, Schuhen und Elektroartikeln.

Ausländer finden sich kaum auf den Markt ein, sie bleiben in einer eigenen Welt. Die Vereinten Nationen haben 524 Millionen US-Dollar für den Wiederaufbau zur Verfügung. Die meisten der knapp 8.000 Mitarbeiter und Sicherheitskräfte stammen aus dem Ausland. Was als multikulturelles Hilfsprogramm begann, empfinden viele in Osttimor als Zwei-Klassen-Gesellschaft. Denn Ausländer verdienen 5.000 Dollar und mehr im Monat, Osttimoresen erhalten aber nur 200 Dollar.

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Klemens Ludwig ist freier Journalist.