Nachlese zum Aktionstag gegen Fremdenhaß und Gewalt

Netzwerk gegen Rassismus?

von Mani Stenner

Am 9. November, dem Jahrestag der "Reichspogromnacht" von 1938, haben ca. 200.000 in rund 100 Städten an Veranstaltungen gegen Ras­sismus, Fremdenhaß und Gewalt teilgenommen. Im Unterschied zu den wohlfeilen Bekenntnissen von Parteien und Politikern gegen die An­schläge und den jetzt angelaufenen good-will-Werbespots und -Plaka­ten wurde die Politik gegen die Flüchtlinge dafür mithaftbar gemacht. Die veranstaltenden Organisationen und Initiativen haben am 9.11. aber keine Meinungsführerschaft zum Thema bekommen. Bei einem Bera­tungstreffen Anfang Dezember wurde eine bessere Vernetzung ange­strebt.

Am 9. November wurde die "Asyldebatte" der Politiker für die Übergriffe mitverantwortlich gemacht, Sammellager und jeder Abbau des Asyl­rechts und der Rechtswege abgelehnt, Bleiberecht für alle Flüchtlinge gefor­dert. Initiativen vor Ort protestieren ge­gen erkennungsdienstliche Behandlung von Asylsuchenden und der Erzwingung von "gemeinnütziger Arbeit" und ver­langen von ihren Kommunen dezentrale und menschenwürdige Unterbringung von Flüchtlingen, eine Nutzung des Ermessensspielraumes für großzügige und unbürokratische Erteilung von Aufent­haltserlaubnissen oder kommunalem Bleiberecht, Auszahlung der Sozialhilfe in vollem Umfang und Integrationsangebote (Deutschkurse, Ausbildung usw.) unabhängig vom Aufenthaltsstatus. Mit diesen und ähnlichen Forderungen be­wegen sich die Menschenrechtsgruppen jenseits des Allparteienkonsenses und im völligen Gegensatz zur praktizierten Politik. Herbert Leuninger, Sprecher von PRO ASYL, brachte das bei der Bonner Kundgebung auf den Punkt: "Unser Gegner ist die gesamte politi­sche Klasse in diesem Land".

Der Aktionstag wurde auch in bundes­weiten und lokalen Medien stark be­achtet und so wurden diese Ansätze we­nigstens mal am Rand erwähnt. Immer­hin waren allein in Berlin ca. 80.000 Menschen auf der Straße. Aber eine po­litische Meinungsführerschaft konnte mit diesem Aktionstag nicht gewonnen werden, schon gar keine Änderung der politischen Vorhaben. Flüchtlinge wer­den - weniger spektakulär als durch Grundrechtsänderungen - auf dem Weg europäischer "Harmonisierungen" von ihrem Recht auf Zuflucht abgehalten. Auch rot-grün regierte Länder beteiligen sich an der Umsetzung des "Parteienkompromisses".

So schlimm also die Planungen der Po­litik auf dem Rücken der Flüchtlinge und Asylsuchenden sind: Für BürgerIn­neninitiativen und Menschenrechts­gruppen sind die Chancen zum effekti­ven Eingreifen schon wieder gesunken. Der "Kampf gegen Ausländerfeindlich­keit" wird mittlerweile von Werbeagenturen und good-will-Kampagnen von Parteien und Medien dominiert, an­dererseits sind viele des Themas schon wieder müde. Für Großaktionen der In­itiativen scheint so bereits "die Luft raus", während gegen politisch agie­rende Initiativen wie die Unterstüt­zungsgruppe für die KirchenbesetzerIn­nen von Neumünster, die die Flucht aus Greifswald organisierten, Hetzartikel in der Presse erscheinen. Die Bündnisse gegen Rassismus und Ausländerfeind­lichkeit sind vor Ort erfreulich bunt und verschieden. Zum Teil haben sich zum 9.11. und für örtliche Kampagnen Bündnisse von Antifagruppen und Au­tonomen bis zu Kirchen und Gewerk­schaften gefunden, oft passen die Politikansätze nicht zusammen. Nicht nur in Berlin gab es im Vorfeld der (dann doch noch gemeinsamen) Kundgebung im Lustgarten erbitterte Auseinanderset­zungen um Bündnisbreite, Redepro­gramm und Profil der Veranstaltung.

Dazu gab`s auch beim Bonner Bera­tungstreffen am 2. Dezember verschie­dene Meinungen. Ist es für manche "schlicht unmöglich, gemeinsame Ak­tionen mit den Brandstiftern zu ma­chen", finden andere es nötig, bei dieser Frage "die althergebrachte Bündnispoli­tik infrage zu stellen". Man müsse hier "weit ins bürgerliche Spektrum hinein". In den politischen Positionen gibt es eher viele Mosaiksteine als ein Gegen­programm zur herrschenden Politik ge­gen Flüchtlinge.

Themen und Daten

Thematisch haben sich die beim Treffen anwesenden Gruppen einiges vorge­nommen: Da wir Nationalismus und Rassismus als europäisches Phänomen erleben, sollten wir es auch in diesen Zusammenhang stellen. Vorgeschlagen wird, für den Herbst 1992 eine gemein­same Konferenz zu "Rassismus und nationale Konflikte in Europa" mit Initiativen aus vielen europäischen Län­dern zu veranstalten. Dabei wäre auch das Datum für die "Wirtschaftsfestung Europa 1.1.93" zu berücksichtigen so­wie die Pläne zum Abbau des Asyl­rechtes durch die europäische "Harmonisierung". So wird z.B. bei den Evangelischen StudentInnengemeinden neben Seminaren zu Rassismus und zur entwicklungspolitischen Bildungsarbeit im Hinblick auf europäische Regelun­gen an Vorschlägen für ein Antidiskri­minierungsgesetz gearbeitet, dass es z.B. in Großbritannien und den Niederlanden bereits gibt. Thema sind auch das Aus­länderrecht innerhalb der EG, das Schengener Abkommen usw.

Um die Einzelaspekte demokratische Menschenrechte, doppelte Staatsbürger­schaft, kommunales Ausländerwahl­recht, den Zusammenhang mit Flucht­gründen in den Herkunftsländern und Weltwirtschaftsordnung werden sich in Zukunft u.a. verstärkt die Grünen küm­mern. Die an der Flüchtlingsproblematik interessierten Gruppen sollten das Thema unbedingt auch in die Aktivitä­ten zum Weltwirtschaftsgipfel in Mün­chen einbringen (Juli 92).

Vom Beratungstreffen wird auf weitere Termine aufmerksam gemacht. Wün­schenswert wären dezentrale Aktivitäten zum 30. Januar 92, dem Jahrestag der sog. "Machtergreifung", an dem auch wieder wie am 9. November rechtsradi­kale Aktivitäten zu befürchten sind. In Leipzig und evtl. weiteren Städten wer­den rechtsradikale Übergriffe auch be­reits für die Silvesternacht befürchtet.

Am 21. März ist der von der UNO aus­gerufene Antirassismustag. Insbeson­dere da offizielle Stellen in der Bundes­republik diesen Tag anscheinend nicht würdigen, bietet sich dazu ein Aktions­tag von Seiten der BürgerInnen-Initiati­ven an. Ebenso könnten wir über Akti­vitäten zu Ostern nachdenken, die tra­ditionellen Ostermärsche der Friedens­bewegung dürften wohl zurzeit nicht mehr stattfinden. Zu Pfingsten veran­staltet die Aktion Sühnezei­chen/Friedensdienste mit u.a. der IG-Metall-Jugend ein antirassistisches Fe­stival vom 5.-8. Juni 91 in Beienrode (bei Helmstedt). Die "Interkulturelle Woche" schließlich (bisher "Woche des ausländischen Mitbürgers") ist für den Zeitraum 22.9.-3.10.92 ausgerufen.

Beim Beratungstreffen wurde von vielen Seiten das Bedürfnis nach besse­rer Vernetzung der vielen politischen Initiativen und der gemeinsamen Her­ausgabe zusammenfassenden Informationsmaterials geäußert. Viele zum Thema profiliert arbeitende Gruppen und Verbände (wie PRO ASYL, amnesty international, Studentenge­meinden, Rechtshilfefonds, Immigran­tengruppen etc.) haben z.T. umfassende Informationen publiziert, örtliche Bünd­nisse geben teilweise gute Zeitungen, Falt- oder Flugblätter heraus. Trotzdem wünschen sich viele eine zusammenfas­sende "Handreichung" zum Thema, die wichtige Informationen, Argumente, Aktionsanregungen, Hilfs- und Beratungsmöglichkeiten, Materialüberblick und Termine zusammenfasst. Eine auf dem Treffen gebildete Arbeitsgruppe will dies versuchen. Desgleichen wird eine Art Anlaufstelle für einen "Informationspool" der Initiativen für nötig gehalten, kurz: eine Adresse für ein antirassistisches Netzwerk. Die or­ganisatorische Kapazität soll dafür beim "Netzwerk SOS Rassismus" aufgebaut werden. Zum Übergang wird dabei auch noch das Büro des Netzwerk Frie­denskooperative zur Verfügung stehen.

Ein weiteres Beratungstreffen, bei dem die Zusammenarbeit und etwaige ge­meinsame Aktivitäten in einem Netz­werk gegen Rassismus konkretisiert werden sollen, wird am 15. Januar um 17 Uhr in Bonn stattfinden. Auch jetzt sollen Aktivitäten, Informationen und Ideen möglichst weitergegeben und ge­sammelt werden. Dazu dienen als vor­läufige Kontaktadressen:

*             Netzwerk SOS Rassismus, c/o AG Immigration beim AStA Uni Mainz, Staudinger Weg 21, 6500 Mainz, Tel. 06131/394803, Fax: 06131/394820 (Mehdi Jafari Gorzini)

*             Büro des Netzwerk Friedenskoopera­tive, Römerstr. 88, 5300 Bonn 1, Tel. 0228/692904, Fax: 0228/692906.

Manfred Stenner ist Mitarbeiter im Büro des Netzwerk Friedenskooperative. Das Büro hatte die Informationsarbeit für den Aktionstag 9.11.91 übernommen und Gruppierungen, Verbände und In­itiativen zu Beratungstreffen eingeladen.

 

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