Neue Asyl-Denkschrift des Grundrechte-Komitees

von Elke Steven
Hintergrund
Hintergrund

Flüchtlinge in einer Welt voll Mauern. Ortsbestimmung menschenrecht­lich-demokratischer Politik inmitten einer mobilen Welt - unter diesem Titel hat das Komitee für Grundrechte und Demokratie eine Denk-Schrift zum Thema "Flucht und Asyl" veröffentlicht. Den Kontext der Auslän­der- und Flüchtlingspolitik, mehr noch, den Kontext des weltweit zu­nehmenden Migrations- und Flüchtlingsproblems bilden die weltöko­nomische Dynamik und die in diesem Zusammenhang verständliche Misere nationalstaatlicher Politik. Politische Phantasie ist gefragt, um Wege zur Lösung der vielfältigen und komplexen Probleme zu finden, wobei der weltweite Zusammenhang ins Zentrum der Betrachtung rüc­ken muß. Das Eigene existiert nicht mehr ohne das Fremde; das Nahe nicht ohne das Globale. Geschützte Heimat kann nur gewonnen werden, wenn nah-ferne Gefahren behoben werden. Mobilität ist das Stichwort der Moderne. Hauptsächliche Schwungräder der weltweiten Mobilisie­rung sind die universell konkurrierenden Verkehrsformen von Waren, von Geld, von Investitionen, von Innovationen und von Arbeit. Diese verbrauchen unsere soziale und natürliche Umwelt.

Sie stürzen diejenigen Gruppen von Menschen und ganze Gesellschaften ins Elend modernen Nomadentums, deren gesellschaftliche Einrichtungen und Verhaltensweisen darauf nicht vorbe­reitet waren. Eine "Dialektik" von Be­grenzung und Entgrenzung kennzeich­net unsere Gegenwart. Auf der einen Seite grenzenlose Freiheit für Kapital, Waren, Produktion - auf der anderen Seite verschärfte Grenzen gegen die Op­fer dieser Politik, gegen die entwurzel­ten Menschen auf der Suche nach Asyl oder Flucht vor dem Elend, das globale Politik zu verantworten hat. Die aber, die von den einseitig wirksamen Mobi­litäten profitieren, die meisten West­mitteleuropäer also, tun alles, um kon­kurrierend das Los sozial enteigneter Nomaden von sich abzuschotten. Sie verhalten sich also gewollt oder unge­wollt wie Räuber, die den Beraubten als Schuld vorwerfen, daß sie nichts mehr besitzen. Sie vermeinen, ihren gefähr­deten oder vielfach nur erträumten Wohlstand über die Zeit zu retten. Recht besehen wirken sie jedoch genau an den Faktoren mit, die die mobilisierende Verelendung großer Teile der Welt be­fördern und Aggressionen erzeugen. Und keine Mauern werden auf Dauer Verelendung und Aggressionen von denjenigen fernhalten können, die im Wohlstand angstvoll und angenehm le­ben. Ein menschenrechtlich angemesse­ner Umgang mit diesen Problemen kann nur darin bestehen, daß die Interessen der Bürgerinnen und Bürger der Länder, denen Migration und Flucht gelten, menschenrechtlich skrupulös abgewägt werden mit den Interessen derjenigen Menschen, die zu Migration und Flucht mehr oder minder gezwungen werden.

Der Berg dieser Probleme droht alles Handeln zu erdrücken, ja schon das Denken zu lähmen. Umso notwendiger ist ein Handeln, das mit einem verän­derten Umgang mit Flüchtlingen und Asylsuchenden anfängt, aber eine Ver­änderung der politisch-ökonomischen Ordnung nicht aus dem Blick verliert. Deutschland und Westmitteleuropa ins­gesamt muß sich endlich als Einwande­rungsland bzw. -kontinent begreifen. Das blut- und bodenhafte, darum men­schenrechtswidrige deutsche Staatsbür­gerrecht ist endlich zu "entbluten" (zu "entarisieren"). Das Recht auf politi­sches Asyl ist als subjektives Recht wiederherzustellen. Der Begriff des Flüchtlings, wie ihn die Genfer Kon­vention gefasst hat, muß ausgeweitet und differenziert werden. Kriegs- und Kata­strophenflüchtlingen ist kollektiv, sprich ohne jegliche individuelle Überprüfung, solange Aufenthalt zu gewähren, wie Krieg und Katastrophe und ihre unmit­telbaren Folgen währen. Arbeitsmigra­tion muß im Prinzip zugelassen werden. Vor allem aber sind neue politische und ökonomische Verfassungen notwendig; sie verlangen ein verändertes Bewußt­sein. Ein neuer Herausgang aus der selbstverschuldeten Unmündigkeit na­tionaler Borniertheiten und staatsbür­gerlicher Fixiertheiten steht an. Eine zweite Aufklärung muß der ersten fol­gen. Die erste ist dort, wo sie sich ein­seitig nationalstaatlich und nationalöko­nomisch borniert hat, an ihr Ende ge­langt. Die nationalstaatliche Fixierung bürgerlicher Freiheit, Gleichheit und Si­cherheit ist hinfällig. Das ist die Konse­quenz aus einer düsteren Realanalyse, die einen utopischen Horizont wach­halten will.

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Elke Steven ist Soziologin und Referentin beim Komitee für Grundrechte und Demokratie in Köln.