Bundesregierung unter Druck halten: Atomwaffenverzicht

Neue politische Zuspitzungen

von Martin Böttger

Fragen, Probleme und erste Ideen für die weitere Friedensarbeit stehen im Mittelpunkt des Aufrufes, den die letzte bundesweite Konferenz der Friedensbewegung im November 1987 verabschiedete. Der selbstgesetzte Auftrag ist in allen Gruppen und Organisationen darüber zu beraten, um auf der anstehenden Konferenz am 8./9. Mai 1988 über gemeinsame überregionale Schwerpunkte, Kampagnen und Aktionen entscheiden zu können. Zum Thema: "Neue politische Zuspitzungen" haben wir Autoren verschiedener Gruppen gebeten, ihre Vorschläge vorzustellen und zu erläutern. (G.W.)

Die Menschen in der BRD können derzeit feststellen, daß es offensichtlich möglich ist, Waffen abzurüsten. Eine erste Vereinbarung über landgestützte atomare Mittelstreckenraketen gibt es bereits. Vorschläge der UdSSR für eine Fortsetzung dieser Politik gibt es ebenfalls. Und die Menschen wollen, daß das "Teufelszeug" wegkommt.

Die Bundesregierung steht nun vor vielen Problemen. Sie will einen neuen sicherheitspolitischen Konsens wiederherstellen. Da sie aber den "gemeinsamen westlichen Werten", den USA und der dortigen Strategiediskussion nicht so recht über den Weg traut, da sich hier immer mehr ökonomische wie strategische Widersprüche entwickeln, gewinnt das, was Staatspolitiker so gerne "Souveränität" nennen, eine wachsende Bedeutung. Dazu gehört alles, was in deren Augen einen Staat ausmacht. Die BRD hat fast alles; nur Atomwaffen soll sie nicht besitzen dürfen. Der Haken an der Sache: bei der derzeitigen Stimmungslage hätte die Bevölkerung nicht geringste Lust, das mitzuspielen. Neue atomare Bewaffnung, wo doch gerade Fortsetzung und Abrüstung (verbal sogar von der Bundesregierung) angesagt ist?

In dieser Klemme muß die Friedensbewegung die Bundesregierung halten. Jetzt kommen Pershing II und Cruise Missiles weg. Wir wollen - mit der Bevölkerungsmehrheit - daß noch mehr, daß alle Massenvernichtungsmittel aus unserem Land verschwinden. Und wir können und sollten ein Signal setzen, daß dieses Land selbst darauf verzichtet, sich solche Massenvernichtungsmittel zu verschaffen und über sie zu verfügen. Es gibt Einwände in der Friedensbewegung, das sei zwar nicht falsch, aber auch nicht aktuell. Auf Waffen, die es noch nicht gibt, zu verzichten, sei zwar gut und schön. Aber es gibt ja bereits Waffen, die sind hier, und müßten als erstes weg: Das ist nur ein scheinbarer Gegensatz.

Die Forderung nach einem BRD-Atomwaffenverzicht ist aktuell:

  • Die bundesdeutsche Pershing IA-Debatte war in dieser Hinsicht sehr durchsichtig und gerade deswegen für die Bundesregierung sehr peinlich.
  • Das Scheuen einer dritten Null-Lösung bei den Kurzstreckensystemen (obwohl doch auch die Rechten meinen, „je kürzer die Reichweite, umso deutscher die Wirkung") läßt tief blicken.
  • Das Beharren auf die WAA in Wackersdorf, von der die Stromwirtschaft aus energiewirtschaftlichen Gründen längst abgerückt ist, konnte sich 1986 auch der SPD-MdB Wolfgang Roth völlig zurecht (und längst nicht allein) nur militärisch erklären.
  • Euromilitärische Diskussionsansätze - von. denen die "Achse Bonn-Paris" nur ein öffentlichkeitswirksames ideologisches Instrument ist - häufen sich und sollen ein Klima schaffen, in dem bundesdeutsche Verfügung über Atomwaffen mittelfristig als "normal" empfunden wird.

Der letzte Punkt ist ein Hinweis darauf, daß hier noch ein Klima geschaffen werden soll. Es ist also jetzt nicht da.

Jetzt besteht ein Klima für Frieden und Abrüstung, nicht für Feindbildhatz und Militarisierung. Es wäre politisch dumm von uns, das nicht zu nutzen, um stabilere Pflöcke in der öffentlichen Auseinandersetzung zu setzen.

Ob es dabei um Waffen geht, die es noch nicht gibt. ... ich weiß das nicht. Wer ist sich da so sicher, nach dem Transnuklear-Nukem-Alkem-Atomskandal?

Nun hat der Vorschlag für einen - im Grundgesetz zu verankernden - Atomwaffenverzicht der BRD in der öffentlichen Diskussion zunächst eine grüne Farbe bekommen. Den Grünen kommt das Verdienst zu, sie losgetreten zu haben. Selbstverständlich ist aber immer Bewegungsmißtrauen angebracht, sich nicht zum Parteiinstrument machen zu lassen. Dagegen gibt es aber nur einen wirksamen Schutz: die Dinge nicht andern überlassen, sondern selbst in die Hand nehmen. Natürlich gibt es immer Freundinnen, die lieber entlarven (die SPD natürlich) als verändern zu wollen. Die Politik der 70er Jahre gab allen Anlaß dazu (ich selbst konnte damals die Atombombengeschäfte mit Südafrika genauer verfolgen, und weiß daher, wo überall Leichen im Keller liegen). Das kann aus meiner Sicht aber nicht Interesse der Friedensbewegung sein. Das müßte vielmehr darin liegen, jetzt mit viel Eigeninitiative den Sozialdemokraten den Rücken zu stärken, die gegen einigen Widerstand die Trommel für ein aggressiveres Vorgehen gegen die Bundesregierung und für die dritte Null-Lösung rühren wollen (wenn es die gäbe, gäbe es auch keine BRD-Atomwaffen). Sowohl der Friedensbewegung als auch der SPD täte es sehr gut, eine derart wohlverstandene konstruktive Debatte zu intensivieren und die gesamtgesellschaftliche Auseinandersetzung über weitere atomare Abrüstung weiter in Schwung zu bringen.

Gesamtgesellschaftliche Auseinandersetzung heißt auch: das ist keine (ausschließliche) Parteien- und Parlamentssache. Es muß Sache der Friedensbewegung mit Veranstaltungen, internationaler Aufklärung, eigenen Materialien und Kampagnen sein, Bundesregierung und Parlament unter Druck zu nehmen, statt ihnen die Initiative bei der gesellschaftlichen Bewußtseinsbildung zu überlassen.

Genausowenig kommt es jetzt darauf an, sich über verfassungsjuristisch wasserdichte Grundgesetzformulierungen die Köpfe heißzureden. Es geht jetzt darum, gesellschaftliches Klima für die Sache Atomwaffenverzicht der BRD (im Rahmen und für einen Prozeß atomarer und anderer Abrüstung) zu schaffen. Die Juristerei kann dafür Mittel, darf aber nicht Zweck sein.

Fazit:

Unser Job ist, Frieden in der BRD zu bewegen. Diese BRD hat einige Spezifika. Dazu gehört, daß sie Atomwaffen nicht haben darf, wesentliche mächtige Kräfte in ihr sie aber wollen. Unter dem Vorzeichen nicht bewältigter und beseitigter Wurzeln von deutschem Faschismus und Nationalismus muß diese Gefahr jedem friedliebendem Menschen klar sein.

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Martin Böttger ist Mitarbeiter des Ko­mitees für Frieden, Abrüstung und Zu­sammenarbeit und Mitglied im Bun­deshauptausschuß der Jungdemokraten.