Neues Denken im Umgang mit der Natur

von Helmut Röscheisen

Der soeben vorgelegte Bericht der Bundestagsenquetekommission "Vor­sorge zum Schutz der Erdatmos­phäre" macht deutlich, wie weit wir die Zerstörung des Planeten Erde bereits vorangetrieben haben. Ein mittlerer Temperaturanstieg um 5-8o C bis zum Jahr 2100 wird vorausgesagt, wenn nicht ein sofortiger und dramatischer Kurswechsel in allen Bereichen von Wirtschaft und Gesellschaft stattfindet. Der Zusammenbruch des Klimahaus­haltes droht, die Trockenzonen wer­den heute noch fruchtbare Gebiete verdrängen, tief liegende Flächen ver­sinken unter dem angestie­genen Mee­reswasserspiegel, Wetterkatastrophen nehmen zu, die Zahl der Umwelt­flüchtlinge wegen Mangels an Nah­rungsmitteln und bewohnbaren Ge­bieten ebenso. Das Ausmaß und die unglaubliche Geschwindigkeit bei der Vernichtung des Tropischen Regen­waldes, des einzigartigen und größten Potentials an Millionen Tieren und Pflanzen und damit der Gen­bank der Welt schlechthin, ist Ausdruck der tiefen Krise, in der die men­schliche Zivilisation steckt.

Während es derzeit so scheint, als sei die Menschheit dank den tiefgreifen­den Umwälzungen in Osteuropa einen entscheidenden Schritt zur Sicherung des Friedens vorangekommen, sieht es bei den anderen existenziellen Aufga­ben der Menschheit ganz und gar dü­ster aus. Nirgendwo in den Industrie­staaten ist auch nur ein Anzeichen einer ernsthaften Umgestaltung von Wirt­schaft und Gesellschaft zu erkennen, die versucht, im Einklang mit der Na­tur zu leben. Welche ökologische Brisanz darin steckt, wird sehr schnell deutlich, wenn man das Verhältnis zu den Entwicklungsländern betrachtet. Weltweit gesehen werden die Indu­striegesellschaften als Fortschrittsmo­dell schlechthin angesehen. Überall wird versucht, deren Wirtschaftsweise und Lebensstil nachzuahmen, mit ka­tastrophalen ökologischen Folgen. Wer sich etwa vor Augen hält, daß al­lein die Bevölkerung in NRW über mehr Autos verfügt als alle Menschen in ganz Afrika zusammen, mag sich verdeutlichen, wie rasch der Zusam­menbruch der Erde als Ökosystem eintreten würde, wenn die dortige Be­völkerung bei der Motorisierung einen auch nur annähernd hohen Stand er­reicht. Wenn bis zu 15% des jährlich erzeugten Bruttosozialprodukts für die mühselige und bruchstückhafte nach­trägliche Reparatur, der durch die er­zeugten Güter und Dienstleistungen verursachten Umweltschäden aufge­bracht werden muß, sollte deutlich werden, wohin die Reise gehen muß. Dringend erforderlich ist die Einfüh­rung der Umwelt- und Sozialverträg­lichkeit von Produkten. Wir können und dürfen es nicht länger der Wirt­schaft allein überlassen, mit immer aktuelleren Produkten Bedürfnisse zu wecken und zu befriedigen, die in ei­ner ganzen Reihe von Fällen zu höchst problematischen Folgen führen.

Ganz generell brauchen wir einen völ­lig anderen Umgang mit unserer Na­tur. Gefragt sind Verhaltens- und Nut­zungsformen, die zukunftsgerecht sind. Dazu zählt sicherlich eine Kreislauf­wirtschaft, die auch zukünftigen Gene­rationen eine lebenswerte Welt über­läßt. Die Erzeugung von Nahrungs­mitteln in Form des ökologischen Landbaus, ein Umweltverbund im Verkehrsbereich, der den Schienen-, Bus-, Fahrrad und Fußgängerverkehr umfaßt, der Einsatz erneuerbarer En­ergie, vor allem der Sonnenenergie, Formen eines sanften Tourismus, der die Nähe zur Natur und der Lebens­weise von Menschen und Kultur des Gastlandes sucht, sind einige wichtige Beispiele eines zukunftsgerechten Wirtschaftens. Die ôkologiebewegung arbeitet derzeit daran, die Umrisse ei­nes neuen Kulturverständnisses, eine neue Philosophie zu formen, die sich deutlich von der auf eine tiefe Krise zusteuernden Konsumgesellschaft ab­hebt. Zur Umsetzung eines solchen neuen Wertverständnisses ist die Ko­operation mit allen dafür zugänglichen gesellschaftlichen Kräften, wie Frie­dens- und kirchliche Gruppen, Ge­werkschaften, Verbraucherverbände, Jugendorganisationen u.a.m. notwen­dig.

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Helmut Röscheisen ist Geschäftsfüh¬rer des Deutschen Naturschutzringes (DNR) (1990)