Friedensdeklaration von Nagasaki

„Nie mehr Hibakusha“

von Tomihisa Taue
Schwerpunkt
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Die folgende Erklärung des Bürgermeisters der Stadt Nagasaki wurde am 09.08.2017, 72 Jahre nach dem US-Atombombenabwurf auf Nagasaki, vorgetragen.

,,Nie mehr Hibakusha“. Diese Worte drücken den Herzenswunsch der Hibakusha [der Opfer der Atomwaffen von Hiroshima und Nagasaki, Anm. d. Red.] aus, dass in der Zukunft niemand in der Welt wieder die Erfahrung der katastrophalen Zerstörungen erleben muss, die durch Nuklearwaffen verursacht werden. In diesem Sommer  hat dieser Wunsch viele Nationen in aller Welt erreicht und zum Abschluss eines Vertrages geführt.

Der Vertrag über das Verbot von Nuklearwaffen, der natürlich die Anwendung von Nuklearwaffen und darüber hinaus ihren Besitz oder ihre Stationierung untersagt, wurde in diesem Juli (2017) durch 122 Nationen verabschiedet, eine Zahl, in der mehr als 60 % der Mitgliedsländer der Vereinten Nationen vertreten sind. Dies war ein Moment, in dem all die jahrelangen Bemühungen der Hibakusha schließlich Gestalt annahmen.

Ich möchte gern diesen Vertrag, der das Leiden und die Kämpfe der Hibakusha erwähnt, ,,den Vertrag von Hiroshima & Nagasaki“ nennen. Ich möchte gleichfalls unsere tiefste Dankbarkeit gegenüber allen Nationen ausdrücken, die den Vertrag über das Verbot von Nuklearwaffen unterstützen, den Vereinten

Nationen, Nichtregierungsorganisationen und allen anderen, die mit solch einer kraftvollen Bestimmtheit gewirkt haben und den Mut aufgebracht haben, die Welt von diesen Waffen zu befreien, die gegen den Geist der Menschlichkeit gerichtet sind.

Das ist jedoch nicht unser endgültiges Ziel. Es gibt noch immer etwa 15.000 Nuklearwaffen auf der Welt. Die internationale Situation zu den Nuklearwaffen wird immer angespannter, und ein starkes Gefühl der Angst weitet sich rund um den Erdball aus, dass diese Waffen in einer nicht allzu fernen Zukunft tatsächlich wieder eingesetzt werden könnten. Die Nuklearstaaten lehnen außerdem diesen Vertrag ab, und es ist kein Ende auf dem Weg zu ,,einer Welt ohne Nuklearwaffen“ in Sicht, deren Realisierung unser Ziel ist. Die Menschheit ist nun mit der Frage konfrontiert, wie dieser Vertrag, der endlich abgeschlossen wurde, umgesetzt werden kann, und wie weit er Fortschritte machen wird.

Ich richte hiermit den folgenden Appell an die Nuklearstaaten und die Nationen unter ihrem Nuklearschirm: Die nukleare Bedrohung wird nicht enden, solange Nationen für sich in Anspruch nehmen, dass Nuklearwaffen für ihre nationale Sicherheit unentbehrlich sind. Bitte überdenken Sie Ihre Politik, Ihre Nationen durch Nuklearwaffen schützen zu wollen. Der Nichtverbreitungsvertrag (NPT) sollte für alle Mitgliedsstaaten verbindlich sein, um ihre Nuklearwaffenarsenale abzubauen. Kommen Sie bitte dieser Verpflichtung nach. Die ganze Welt erwartet Ihre mutigen Entscheidungen.

An die japanische Regierung richte ich diesen Appell: Ungeachtet der Tatsache, dass die japanische Regierung eindeutig gesagt hat, dass sie die Führerschaft übernimmt, eine Welt frei von Nuklearwaffen anzustreben und eine Brückenrolle zwischen den Nuklearstaaten und Nichtnuklearstaaten zu spielen, ist ihre Haltung der Nichtbeteiligung an den diplomatischen Verhandlungen für einen Vertrag über das Verbot von Nuklearwaffen für diejenigen von uns absolut unverständlich, die in den Städten leben, welche Atombombenabwürfen ausgesetzt waren. Als das einzige Land in der Welt, das zu Kriegszeiten tatsächlich Atombombenabwürfen ausgesetzt war, bitte ich die japanische Regierung, dem Vertrag über das Verbot von Nuklearwaffen zur frühestmöglichen Gelegenheit beizutreten und die Politik zu überdenken, sich auf den Nuklearschirm zu verlassen. Die internationale Gemeinschaft erwartet die Beteiligung Japans.

Ferner bitte ich die Regierung dringend, dass sie eine Botschaft an die Welt richtet, die die pazifistische Gesinnung der Verfassung Japans enthält, die der Nation entschieden untersagt, niemals wieder in einen Krieg einzutreten, sowie ihre drei nichtnuklearen Prinzipien, und dass sie als Schritt auf dem Weg zu einer Welt frei von Nuklearwaffen jetzt eine bestimmte Politik verfolgt, die das Konzept eines Vertrags über eine nuklearwaffenfreie Zone im Nordosten Asiens prüft.

Dies werden wir sicher niemals vergessen: Die Tatsache, dass am 9. August 1945 um 11:02 Uhr eine Atombombe in der Luft genau über dem Hügel explodierte, an dem wir uns heute versammelt haben, und 150.000 Menschen tötete oder schwer verletzte.

An diesem Tag haben die rasante Explosion und der Feuersturm die Stadt Nagasaki in ein verkohltes Stück Land verwandelt. Menschen, deren Haut sich abschälte und herabhing, schwankten in der zerstörten Stadt herum und suchten ihre Familien, andere wanderten einfach verwirrt umher. Entgeisterte Mütter standen neben ihren Kindern, die schwarz verbrannt waren. Jeder Winkel der Stadt wirkte wie eine Höllenlandschaft. Viele dieser Menschen konnten keine angemessene medizinische Betreuung erhalten und starben einer nach dem anderen. Und auch heute, 72 Jahre nach diesem Tag, leiden die Körper der überlebenden Hibakusha durch die Strahlungsschäden weiter. Nicht nur, dass die Atombombe die Leben der geliebten Familienmitglieder und Freunde willkürlich ausgelöscht hat, denen sie verbunden waren, es wurde auch ihr weiteres Leben auf grausame Weise geprägt.

Anführer aller Nationen der Welt: Kommen Sie bitte und schauen Sie sich den Ort des Atombombenabwurfs an. Ich möchte, dass Sie sehen, was hier unten geschehen ist auf dem Erdboden unter der Pilzwolke, nicht aus einer Perspektive hoch über ihr; ich möchte, dass Sie alle mit Ihren eigenen Augen sehen, mit ihren eigenen Ohren hören und mit ihren eigenen Herzen spüren, wie grausam die Atombombe auf der Würde menschlicher Wesen herumgetreten hat. Ich möchte, dass Sie sich vorstellen, wie Sie sich fühlen würden, wenn Ihre eigene Familie an diesem Tage in Nagasaki gewesen wäre.

Wenn Menschen schmerzliche und erschütternde Erfahrungen durchlebt haben, neigen sie dazu, die Erinnerung daran in ihren Herzen zu verschließen und zu zögern, darüber zu sprechen. Das ist so, weil darüber zu sprechen bedeutet, daran erinnert zu werden. Dennoch ist die Tatsache, dass die Hibakusha weiterhin über ihre Erfahrungen sprechen, während sie ihre körperlichen und geistigen Narben erdulden, ein Akt von Mitgliedern der menschlichen Familie, unsere Zukunft zu schützen, und es ist ein Ergebnis ihrer Entscheidung, ihre Botschaft unbeirrt zu verbreiten.

Diesen Aufruf richte ich an alle Menschen in der Welt: Die beängstigendsten Dinge sind das Desinteresse und das fortschreitende Vergessen. Ergreifen wir den Staffelstab von denjenigen, die den Krieg erlebt haben, und von den Hibakusha, sodass er nahtlos in die Zukunft weitergetragen wird.

Die 9. Generalkonferenz der Bürgermeister für den Frieden findet gegenwärtig hier in Nagasaki statt. Viele VertreterInnen aus kleinen und großen Städten, die schmerzliche Erinnerungen an Krieg und Bürgerkrieg haben, nehmen an diesem Verbund von 7.400 Gemeinden teil. Die Stadt Nagasaki beteiligt sich mit unseren FreundInnen an der Bewegung der Bürgermeister für den Frieden und an der Verbreitung der Botschaft, dass wir die Stärke haben, die Welt voranzutreiben, wenn wir unsere Kräfte vereinigen und niemals aufgeben, als kleine Stadt für den Frieden zu beten, wie die Hibakusha es uns gezeigt haben.

Wir werden beweisen, dass die Worte „Nagasaki muss der letzte Ort bleiben, der einen Atombombenabwurf erlitten hat“, diese Worte, die die Hibakusha ständig wiederholt haben, bis ihre Stimmen heiser geworden sind, ein gemeinsames Anliegen und Ziel der gesamten Menschheit geworden sind.

Das Durchschnittsalter der Hibakusha übersteigt heute 81 Jahre. Das „Zeitalter, in dem die Hibakusha

noch leben“, geht auf sein Ende zu. Ich fordere die japanische Regierung nachdrücklich auf, die Unterstützung zu verbessern, die den Hibakusha gewährt wird, und all jenen zu helfen, die den Atombombenabwurf durchlebt haben.

Sechs Jahre sind seit dem Nuklearkraftwerksunfall in Fukushima vergangen. Als Stadt, die die Bedrohung durch die Strahlung durchlebt hat, fühlen wir uns mit Fukushima verbunden und unterstützen die Präfektur.

Ich zolle hiermit dem Gedenken Aller Anerkennung, die durch den Atombombenabwurf getötet wurden, und ich erkläre hiermit, dass wir, die EinwohnerInnen der Stadt Nagasaki, allen Menschen in aller Welt die Hand reichen, die für eine nuklearwaffenfreie Welt beten und die weiterhin unermüdlich an der Umsetzung der Beseitigung von Nuklearwaffen und für einen ewigen Weltfrieden arbeiten.

Tomihisa Taue, Bürgermeister von Nagasaki
9. August 2017

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