Rechtshilfe

Niemand wird allein gelassen!

von Holger Isabelle Jänicke

Gewaltfreie Aktionen sind in der Regel „Gemeinschaft-Ereignisse“; sicher nicht nur, weil Aktionen mit vielen Aktiven meist wirkungsvoller sind als Einzelaktionen. Es ist auch wesentlich angenehmer; in einer Gruppe eingebettet den Konflikt mit dem Gegner einzugehen. Wenn dann später aber die Post von Polizei, Staatsanwaltschaften oder Gericht kommt, ist jede/r erstmal allein.

Damit aber niemand allein mit den Verfahren bleibt, braucht es eine gute Rechtshilfearbeit. Und die muss schon vor der Aktion einsetzen, denn wenn wir das Netz erst knüpfen, wenn die Verfahren laufen, fallen viele Betroffene durch die Maschen. Sie bekommen gar nicht oder zu spät mit, dass es in dieser Sache Rat und Hilfe gibt. Und für diejenigen, die Rechtshilfe anbieten, ist es ein enormer Aufwand, dann erst die Kontakte zu den Betroffenen zu knüpfen. Außerdem: Das Erschrecken über einen Strafbefehl ist umso größer, wenn die Möglichkeit einer Strafverfolgung vor der Aktion nicht mal in Erwägung gezogen wurde. Deshalb ist es wichtig, vor der jeweiligen Aktion über mögliche Risiken und Nebenwirkungen zu informieren und ein Angebot vorzuhalten, wo sich Betroffene auch noch ein Jahr nach der Aktion hinwenden können, um kompetent Hilfe zu bekommen.

Wer hier einwendet, dass es für solche Fälle jede Menge Rechtsanwälte gibt, vergisst möglicherweise, dass sich nicht jede/r AktivistIn die Anwaltsgebühren leisten kann. Hier kann zwar ein Rechtshilfefonds Abhilfe schaffen, aber nur dann, wenn die Betroffenen diesen kennen und wissen, wie sie ihn erreichen können. Natürlich sollte der Fonds auch gut gefüllt sein. So ein Rechtshilfefonds ist ein Stück praktischer Solidarität. Die Folgen einer Aktion werden so gemeinsam getragen. Sei es, dass diejenigen, die ohne Strafe davon kommen, ihr Scherflein beitragen oder dass alle gemeinsam die Repression für Öffentlichkeitsarbeit nutzen, indem sie in Soli-Konzerten, an Infotischen oder bei anderen Gelegenheiten Geld einsammeln für diejenigen, die verurteilt wurden.

So wichtig und hilfreich RechtshilfefFonds auch sind, sie bewahren nicht davor, der Repression alleine gegenüber zu stehen. Dem entgegenzuwirken ist Aufgabe Aller. Deshalb machen wir nicht nur die Aktion zusammen, sondern begleiten die Angeklagten als ZuschauerInnen zu den Prozessen und unterstützen sie bei der Presse- und Öffentlichkeitsarbeit. Das ist nicht nur eine lästige Pflicht, sondern auch die Chance, die Inhalte der Aktion auch nach der Aktion noch weiter in die Öffentlichkeit zu transportieren. So kann Repression im günstigsten Fall sogar noch helfen, unser Anliegen weiterzuverbreiten.

Eine Rechtshilfegruppe kann dabei ein „soziales“ Netzwerk nicht ersetzen, ist aber eine wichtige Ergänzung. Sie kann zumindest eine erste juristische Einschätzung und Beratung geben, solidarische Anwälte vermitteln und Adressen von Rechtshilfefonds weitergeben. Darüber hinaus kann sie die Angeklagten koordinieren und an einer geeigneten Prozessstrategie mitwirken.

Idealerweise beginnt – wie oben schon angesprochen – die Rechtshilfegruppe schon vor der Aktion mit ihrer Arbeit. Dadurch macht sie sich nicht nur als Ansprechpartnerin bei den AktivistInnen bekannt, sondern hilft durch ihre Informationen zur rechtlichen Lage, dass alle in der Lage sind, ihr persönliches Risiko besser einzuschätzen und sich auf Basis dieser Lage entscheiden zu können, wie weit sie gehen.

Wenn es dann zu Strafbefehlen kommt, kann eine fundierte Beratung dabei helfen, die eigenen Gedanken zu ordnen und Chancen und Risiken zu bewerten. Schon das kann oftmals beruhigend wirken und vor Panikreaktionen schützen. Insofern geht es bei der Rechtshilfearbeit auch nicht nur um die Weitergabe dröger juristischer Informationen. Mitglieder von Rechtshilfegruppen, die selber schon in der Situation von Angeklagten waren, können auch mit ihrer sonstigen Erfahrung aus Prozessen helfen, mit der Situation zurechtzukommen. Wer noch nie ein Verfahren hatte und über wenige Rechtskenntnisse verfügt, wird schon durch die Aussicht, einmal einem Richter gegenüber zu stehen, verunsichert. Das ist nicht allein ein Problem der juristischen Kenntnis und Erfahrung, sondern hier kann es auch darum gehen, wie mit belastenden Situationen und mit Autoritätspersonen umgegangen werden kann.

Seit Mitte der 80er Jahren gibt es auch ein Konzept für Prozesstrainings. Es basiert auf dem Gedanken, dass ähnlich wie bei Aktionstrainings es auch in der Vorbereitung auf einen Prozess Sicherheit geben kann, die Situation in Rollenspielen ausprobiert, „erlebt“ zu haben -  in einem geschützten Raum, in dem Fehler nicht zu höheren Strafen, sondern zu einem Erkenntnisgewinn führen.

So kann Rechtshilfe weit mehr sein als das lästige Bewältigen der Folgen einer Aktion. Sie wird selber zu einem Teil der Gesamtaktion, weil sie Menschen dazu befähigt, die Aktion im Gerichtssaal fortzusetzen. Sie ist emanzipativ, weil sie Menschen befähigt, auch in einem ihnen fremden Bereich sich halbwegs selbstbewusst zu bewegen und Autoritäten aufrecht gegenüberzustehen.

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Holger Isabelle Jänicke leistet seit 1985 schwerpunktmäßig Rechtshilfe für die Gewaltfreie Bewegung und betreibt seit 2011 ehrenamtlich das Rechtshilfebüro in Hamburg (http://www.rechtshilfebuero.de).