Sexuelle Gewalt als Fluchtgrund nicht anerkannt

Nigerianerin an ihre Folterer abgescho¬ben

von Günter Haverkamp
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In einem schmalen, kahlen Raum des Abschiebegefängnisses Neuss sitzt mir Jennifer Emeka gegenüber ihre Worte stolpern schnell und tonlos in mein Mikrophon. Im März 1994 sei ihr Mann verhaftet worden weil er für die SDP, die sozialdemokratische Partei Nigerias Öffentlich­keitsarbeit machte. Ohne jede Gerichtsverhandlung sei er umgebracht worden. Sie stockt und beschreibt dann, was ihr selbst zustieß. Drei Monate nach ihrem Mann wird auch sie verhaftet, kommt ins Gefängnis nachts kommen Beamte und holen sie zum Verhör. Doch die Männer haben keine Fragen, sie vergewaltigen Jennifer. Sie wird ohnmächtig, kommt schwer verletzt in ein Krankenhaus. Von dort kann sie entkom­men. Ein Freund ihres Mannes verhilft ihr zur Flucht auf dem Seewege nach Deutschland.

Im Juli 1994 stellt sie ihren Antrag auf Asyl. Bei der Anhörung gibt sie ihre Fluchtgeschichte sehr detailliert zu Protokoll. Doch frauenspezifische Fluchtgründe werden nicht anerkannt in Deutschland. Trotz ihrer Bitte um ärztli­che Betreuung da sie immer noch Blut im Urin habe und die Verletzungen im Unterlaib nicht geheilt seien, wird sie nicht untersucht. Auch nicht in Lüden­scheid, wohin sie umverteilt wird. Ihr Rechtsanwalt klagt, das Verwaltungsge­richt entscheidet negativ was nicht nach­vollziehbar ist: der Rechtsanwalt legt keine weiteren Mittel ein. Als der Ab­schiebebescheid kommt, taucht sie unter bei einem Freund, der in Düren lebt. Ein Jahr bleibt den Beiden, dann wird sie gefasst und sie kommt ins Abschiebege­fängnis Neuss. Das war vor zwei Mo­naten.

Als eine ehrenamtliche Betreuerin auf sie aufmerksam wird, ihre Geschichte erfährt ist es schon zu spät. Mitte März wird ein Antrag an die Härtefallkom­mission Nordrhein-Westfalens gerich­tet. Dies bittet die Zentrale Ausländer­behörde Köln, die Abschiebung auszu­setzen, bis über den Antrag entschieden ist. Doch die Kölner Behörde vollzieht. Sie läßt sich auch nicht vom Protest zahlreicher Organisationen und Promi­nenter aufhalten. Der Bundesvorstand des DGB, der Hauptvorstand der ÖTV, PRO ASYL und das Komitee für Grundrechte und Demokratie - um nur einige zu nennen - faxten an den Bun­desinnenminister, das Bundesamt für die Anerkennung ausländischer Flüchtlinge und den Innenminister von NRW. Alles vergebens?

Der Sprecher von PRO ASYL, Heiko Kauffmann wendet sich per Fax an das Innenministrium. Er stellt nochmals die völlige Ignorierung sexueller Gewalt als Asylgrund heraus und fordert ein neues Asylfolgeverfahren für Jennifer Emeka.

Am Ostersamstag fand vor dem Ab­schiebegefängnis eine Demonstration satt angezettelt vom Komitee für Grund­rechte und Demokratie und der Telefonkette Neuss. Trotz Zeitnot und Ostern kommen immerhin über 50 Menschen.

Die "Lindenstraße" wirbelt: seit länge­rem ist einen junge Nigerianerin in ihrer Serie die gerade vor der Polizei ver­steckt wird. Hans W. Geißendörfer agiert aus Rhodos seine Mitarbeiter schreiben an Kölner Oberstadtdirektor Ruschmeier. Der antwortet: "Aus dem Verfahren weiß ich, daß diese Tatsa­chenbehauptungen von den zuständigen Behörden und Gerichten überprüft und übereinstimmend als 'völlig unglaubhaft' abgewiesen wurden." Wie, fragt sich wurden die Angaben von Jennifer Emeka überprüft? Und "Lindenstraße" geht noch weiter und bietet in einem Fax NRW Innenminister Kniola an, Jennifer Emeka Wohnung und Arbeit zu geben. Aber die Entscheidungsträger be­rührt auch dies nicht mehr. Zitat aus diesem Fax: "Versetzen Sie sich nur für eine Minute in Frau Emeka, lassen Sie sich nach Ermordung Ihres Ehepartner einsperren, demütigen und vergewalti­gen. Fliehen Sie unter gefährlichsten und entmutigendsten Umständen und lassen Sie sich als 'Schübling' wieder zu Ihren Folterern zurücktransportieren."

Der Dienstag nach Ostern beginnt mit Hiobsbotschaft. Noch vor acht Uhr muß Stefan Thonnessen von der Telefonkette Neuss vor dem Abschiebegefängnis mit ansehen, wie Jennifer Emeka abgeholt wird. Die Aktion zur Verhinderung der Abschiebung, für neun Uhr angesetzt, geht dadurch ins Leere.

Unendlich viele Telefonanrufe - ebenso viele abweisende Antworten. Der Erste Beigeordnete der Stadt Köln. Kapius kühl: "Schön wenn jemand Freunde hat, die sich für einen einsetzen, aber hier muß Bundesrechts vollzogen werden. Es gibt keine Möglichkeit die Abschiebung zu verzögern" Als ob im Asylrecht steht, daß Jennifer am 9.4. abgeschoben werden muß.

Am Flughafen dann der Versuch, die Passagiere zur Mitarbeit zu bewegen. Sie sollen sich weigern, an Bord zu ge­ben. auch das funktioniert nicht. Zum Schluss blieb nur noch die bittere letzte Möglichkeit. Alle sammelten Geld - es kommen 500 Dollar zusammen - die in letzter Sekunde an Jennifer Emeka aus­gehändigt werden, damit sie sich in Ni­geria wenigstens aus dem Flughafen freikaufen, die Beamten bestechen kann. Für alle Beteiligten bleibt diese Ab­schiebung ein Ansporn: Frauenspezifi­sche Fluchtgründe müssen in Deutsch­land anerkannt werden, jetzt!

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Günter Haverkamp ist aktiv in der Flüchtlingsarbeit.