NIX3 und die Kriminalisierung und Diffamierung der Anti-Atom-Bewegung

von Elke Steven
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Der ursprünglich geplante Transport von Castor-Behältern nach Gorleben im November 1996 wurde abgesagt. Die Proteste im Wendland und an vielen anderen Orten der Bundesrepublik haben deutlich gemacht, daß der Widerstand dagegen von vielen Bürgern und Bürgerinnen getragen wird. Nun steht - wie bereits in den letzten beiden Jahren - wieder ein Transport im Frühjahr diesen Jahres an. Polizei und BGS bereiten sich auf die Woche vom 3. bis 7. März 1997 vor.

Diesmal sollen gleich sechs Castor-Behälter - drei aus La Hague, zwei aus Neckarwestheim und einer aus Gundremmingen - das "Zwischenlager" in Gorleben erreichen. Mit dieser Ballung sollen die Polizeikosten relativ gesenkt werden, denn mit einer Abnahme des Protestes gegen diese Transporte rechnen auch die Polizei und die Politiker nicht. Allerdings bemühen sich einige Seiten wieder verstärkt darum, die BürgerInnen von ihrem berechtigten Protest abzuhalten, indem sie den gesamten Widerstand diffamieren und kriminalisieren. Schon in den letzten Jahren haben Politiker in Veröffentlichungen und Bundestagsdebatten die Bürger und Bürgerinnen, die im Wendland protestierten, als "unappetitliches Pack" (Kanther), "gewaltbereite Chaoten" und "verbrecherische Meute" bezeichnet. Auch damals wurden die gewaltfreien Aktionen Zivilen Ungehorsams - wie die öffentlich angekündigte und ausgeführte Demontage der Schienen vor dem Verladekran mit einfachen handwerklichen Mitteln - als "Gewalttaten" diffamiert, wurden sie gleichgesetzt mit Anschlägen auf die Bahn, die von Bahnerpressern durchgeführt worden waren. Dies spiegelte sich auch in den Allgemeinverfügungen wider, mit denen Demonstrationen im Wendland, zeitlich und räumlich weit ausgedehnt, verboten wurden. Im April 1996 entschied das Verwaltungsgericht Lüneburg jedoch, daß die Versammlungsverbote im vorangegangenen Jahr rechtswidrig waren. Keine Frage, mit den Verboten und Diffamierungen sollen die BürgerInnen, die friedlich und gewaltfrei ihren Protest zum Ausdruck bringen wollen, von dieser urdemokratischen Handlung abgehalten werden. Dagegen hat das Bundesverfassungsgericht in seinem sog. Brokdorf-Urteil 1985 den grundrechtlich-demokratischen Rang der Versammlungsfreiheit betont. Der frühere Verfassungsrichter und emeritierte Staatsrechtler Konrad Hesse bezeichnet Demonstrationen als "wesentliches Element demokratischer Offenheit; sie enthalten ein Stück ursprünglich-ungebändigter unmittelbarer Demokratie, das geeignet ist, den politischen Betrieb vor Erstarrung in geschäftiger Routine zu bewahren."

Im Frühjahr 1996 haben sich mehr Menschen an den Protesten im Wendland beteiligt als im Jahr vorher, sie haben weitgehend friedlich und gewaltfrei trotz Demonstrationsverboten ihren Protest zum Ausdruck gebracht. Dieses Jahr nun versucht das Bundesamt für Verfassungsschutz erneut, den Protest schon im Vorfeld zu diffamieren und zu kriminalisieren. Die veröffentlichte Broschüre "Linksextremistische/militante Bestrebungen im Rahmen der Anti-CASTOR-Kampagne" - die im Verhältnis zu einer internen Fassung immerhin einige Fehlinformationen weniger enthält - dient wiederum nicht der Information der BürgerInnen oder der PolitikerInnen über die tatsächlichen Vorgänge und Zusammenhänge. Liest man die Zusammenstellung von aus dem Zusammenhang gerissenen Zitaten und Verweisen, erhält man der Eindruck, daß es erneut darum geht, die BürgerInnen vom Protest abzuschrecken und gewaltförmige Vorgehensweisen der Polizei schon im Vorhinein zu rechtfertigen. Neben einigen Zitaten aus Zeitschriften der autonomen Szene und der Aufzählung von Wurfanker-Aktionen und Anschlägen gegen Strommasten werden in gleicher Weise die Aktionen und Veröffentlichungen der Anti-Atom-Bewegung (z.B. Restrisiko), deren Aktionen und gewaltfreie Aktionen Zivilen Ungehorsams aufgezählt. So gerät schon die Tatsache, daß BürgerInnen mit ihrem Protest Einfluß nehmen wollen auf den politischen Entscheidungsprozeß und den Transport im Vorfeld politisch verhindern wollen, unter den Verdacht des Extremismus und der Gewalttätigkeit. Diese Verfassungsschützer scheinen noch nicht begriffen zu haben, daß Demonstrationen tatsächlich der Einflußnahme auf die Politik dienen und es um der Demokratie willen sogar geboten ist, solche Meinungsäußerungen in das repräsentative Willensbildungs- und Entscheidungsverfahren einzubeziehen.

Demobeobachtung

Das Komitee für Grundrechte und Demokratie hat bisher bei beiden Castor-Transporten die Demonstrationen beobachtet, über die Vorgänge vor und während der Demonstrationen berichtet und wird dies auch in diesem Jahr tun. Damit soll das Demonstrationsrecht geschützt werden. Jeder und jede sollte dieses ebenfalls schützen und verteidigen, indem er oder sie friedlich und gewaltfrei an den Demonstrationen teilnimmt und sich nicht durch (rechtswidrige) Verbote und Fehlinformationen davon abhalten läßt. Diese Verfassung ist nur zu schützen, indem man sich die verfassungsmäßig garantierten Rechte nimmt. Nach dem derzeitigen Zeitplan wird die Auftaktkundgebung diesmal am 1. März 1997 in Lüneburg stattfinden.

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Elke Steven ist Soziologin und Referentin beim Komitee für Grundrechte und Demokratie in Köln.