NATO-Gipfel

„No to NATO“: Proteste zum 70.Geburtstag der NATO

von Kristine KarchReiner Braun

Samstag, den 30.03.2019: Bei herrlichem Frühlingswetter demonstrierten ca. 1.000 Menschen in der Nähe des Weißen Hauses für die Überwindung und Auflösung der NATO. Dies war der Auftakt für die vielfältigen Protestaktionen zum 70. Geburtstag der NATO, die sich durch die ganze Woche zogen.

Bunt, weiblich, jung, vielfältig und farbig war die Demonstration, die sich nach einer langen Auftaktkundgebung (fast ohne Polizei) durch Washington bewegte, an zentralen Gebäuden des kriegerischen Imperiums vorbeizog und dann am Weißen Haus endete.

Die Kernaussagen überzeugten die vielen vorbeiziehenden TouristInnen: Abrüsten für Soziales, keine KriegeKlima schützen, keine Interventionen, Hände weg von Venezuela und immer wieder No to NATO. Immer wieder wurde der US-Präsident für seine wahnwitzige Aufrüstungspolitik, für die Kündigungen des Iran-Deals und des INF-Vertrages angeklagt. Die TeilnehmerInnen und RednerInnen aus Europa verwiesen auf die europäische Militarisierung als eigenständiger, aber verbundener Teil der NATO-Politik. Es war eine Demonstration der internationalen Solidarität, der internationalen Zusammenarbeit der Friedensbewegungen.

Diese Demonstration war aber auch ein Ausdruck der relativen Schwäche der US-Friedensbewegung (und nicht nur dieser), waren doch 2012 beim NATO-Gipfel in Chicago noch 30.000 Menschen auf der Straße.

Der Gegengipfel
Dienstag, 02.04.2019: Gegengipfel der Friedensbewegung, wesentlich organisiert durch das Netzwerk „No to war – no to NATO“ in der Kirche St. Stephen. Eindrucksvoll und überzeugend wurde der weltweite Militarismus, der sich zugespitzt in der NATO ausdrückt, analysiert:

  • 62 Cent von jedem Dollar des US-Budgets wird für Rüstung und Krieg ausgegeben.
  • 15 Interventionskriege finden zurzeit statt.
  • Die NATO nimmt mit Nord – Mazedonien ihr 30. Mitglied auf und will sich weiter ausdehnen. 1990 waren es noch 16 Mitgliedstaaten.
  • Die NATO hat heute eine globale Ausdehnung, sie hat vertragliche und feste Vereinbarungen mit ca. 15 Staaten in Asien und mit Kolumbien sogar in Lateinamerika.

Intensiv wurden - ausgehend von der aktuellen Schwäche der internationalen Friedensbewegungen - Entwicklungsmöglichkeiten diskutiert und entwickelt, die sowohl eine stärkere internationale Vernetzung als auch eine engere Kooperation mit anderen sozialen Bewegungen beinhalten. Betont wurde immer wieder das couragierte Handeln vieler FriedensaktivistInnen und ihr aktives Anti-Kriegs- und Atomwaffen-Engagement.

Diese solidarischen Diskussionen, die Bereitschaft, unterschiedliche Meinungen als bereichernd zu akzeptieren, führten zu deutlichen Gemeinsamkeiten. Die Forderungen nach Nein zu allen Atomwaffen, Ja zur Abrüstung und der Verhinderung der 2% Aufrüstung und ein umfassender Stopp der Waffenexporte verbanden alle TeilnehmerInnen. Die NATO gehört aufgelöst oder abgeschafft, ein System gemeinsamer, kooperativer Sicherheit ist ein erreichbares und wichtiges Ziel.

Der NATO-Gipfel
Die Aktionen wurden am Mittwoch und Donnerstag mit vielfältigen Aktionen an den verschiedenen Tagungsorten, mit Kulturveranstaltungen und Straßenaktionen fortgesetzt. Ein umfassendes Protestprogramm „begleitete“ den offiziellen Gipfel, organisiert – leider etwas unkoordiniert – von ganz unterschiedlichen Friedensgruppen.

Während auf dem Gegengipfel und bei den Aktionen eindrucksvoll, bunt und vielfältig für friedliche Wege aus Konflikten und Kriegen eingetreten sowie über zukünftige mehr größere Aktionen diskutiert wurde, setzten die NATO-Staaten und ihr Generalsekretär Stoltenberg das bekannte Aufrüstungs- und Konfrontationsszenario fort.

Die Feierlichkeiten begannen mit einem Treffen der NATO-AußenministerInnen. Davor empfing US-Präsident Donald Trump Stoltenberg zum Gespräch. Dabei wurde der angeblich zu niedrige deutsche Militärhaushalt immer wieder kritisiert. Es reicht Trump nicht, dass die Bundesregierung die 2% anstrebt, aber sie angesichts der vielen Proteste zumindest nicht schnell liefern kann. Trump verlangt prompte Lieferung. Ein Thema, das die Tage durchzog und mit dem die Allianz zu ihren frühen Wurzeln zurückkehrte: die Konfrontation mit Russland, ja ihre Intensivierung.

Stolz verkündete Stoltenberg am Montag, die europäischen NATO-Staaten und Kanada hätten seit 2016 ihre Militäretats um rund 41 Milliarden US-Dollar aufgestockt und würden bis Ende kommenden Jahres ein gewaltiges Plus von etwa 100 Milliarden US-Dollar erreichen. In den vergangenen vier Jahren habe die NATO allein 2,3 Milliarden US-Dollar in die „militärische Mobilität“ gegen Russland investiert; eine gute Viertelmilliarde US-Dollar werde nun folgen, um ein US-Waffenlager auf polnischem Territorium zu bezahlen. Nicht zuletzt stehe eine weitere Ausweitung der NATO-Aktivitäten im Schwarzen Meer bevor. Die 725 Milliarden Dollar im US-Haushalt für Rüstung und Krieg erwähnte er nicht, dankte aber Trump für seine aktive Rolle. Immer wieder verwies er darauf, dass die NATO der russischen „Aggression aktiv“ entgegentrete. Tatsachen werden einfach in das Gegenteil verdreht, nicht die NATO hat sich (entgegen von Absprachen, Vereinbarungen und den Geist von Verträgen) nach Osten ausgedehnt, sondern Russland ist nach Berlin marschiert, nicht die NATO entwickelt ein umfassendes Raketenabwehrsystem und neue Militärbasen, nein Russland hat dies eigentlich schon in Frankfurt/Oder und Bratislava eingerichtet. Was für eine Farce – wenn sie denn nicht so gefährlich wäre.

Auch die noch stärkere nukleare Aufrüstung steht auf der Tagesordnung. Nachdem die USA den INF-Vertrag gekündigt haben, ist die Stationierung nuklearer Mittelstreckenraketen in Europa prinzipiell wieder möglich; auch darüber wurde und wird diskutiert. Eine endgültige Entscheidung zur weiteren atomaren Aufrüstung ist wohl erst vom NATO-Gipfel (mit Trump) in London im Dezember 2019 zu erwarten.

Interessante weitere Punkte der NATO-Agenda:

  • Die mögliche Aufnahme weiterer Mitglieder. Hier wird immer wieder von Georgien und auch von Moldawien geredet. Eine weitere Provokation Russlands und ein Verstoß selbst gegen NATO-Statuten, da beide Länder in innere Konflikte verwickelt sind.
  • Unstrittig ist die weitere Entwicklung der globalen NATO, unter der Schwelle der engen Mitgliedschaft wird die Kooperation in Asien und Lateinamerika massiv vorangetrieben.
  • Die Ausweitung der NATO-Aktivitäten im Schwarzen Meer ist schon seit geraumer Zeit in Gang. Im Jahr 2018 dehnte das Kriegsbündnis die Präsenz seiner „Maritime Groups“ im Schwarzen Meer von 80 Tagen im Vorjahr auf 120 Tage aus – und zwar schon vor dem Zwischenfall in der Straße von Kertsch am 25. November 2018. Die Teilnahme an Manövern bis zu 20 Tagen - wie es im Vertrag von Montreux noch gerade erlaubt ist - wurde 2019 fortgesetzt. Die aktive Präsenz von mehr NATO Schiffen, immer unter deutscher Beteiligung, soll fortgesetzt, ja verstärkt werden.

Trotz allem war auffallend, dass die NATO-Feierlichkeiten von der Repräsentanz, der Intensität und der Medienbegleitung (leider auch von den Protesten) deutlich geringer ausfielen als die groß herausgeputzten Feierlichkeiten zum 60. Jahrestag. Dazu hat sicher die Politik von Trump mit seinem primitiven „Amerika first“ und der hemmungslosen nationalistischen Aufrüstung beigetragen, aber auch die „militaristische Emanzipation“ Europas, das die Widersprüche der hegemonial streitenden Mächte um die Einflusszonen und Entscheidungen deutlich sichtbarer werden lässt. Die Niederlagen der NATO in den letzten zehn Jahren, besonders in Afghanistan und Syrien, sind an der Allianz nicht spurlos vorbei gegangen.

Wir sollten aber auch nicht unterschätzen, dass die Delegitimierung der NATO, wie sie von vielen nationalen und internationalen Friedensorganisationen tagtäglich aktiv getätigt wird, ihren Einfluss hat. Die öffentliche Meinung ist in vielen Ländern (noch) NATO- kritischer geworden. Einen nicht unerheblichen Beitrag dazu hat das internationale Netzwerk „No to war- no to NATO“ geleistet.

Es bleibt aber dabei, wir haben noch viel zu tun, bis die NATO überwunden bzw. aufgelöst oder einige Länder individuell aus ihr ausgetreten sind.

Was bleibt auch nach diesem Gipfel? Wir sehen uns wieder im Dezember 2019 in London beim nächsten NATO-Gipfel mit der klaren Aussage: „No to Nukes – no to war - no to NATO“.

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Rubrik

Friedensbewegung international
Kristine Karch engagiert sich beim International Network of Engineers and Scientists for Global Responsibility (INES)
Reiner Braun war Geschäftsführer der IALANA Deutschland und ist ehem. Co-Präsident des Internationalen Friedensbüros (IPB).