Friedensnobelpreis 2011

Nobels Dynamitpreis für dynamische Frauen

von Irmgard Hofer
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( c ) Netzwerk Friedenskooperative

Das norwegische Nobelkomitee entschied, den Friedensnobelpreis 2011 an Ellen Johnson-Sirleaf, Leymah Gbowee und Tawakkul Karman für ihren gewaltfreien Kampf für die Sicherheit von Frauen und für das Recht der Frauen, voll an friedensschaffender Arbeit beteiligt zu werden, zu vergeben. In der Begründung heißt es: „Wir können Demokratie und dauerhaften Frieden auf der Welt nicht erreichen, wenn Frauen nicht dieselben Möglichkeiten wie Männer erhalten, Entwicklungen auf allen Ebenen der Gesellschaft zu beeinflussen. Im Oktober 2000 hat der UN-Sicherheitsrat die Resolution 1325 verabschiedet. Diese Resolution hat die Gewalt gegen Frauen in bewaffneten Konflikten zum ersten Mal zu einer Sicherheitsfrage erklärt. Sie unterstreicht die Notwendigkeit, dass Frauen in gleicher Weise wie Männer an Friedensprozessen und an Friedensarbeit generell beteiligt werden.“

Ellen Johnson-Sirleaf, seit 2006 demokratisch gewählte Präsidentin von Liberia, werde geehrt für ihren Einsatz zur Sicherung des Friedens, zur Förderung von wirtschaftlicher und sozialer Entwicklung sowie zur Stärkung der Rolle von Frauen in Liberia. Leymah Gbowee habe Frauen über ethnische und religiöse Grenzen hinweg zusammengebracht, um den langwierigen Bürgerkrieg zu beenden und Frauen an Wahlen in Liberia zu beteiligen. Danach habe sie daran mitgearbeitet, den Einfluss von Frauen im westlichen Afrika im und nach dem Krieg zu stärken. Unter extrem schwierigen Bedingungen habe Tawakkul Karman sowohl vor als auch während des 'Arabischen Frühlings' eine führende Rolle beim Kampf für die Rechte von Frauen sowie für Demokratie und Frieden im Jemen gespielt.

Das Komitee drückte die Hoffnung aus, die Vergabe des Preises an die drei Frauen könne helfen, die Unterdrückung von Frauen zu beenden, die es weiter in vielen Ländern gäbe, und das große Potenzial für Frieden und Demokratie zu erkennen, das Frauen repräsentieren können.

Zwar mussten sich auch Arafat, Perez und Scharon den Preis dritteln, doch ist mir kein männlicher Friedensnobelpreisträger bekannt, der stellvertretend für sein ganzes Geschlecht geehrt wurde. „Drei für alle“ titelte die TAZ (1) folgerichtig. Allerdings sollten sich pazifistische Friedensfrauen darüber nicht beklagen, schließlich hatten wir (2) auch die Bewegung „Peace Women Across the Globe“ (3) unterstützt, die schon 2005 eintausend Frauen für den Friedensnobelpreis nominierte, um damit die Friedensarbeit von Frauen öffentlich und sichtbar zu machen. FriedensFrauenWeltweit gratuliert nun herzlich (3): „Es ist erfreulich, dass das Nobel-Komitee heute endlich den Scheinwerfer auf den zu wenig anerkannten Beitrag von Frauen bei der Beendigung von Kriegen, beim politischen Wandel und bei der Initiierung von Friedensprozessen richtet. Endlich – weil bisher erst 15 Frauen (und 83 Männer) diese Wertschätzung erfahren haben.“

Von Ban Ki Moon über die Zeitschrift Emma, Bundeskanzlerin Merkel bis zu Bischof Zollitsch wurde die Entscheidung des Komitees gelobt (4). Auch die Medien würdigen die Ehrung der drei Frauen, so Cathrin Kahlweit in der SZ: „… der Nobelpreis findet seine eigentliche Funktion wieder“ (5) oder Ines Pohl in der TAZ : „… was für ein wunderbares Signal aus Stockholm“.(1) Jede der drei Frauen hätte den ganzen Preis verdient.

Ellen Johnson-Sirleaf fiel mir das erste Mal auf, als sie zusammen mit Elisabeth Rehn 2002 den UN-Expertinnen-Bericht „Women, War, Peace“ verfasste, der die Rolle von Frauen als Opfer von Kriegen und Akteurinnen des Friedens untersuchte. Als erste gewählte Staatspräsidentin Afrikas (2005) richtete sie eine Versöhnungskommission in Liberia ein, um den 14 Jahre dauernden, blutigen Bürgerkrieg aufzuarbeiten. Sie erließ sofort ein Gesetz gegen Vergewaltigung, sorgte für die Einbeziehung von Frauen in die Regierung und machte sich national wie international für die Umsetzung der UN-Resolutionen 1325 stark: Ein Ministerium für Gender und Entwicklung wurde eingesetzt, am 8. März 2009 wurde ein Nationaler Aktionsplan zur Resolution verabschiedet, ein rein weibliches indisches Polizeibataillon bewacht im Rahmen der dortigen UN-Friedensmission die Sicherheit in der Hauptstadt Monrovia und kümmert sich um die Rekrutierung von Polizistinnen (die Rate betrug im Januar 2010: 17,3 %) und die Ausbildung von Polizeioffizierinnen. Seit 2009 gibt es eine nationale „Genderpolizei“ wie auch ein Polizeihandbuch gegen sexuelle Übergriffe für die Spezialeinheit „Frauen und Kinderschutz“. Es wurde ein Spezialgerichtshof mit 5 Richterinnen eingerichtet, um Vergewaltigungen zu ahnden(6). Präsidentin Sirleaf hat damit vielen Staaten der Welt gezeigt, was es heißt, die UN-Resolution 1325 und die Nachfolge-resolution 1829 zur sexuellen Gewalt gegen Frauen entschlossen umzusetzen.

Johnson-Sirleaf selbst sagte am 7. 10.: “Viel von der Ehre dieses Preises gehört ihr und den anderen liberianischen Frauen, die die Diktatur herausgefordert haben“(7) und meinte damit Leymah Gbowee, deren Friedensaktivitäten Sirleafs Rückkehr nach Liberia erst ermöglichten. Ganz in Weiß gekleidet traf sie sich mit vielen Frauen friedlich zum Protest und forderte die Rebellen wie den Diktator Charles Taylor zur Beendigung des Krieges auf; ihre Verhandlungen sollen maßgeblich zum Friedensabkommen von Accra geführt haben. Von Ghana aus leitet sie heute das Women Peace and Security Network Africa. In einem Interview sagte sie: „Wir dürfen unseren Kindern gegenüber den Krieg nicht unter den Teppich kehren. Stattdessen müssen wir uns mit ihnen zusammensetzen und ihnen erklären, was die tatsächlichen Ursachen für den Krieg gewesen sind. Dazu gehört die ungerechte Verteilung des Reichtums, die Armut und Marginalisierung verschiedener Gruppen im Land. Nur wenn wir diese Dinge in der Zukunft abstellen, kann der Heilungsprozess wirklich beginnen. Das bedeutet auch: Dann sind Vergebung und Gerechtigkeit möglich.“(8)

Bei der Begründung der Auszeichnung für Tawakkul Karman aus Jemen versuchte das Nobelkomitee vorbeugend möglicher Kritik Wind aus den Segeln zu nehmen: Einerseits werde der arabische Frühling gewürdigt, der ohne die Frauen keinen Erfolg haben könne. Andererseits zeichne man ein Mitglied der Muslimbruderschaft aus, die im Westen als Gefahr für die Demokratie angesehen werde, es gäbe aber viele Anzeichen dafür, dass solche Gruppen Teil der Lösung sein könnten. Norwegische Toleranz wurde so gegen westliche Islamphobie gesetzt. Die jemenitische Journalistin hat den Preis nicht nur unabhängig von ihrem Geschlecht, sondern auch unabhängig von ihrer Religion erhalten. Das Komitee ehrte damit auch die vielen frommen MuslimInnen, die im arabischen Frühling auf die Straße gingen. Jeden Dienstag demonstriert Tawakkul Karman in Sanaas Innenstadt gegen Präsident Salih, für Pressefreiheit und Menschenrechte, ungeachtet zahlreicher Drohungen und zweier Verhaftungen. Seit sieben Jahren hat sie den Gesichtsschleier abgelegt und tritt nun in der Öffentlichkeit nur noch mit Kopftuch auf. Sie tritt für Gewaltfreiheit ein und hofft, „dass der Jemen ein zivilisiertes und friedliches Land wird. Wir werden die Welt überraschen“.(9)

Die EU-Abgeordnete Barbara Lochbihler gratulierte in der TAZ den Preisträgerinnen: „Gleichberechtigung muss als Grundlage für jedes Bemühen um Versöhnung angesehen werden - genau diese Ziele sind in der UN-Sicherheitsratsresolution 1325 festgeschrieben, die vor elf Jahren beschlossen wurde. Jahrelang hatten sich zuvor Feministinnen und andere Aktivistinnen für diese Resolution eingesetzt. Dass das Friedensnobelpreiskomitee nun Frauenrechtlerinnen prämiert, die mit ihrem Leben genau dafür stehen, ist auch eine große Anerkennung für all diejenigen, die sich zwischen Sanaa und Berlin, Monrovia und Peking, Istanbul und New York gegen sexualisierte Gewalt gegen Frauen sowie Kriegsverbrechen stark gemacht haben.“(10)
Mit der Entscheidung wird die Rolle von Frauen in Friedensprozessen gewürdigt. Alle bisherigen fünfzehn Friedensnobelpreisträgerinnen hatten sich der Gewaltfreiheit verschrieben, was frau nicht von allen bisher geehrten 86 Männern behaupten kann.

 

Anmerkungen
(1) TAZ. Die Tageszeitung, 8./9. 10. 2011, S. 1

(2)  „wir“  heißt in diesem Fall „Frauennetzwerk Frieden FNF“, (www.frauennetzwerk-fuer-frieden.de) ein Netzwerk deutscher Friedensfrauen und Organisationen, dem die „Internationale Frauenliga für Frieden“, deutsche Sektion (www.wilpf.de), beigetreten ist. Beide Organisationen hatten die Nominierung 2005 öffentlich unterstützt und 2006 ein weiteres Mal beim Nobelkomitee eingereicht. Die Ausstellung „1000 Frauen für den Frieden“ kann beim Frauennetzwerk Frieden ausgeliehen werden.

(3) www.1000peacewomen.org

(4) siehe Zusammenstellung Frankfurter Rundschau, 8./9. Oktober 2011, S. 3

(5) Süddeutsche Zeitung, 8./9. 10. 2011, S. 4

(6) Zahlen von Rebecca Stubblefield, „Implementation of UN Security Council Resolution 1325 in Liberia,  aus “Lessons Learned, Reader 1325, 2010 www.gunda-werner-institut.de

(7) Frankfurter Rundschau, s.o., S. 3

(8) zitiert nach TAZ, 13. 10. 2011, S. 4

(9) zitiert nach Süddeutsche Zeitung, 8./9. Oktober, S. 2

(10) TAZ. Die Tageszeitung, 8./9. 10.2011, S. 3. Barbara Lochbihler war zunächst Generalsekretärin der Internationalen Frauenliga für Frieden und Freiheit in Genf, zehn Jahre lang Geschäftsführerin von Amnesty International Deutschland und wurde 2009 für die Grünen ins Europaparlament gewählt.

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Irmgard Hofer ist ehrenamtliche Vorsitzende der deutschen Sektion von WILPF, ihr Themenschwerpunkt ist Abrüstung.