Nuklear- und Rüstungspolitik in Indien und Pakistan

von Hans-Joachim Schmidt Niklas Schörnig

Neben den USA und dem Mittleren Osten hat sich Asien zu einem bedeutenden Hot Spot hoher Wachstumsraten im Rüstungsbereich entwickelt. Dabei hilft vielen Ländern der seit Jahren anhaltende ökonomische Aufschwung, sich zunehmend und umfangreich moderne Waffensysteme zu beschaffen. Folgt man der klassischen Rüstungskontrollliteratur, so bergen steigende Rüstungsausgaben und intensivierte Rüstungsprogramme immer die Gefahr eines auf einem Aktions-Reaktions-Mechanismus beruhenden Rüstungswettlaufs, der im Extremfall zu kriegerischen Auseinandersetzungen führen kann. Vor diesem Hintergrund scheinen die weitreichenden Aufrüstungsbemühungen in Asien die Gefahr eines Krieges in der sicherheitspolitisch schon angespannten und durch zahlreiche Grenzkonflikte in der an Ressourcen reichen Region zu verschärfen. Allerdings zeigt der genauere Blick, dass Rüstungsdynamiken und sicherheitspolitische Entwicklung in Asien und im pazifischen Raum je nach Land oder Region von ganz verschiedenen Faktoren gekennzeichnet sind und nicht alle Rüstungsdynamiken gleichermaßen problematisch erscheinen. Während manche durch überregionale Faktoren angetrieben werden, sind andere regionaler oder gar innenpolitischer Natur.

Indien und Pakistan
In Südasien verzeichnet Indien mit mehr als 23 Mrd. USD das größte Verteidigungsbudget, mit weitem Abstand gefolgt von Pakistan mit 3,6 Mrd. (Stand 2005). Zwischen 1996 und 2005 stieg der indische Verteidigungshaushalt real um mehr als 82 Prozent. Nach einer moderaten Zunahme zu Beginn des Jahrhunderts wuchsen die Verteidigungsausgaben 2004 um rund 16 Prozent und 2005 um 7,8 Prozent. Seit 2004 ist Indien wieder der größte Rüstungsimporteur unter den Entwicklungsländern. Seine Rüstungsimporte, überwiegend aus Russland und Israel, betrugen 2004 ca. 5,7 Mrd. USD.[1] Die Rüstungsausgaben und die Rüstungsimporte werden vermutlich in den nächsten Jahren weiter steigen.

Erstens haben sich Indiens Verteidigungsausgaben im vergangenen Jahrzehnt bei ca. drei Prozent des BIP eingependelt und da Experten mit einem nachhaltigen Wirtschaftswachstum möglicherweise sogar über dem von China rechnen, können die hohen Zuwächse der Rüstungsausgaben auch künftig ohne zusätzliche Belastungen im zivilen Sektor finanziert werden. Zweitens treibt das Wissen um die eigene Wirtschaftsmacht die indischen Rüstungsprogramme an. Das Wirtschaftswachstum in Asien hat die Bedeutung der Schifffahrtswege im Indischen Ozean, über die pro Jahr mehr als eine Milliarde Tonnen Erdölprodukte nach Asien geliefert werden, erheblich erhöht. Entsprechend seinem gestiegenen Eigenverbrauch versucht Indien seinen maritimen Einfluss zu stärken. So will die Marine am Ende des Jahrzehnts zwei Flugzeugträgergruppen einsetzen, die gleichzeitig im Arabischen Meer und im Golf von Bengalen agieren können und die Position gegenüber der – ebenfalls expandierenden – chinesischen Flotte stärken. Schon jetzt weitet Indien seinen Einfluss in der Region aus und bot Malaysia im Sommer 2006 Unterstützung bei der Überwachung der Straße von Malakka, der wichtigsten Versorgungsroute vom Indischen Ozean in die Südchinesische See und den Pazifik, an. Auch die Luftstreitkräfte wollen ihre area of interest ausweiten. Mit der wachsenden wirtschaftlichen Rolle steige auch die Erwartung, so der indische Luftwaffenkommandant Shashindra Pal Tyagi, dass sich Indien in „Fragen regionaler Sicherheit“ und bei „humanitären Belangen“ stärker engagiert.[2]

Hier kommt, drittens, das verbesserte Verhältnis zu den USA ins Spiel, das sich in dem seit Juli 2005 geplanten Nuklearabkommen niederschlug. Es soll Indien, das den nuklearen Nichtverbreitungsvertrag (NPT) nicht unterzeichnet hat, volle zivile Nuklearkooperation mit den USA gewähren. Im Gegenzug würde Indien sein Nuklearprogramm teilen und die als zivil deklarierten Anlagen internationaler Kontrolle unterstellen. Brisant ist, dass das Abkommen das militärische Nuklearprogramm Indiens entlasten würde, was speziell Pakistan sehr kritisch sieht. Allerdings ist die Zukunft des Atomdeals noch ungewiss, da Teile des US-Kongresses schärfere Auflagen und indische Vorleistungen verlangen, während Indien keinerlei Veränderungen akzeptieren will.

Die Unterzeichnung des auf zehn Jahre angelegten indisch-amerikanischen Verteidigungspakts im Juni 2005 wurde öffentlich kaum zur Kenntnis genommen. Das Dokument weist auf die gemeinsamen Interessen bei der Terrorbekämpfung, der Bekämpfung religiöser Extremisten, der Nichtverbreitung von Massenvernichtungswaffen und dem Schutz von Handelslinien hin. Neben vermehrten gemeinsamen Übungen sieht der Pakt intensivierten Rüstungshandel, Technologietransfer und gemeinsame Forschungs- und Entwicklungsprojekte vor. Damit unterstützen die USA Indien in seinem Bestreben, die eigenen Streitkräfte zu modernisieren und zentrale Elemente der Revolution in Military Affairs (vgl. Friedensgutachten 2005, Beitrag 3.6.) zu inkorporieren. Hinter dieser Kooperation steht das Interesse Washingtons, Indien als regionale Großmacht für seine Bemühungen, China einzuhegen, zu gewinnen. Zwar führen Indien und China Gespräche mit dem Ziel, ihren seit 1962 schwelenden Grenzkonflikt beizulegen; und im Juni 2006 einigte man sich einen Grenzübergang zu öffnen – gleichwohl besteht weiterhin Misstrauen. Die amerikanische Unterstützung verfolgt auch das Ziel, die Rüstungs- und Sicherheitskooperation zwischen Indien und Russland einzuschränken. Mit welchem Erfolg, bleibt offen.

Ein weiteres Motiv Indiens, seine Rüstung zu erhöhen, ist die Rivalität mit Pakistan. Zwar haben sich die Beziehungen verbessert, seit man sich Anfang 2004 auf einen Zeitplan für Friedensverhandlungen einigte und kontinuierliche Gespräche führt, die beide Seiten jüngst als irreversibel bezeichneten. Doch gerieten die Gespräche durch die schlechte humanitäre Kooperation nach dem Erdbeben in Kashmir am 8.Oktober 2005 und den Bombenanschlägen islamistischer Terroristen in Delhi knapp zwei Wochen später ins Stocken. Nach Berechnungen der indischen Armee soll sich das militärische Kräfteverhältnis zwischen Indien und Pakistan von 1,75 : 1 Mitte der 1970er Jahre auf 1,22 : 1 Anfang dieses Jahrzehnts verschlechtert haben.[3] Möglicherweise sagen diese Zahlen mehr aus über die indische Perzeption Pakistans als über das tatsächliche Kräfteverhältnis. Die realen Verteidigungsausgaben Pakistans stiegen zwischen 1996 und 2004 nur um 17 Prozent und sind zwischen 2004 und 2005 sogar um acht Prozent gefallen. Auch nahm der Anteil der Rüstungsausgaben am BIP seit 1996 kontinuierlich ab. Allerdings konnte Pakistan in dieser Zeit durch Kooperation mit China moderne Waffensysteme erlangen und ist in einigen Hightech Joint Ventures engagiert. In jüngster Zeit hat Pakistan nach 16-jähriger Pause dank seines Engagements im Antiterrorkampf als Belohung auch wieder amerikanische Hochtechnologie erhalten. Bis Ende 2007 werden der pakistanischen Luftwaffe 36 moderne F-16C/D Kampfflugzeuge im Wert von ca. 3 Mrd. USD überstellt. Zusätzlich wurde die Lieferung modernster 7 Military Balance 2004/05, S. 309. Luft-Luft Raketen mit Fähigkeiten, über die Pakistan im Gegensatz zu Indien bislang nicht verfügte, beschlossen. Allerdings knüpfen die USA an die Lieferung die Bedingung, die enge Rüstungskooperation Pakistans mit China zu lösen. Nach 16 Jahren amerikanischen Rüstungsembargos dürften jedoch die Befürchtungen in Pakistan vor einer erneuten US-Abhängigkeit wahrscheinlich so groß sein, dass man auf die chinesische Kooperation nicht verzichten wird.

Alles halb so wild?
Mit China und Indien stehen sich zwei regionale Großmächte gegenüber, die beide als kommende Weltmächte gehandelt werden und deren Rüstungsprogramme auf die Ausweitung des Einflussraumes ausgerichtet sind. Hinzu kommt Russland, das sich als zehntstärkste Wirtschaftsnation ebenfalls mit einem regionalen Führungsanspruch zurückmeldet. In dieser Lage versuchen die USA ihren Einfluss durch die gezielte Unterstützung Indiens zu verstärken. Trotz der gleichzeitigen Waffenlieferungen an Pakistan erhöhen sie damit das Ungleichgewicht zwischen Indien und seinem nordwestlichen Rivalen, was bei einer erneuten Verschlechterung der Beziehungen die Gefahr eines Krieges zwischen den beiden Nuklearmächten birgt. Schließlich zeigt auch Japan Interesse an einer bedeutenderen Rolle, auch wenn sich die japanischen Ambitionen wegen der Verfassungsbeschränkungen noch nicht in höheren Rüstungsausgaben niederschlagen. Kein anderer Staat in Südostasien ist bestrebt, seine Rolle so massiv auszuweiten. Nur Australien versucht sich als regionale Ordnungsmacht. Allerdings sind die Ressourcen Canberras zu begrenzt, um sich ohne amerikanische Hilfe über die direkte Nachbarschaft hinaus militärisch zu engagieren. Die bisherigen Bemühungen zur militärischen Vertrauensbildung haben trotz einiger Fortschritte nicht geholfen, die Rüstungsdynamiken nachhaltig zu beschränken. In den letzten Jahren ist eher das Gegenteil zu beobachten. Die bilateralen sicherheitspolitischen Dialoge und vertrauensbildenden Maßnahmen reichten nicht aus. Zwar ist z.B. China bemüht, mit vielen Nachbarn – darunter auch mit Indien – seine Grenzprobleme friedlich zu regeln, und zwischen Pakistan und Indien gibt es Friedensgespräche über den Kaschmir-Konflikt sowie eine von den USA unterstützte Vertrauensbildung im nuklearen Bereich. Diese Schritte sind unbedingt fortzusetzen. Zugleich erkennen immer mehr Staaten die Notwendigkeit der gemeinsamen Abwehr regionaler Gefahren, wie etwa der Piraterie, des internationalen Terrorismus oder der nuklearen Nonproliferation. Das findet in den letzten Jahren seinen Ausdruck in einer steigenden Anzahl von Sicherheitsabkommen. Hier bietet sich die Chance, die sicherheitspolitischen Dialoge weiter zu multilateralisieren, um trotz expandierender Rüstungsprogramme die Gefahren ungewollter militärischer Konflikte einzuhegen.

 

Anmerkungen
[1] Rahul Bedi: „Indian conventional defence purchases soar“, in: Jane’s Defence Weekly 42 (2005): 37, S. 42.

[2] Rahul Bedi: Interview mit Air Chief Marshal Shashindra Pal Tyagi, Indian Air Force Chief, in: Jane’s Defence Weekly 42 (2005): 38, S. 34 (eigene Übersetzung).

[3] Military Balance 2004/05, S. 309.

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Hans-Joachim Schmidt ist wissenschaftlicher Mitarbeiter bei der Hessischen Stiftung Friedens- und Konfliktforschung.
Niklas Schörnig ist wissenschaftlicher Mitarbeiter bei der Hessischen Stiftung Friedens- und Konfliktforschung.