Internationaler Strafgerichtshof

Nur eingeschränkte Verfolgung von Angriffskriegen

von Andreas Zumach

Für völkerrechtswidrige Angriffskriege verantwortliche politische und militärische Führer können frühestens ab 2017 vor dem Internationalen Strafgerichtshof (IStGH) angeklagt werden. Das für  „Kriegsverbrechen", „Völkermord" sowie  für „Verbrechen gegen die Menschheit” bestehende Recht des IStGH-Chefanklägers, unabhängig vom UNO-Sicherheitsrat entweder auf eigene Initiative oder auf Antrag eines Staates Strafverfahren einzuleiten, gilt für das Verbrechen des „Angriffskrieges” allerdings nur mit erheblichen Einschränkungen. Diese Grundsatzentscheidung trafen die bislang 111 Mitgliedsstaaten des IStGH im Juni in der ugandischen Hauptstadt Kampala auf der ersten Überprüfungskonferenz zum 1998 in Rom verabschiedeten Gründungsstatut des Gerichtshofes. Inkrafttreten soll die Entscheidung der Überprüfungskonferenz frühestens 2017, wenn sie bis dahin  in den Parlamenten von mindestens zwei Drittel der IStGH-Vertragsstaaten ratifiziert wurde.

In der Rechtsgeschichte erstmals definiert und sanktioniert wurde das Verbrechen des „Angriffskrieges” oder der „Aggression” bereits 1946 in den Nürnberger Prozessen gegen die politischen und militärischen Führer des Nazi-Regimes. Auch bei der IStGH- Gründungskonferenz in Rom 1998 wurde der „Angriffskrieg” neben „Kriegsverbrechen”, „Völkermord“ und „Verbrechen gegen die Menschheit" in das Statut aufgenommen als eines der vier „Kernverbrechen”, die unter die Jurisdiktion des IStGH fallen. Doch konnte sich die Konferenz nicht auf eine Definition einigen. Der damals erforderliche Konsens aller 122 an den Verhandlungen teilnehmenden Staaten wurde von den USA blockiert. Sie beharrten darauf, ein Krieg solle nur als „Angriffskrieg” gelten, wenn er mit der Absicht der Eroberung oder der dauerhaften Besatzung des angegriffenen Landes geführt wird. Nach dieser Definition wäre keiner der von den USA seit 1945 geführten Kriege (Vietnam, Kambodscha, Laos, Grenada etc.) ein Angriffskrieg gewesen. Bei der Schlussabstimmung der Gründungskonferenz über das IStGH-Statut votierten die USA dann mit sechs weiteren Staaten dagegen. Bis heute sind die USA dem Strafgerichtshof nicht beigetreten. Auch die Obama-Administration hat dazu bislang keine Absicht erkennen lassen. Dennoch nahmen die USA als - sehr aktiver - Beobachter an der Überprüfungskonferenz in Kampala teil und lobbyierten bereits im Vorfeld bei den Regierungen zahlreicher Vertragsstaaten für eine möglichst eng gefasste Definition von „Angriffskrieg” sowie gegen die Kompetenz des IStGH-Chefanklägers „eigenständig Ermittlungs- und Strafverfahren wegen „Angriffskrieg” zu initiieren.

Bei der Definition konnte sich Washington nicht durchsetzen - vor allem auch wegen der aktiven Lobby der der internationalen Koalition (CICC) von über 1.000 Nichtregierungsorganisationen (NRO) für einen unabhängigen und effizienten Strafgerichtshof. Nach der in Kampala verabschiedeten Definition von „Angriffskrieg” fallen darunter alle militärischen Aggressionen gegen das Gebiet eines anderen Staates oder auf dessen Territorium, die gegen das in Artikel 2.4 der UNO-Charta festgelegte völkerrechtliche Gewaltverbot verstoßen, und nicht unter die beiden in der Charta festgelegten Ausnahmen (Selbstverteidigung eines Staates oder der vom Sicherheitsrat ausdrücklich autorisierte Einsatz militärischer Mittel) fallen.  Die für „Angriffskriege" verantwortlichen politischen und militärischen Befehlsgeber können vom IStGH strafrechtlich belangt werden, nicht aber einfache Soldaten und Befehlsempfänger. Bevor der IStGH-Chefankläger jedoch ein Ermittlungsverfahren einleiten kann, muss zunächst der UNO-Sicherheitsrat feststellen, dass eine völkerrechtswidrige Aggression vorliegt. Erst wenn der Rat eine derartige Feststellung innerhalb von sechs Monaten nicht trifft, kann der Chefankläger auf eigene Initiative oder auf Antrag eines Staates bei der Vorprüfungskammer des IStGH die Eröffnung eines Verfahrens beantragen und nach deren Zustimmung das Verfahren auch einleiten. Diese Einschränkung der Unabhängigkeit des Chefanklägers wurde in Kampala von den ständigen und vetoberechtigten Mitgliedern des Rates, Großbritannien und Frankreich, durchgesetzt. Auch die USA drängten massiv auf diese Einschränkung. Die drei westlichen Vetomächte setzten auch die Option durch, das ein IStGH-Vertragsstaat die Jurisdiktion des Gerichtshofes für das Verbrechen des Angriffskrieges ausdrücklich nicht anerkennen und damit die eigenen Staatsbürger vor einer Strafverfolgung durch den IStGH bewahren kann. Zudem darf der IStGH nur Ermittlungen wegen Angriffskrieg einleiten, wenn der angegriffene Staat Mitglied des IStGH ist.

Die Überprüfungskonferenz stellte außerdem den Einsatz von chemischen Waffen sowie von Dum-Dum-Geschossen auch in innerstaatlichen Konflikten unter Strafverfolgung des IStGH. Bislang gilt diese Zuständigkeit nur für zwischenstaatliche Konflikte.

Die Debatte der Überprüfungskonferenz über die bisherige Arbeit des IStGH wurde vor allem von der Kontroverse bestimmt, ob Anklagen und Ermittlungen des Internationalen Strafgerichtshofes förderlich oder hinderlich für Friedensprozesse und für die Beilegung innerstaatlicher Konflikte sind.

Konkreter Streitpunkt ist der im letzten Jahr ergangene internationale Haftbefehl des IStGH gegen Sudans Präsidenten Uman Hasan Ahmad al-Bashir. Dieser Haftbefehl wird von zahlreichen afrikanischen und arabischen Regierungen ignoriert, die Bashir weiterhin in ihren Hauptstädten empfangen. Als angeblich hinderlich für einen Friedensprozess in Sudan kritisiert und missachtet wird der Haftbefehl gegen den kürzlich wiedergewählten sudanesischen Präsidenten auch von UNO-Generalsekretär Ban Ki Moon.

An der Feier zu Beginn von Bashirs zweiter Amtszeit in Khartoum - vier Tage vor Beginn der IStGH-Überprüfungskonferenz in Kampala - ließ der Generalsekretär offiziell Vertreter der UNO teilnehmen. Damit verstieß Ban Ki Moon gegen einschlägige Bestimmungen der Weltorganisation. Doch vorherige Warnungen seiner eigenen Berater wie auch der Menschenrechtsorganisation Human Rights Watch schlug der UNO-Generalsekretär ebenso in den Wind wie die EU, deren Vertreter Bashir ebenfalls offiziell die Ehre gaben.

Trotz des anhaltenden Dissenses im Fall Bashir heißt es im Abschlussdokument der Konferenz von Kampala, international sei die Überzeugung gewachsen, dass die Aufklärung und Bestrafung von Verbrechen zu Gerechtigkeit beitrage, und dass Gerechtigkeit eine entscheidende Voraussetzung für Frieden und nachhaltige Konfliktlösungen sei.

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