Öffentlichkeitsarbeit und ideologie der Bundeswehr

von Gregor Witt

Die Bundeswehr ist von der öffentlichen Kritik an der Abschreckungspolitik in den vergangenen Jahren mehr oder weniger verschont geblieben. Seit zwei/drei Jahren erfaßt die Krise des Militärischen auch die Bundeswehr. Die Armee bangt um ihre Existenz(-berechtigung). Der Kampf um "Herzen und Hirne" (M. Wörner) ist zur zentralen innenpolitischen Front der Armee geworden.

Die Symptome der aus dem Werte und Meinungswandel resultierenden kritischen Einstellung der Öffentlichkeit zum Militärischen sind bekannt. Sie reichen von der immer häufiger anzutreffenden Meinung, der Wehr¬dienst sei ethisch verwerflich, und steigenden Kriegsdienstverweigererzahlen über die Nichtakzeptanz militärischer Belastungen wie Tiefflügen, Wehrdienstverlängerung, hohen Rüstungsausgaben und anderes mehr bis hin zur nachlassenden Legitimation militärischer Sicherheitspolitik angesichts der Vernichtungsfähigkeiten, der globale zivilen Aufgaben und des schwinden¬den Feindbildes. Die Grundtendenz beschreibt der Bei¬rat für innere Führung in seiner 8. Empfehlung "Bundeswehr, internationales Umfeld, Staat und Gesellschaft" zutreffend mit den Worten: "Das Verhältnis von Realpolitik und Moral hat sich verändert. Begriffe wie Gerechtigkeit und Moral rücken in den Vordergrund. Recht und Unrecht, aber auch Bedrohung und Verteidigungsbereitschaft werden immer häufiger von Fall zu Fall auch unter moralischen Gesichtspunkten beurteilt." Eine zweite Entwicklung ist die gerade unter Jugendlichen anzutreffende Prägung durch zivile Lebens- und Denkgewohnheiten, die im Widerspruch zu den Funktionsprinzipien der Armee stehen. Dazu der Beirat: "Eine zivilisationsverwöhnte (!) Generation hat verständlicherweise Umstellungsschwierigkeiten beim Übergang von bisherigen Gewohnheiten des zivilen Lebens in die hierarchisch gegliederte, nach dem Prinzip von Befehl und Gehorsam funktionierende Bundeswehr." Um in der Öffentlichkeit insgesamt, vor allen Dingen aber den Jugendlichen den Sinn und Zweck der offiziellen Sicherheitspolitik, der Bundeswehr und des Wehrdienstes zu vermitteln, versucht die Hardthöhe auf drei Eb¬nen anzusetzen:

  1.  Öffentlichkeits- und Public-Relations-Arbeit
    Die Bundeswehr hat ihre Öffentlichkeitsarbeit in den letzten Jahren weiter intensiviert und professionalisiert. Zum Zwecke der Image-, Nachwuchs und Meinungswerbung stellt sich die Bundeswehr je nach Anlaß und Zielgruppe als bedeutsamer Auftrag- oder Arbeitgeber, sicherer Arbeitsplatz, "starke Truppe" oder gar "größte Friedensbewegung" dar. Allein für "Bürgerinformationen zu Verteidigungs¬fragen" stehen ihr in diesem Jahr 4,2 Mio. DM zur Verfügung. Hinzu kommen 2,5 Mio. DM für die "Psychologische Verteidigung" und 23,5 Mio. DM für den Reservistenverband, der dafür sorgen soll, daß die Hunderttausenden von Reservisten zu Multiplikatoren der offiziellen Sicherheitspolitik werden. Gleichzeitig verfügt die Bundeswehr mit ihren 66 haupt- sowie je 650 nebenamtlichen Jugendoffizieren und - unteroffizieren über eine eigene Propagandatruppe mit der Zielgruppe Jugend. Sie erreichte allein 1987 über 300.000 Jugendliche in Schulen und Jugendorganisationen sowie knapp 200.000 Multiplikatoren der politischen Bildung einschließlich Lehrer und Erzieher. Dabei gibt der langjährig verantwortliche Referent für die Arbeit der Jugendoffiziere offen zu, daß diese nicht, wie es häufig dargestellt wird, "politische Bildung" betreiben sollen, sondern daß es sich bei dieser Darstellung um eine "Kriegslist" handelt, um der Bundeswehr Türen zur Darstellung der Aufrüstungspolitik zu öffnen.
  2. Erhöhung der Attraktivität der Bundeswehr
    Vor allem mit finanziellen und beruflichen Anreizen soll die Attraktivität der Bundeswehr erhöht werden. Dazu gehört die Verkürzung der Dienstzeitbelastungen auf 46 Wochenstunden, die Erhöhung der Bezüge für Soldaten und Wehrdienstleistende, die Verbesserung der Berufsförderungsmaßnahmen u.a.m.
    Das schwierigste Problem der Bundeswehr ist dabei das offenkundige Auseinanderklaffen zwischen ziviler und militärischer Wertordnung und
  3. Neulegitimation der Armee
    Bundesverteidigungsminister Scholz und mit ihm Vertreter der Bundeswehrführung wie Admiral Wellershoff halten es mittlerweile für einen Fehler, daß so viele Jahre lang die Bedrohung als Hauptargument für die Aufrechterhaltung der Bundeswehr und die Aufrüstung bemüht wurde. Nachdem das Feindbild Sowjetunion so gut wie verschwunden ist, sollen neue ideologische Begründungsmuster die Notwendigkeit der Bundeswehr rechtfertigen. Dazu Scholz in einem Interview im "Südkurier" am 21. Oktober 1988: "Landesverteidigung ist ein verfassungsrechtlicher Auftrag, der für jeden Staat von vornherein eine Selbstverständlichkeit darstellt. Ein Staat und eine Gesellschaft, die nicht zu ihrem Verteidigungsauftrag stehen, verzichten im Grunde auf Unabhängigkeit, Selbstbestimmung und Selbstbehauptung, sie setzen sich möglicher politischer Erpreßbarkeit aus." Die Propagandaformel vom "Frieden in Freiheit" soll offenbar eine Wiederbelebung erfahren.

Die Bundeswehr wird mit ihrem starren Festhalten an der Abschreckungspolitik trotz solcher Propagandaübungen ihre Existenz schwerlich neu rechtfertigen können. Dazu verbreiten sich wichtige Einsichten in die heutige Realität zu schnell. Die Reaktionen der Bundeswehr darauf können aber problematische Zeitverluste bewirken, wenn es ihr gelingt, weiter im Trüben zu fischen. Deshalb muß die Friedensbewegung sich dringend in eine offensivere direkte Auseinandersetzung mit "unserer" Armee begeben, mit der die Sinn- und Verantwortungslosigkeit
militärischer "Sicherheitspolitik" verdeutlicht und auch die unkontrollierte und undemokratische Eigenwerbung der Bundeswehr angegriffen wird. Funktionsprinzipien. Um dieses zu übertünchen, fordert Ulrich A. Hundt, Kommandeur des Zentrums Innere Führung in Koblenz, in einem Artikel in den "Informationen für die Truppe" (11/88) unter anderem, den Untergebenen müsse das Gefühl vermittelt werden, persönlich wichtig und gefordert zu sein, es sollten Freiräume für Eigenständigkeit, Mitwirkung und Mitverantwortung geschaffen werden, der Zusammenhalt von Kleingruppen solle gefördert und gemeinsame Erlebnisse sollten geschaffen werden. Dabei ist sich Hundt der Grenzen einer "Zivilisierung der Bundeswehr" bewußt, denn: "Die Streitkräfte müssen kriegstüchtig bleiben."

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