Österreich auf dem Weg ins militärische Kerneuropa

von Gerald Oberansmayr

Österreichs Machteliten vollziehen seit dem EU-Beitritt einen politischen Eiertanz. Auf der einen Seite wird in Sonntagsreden die österreichische Neutralität beschworen, während der Woche dagegen profiliert man sich als Musterschüler der weiteren EU-Militarisierung. Man will sich an den EU-Battlegroups beteiligen, kauft sündteure Eurofighter, stellt mittlerweile größere Truppenkontingente in Bosnien und Kosovo, marschiert an der Seite der Franzosen in den Tschad, erhöhte alleine im Jahr 2007 das Militärbudget um über 30% und ließ auf EU-Ebene kaum eine Gelegenheit aus, sich für die weitere Militarisierung der Europäischen Union zu engagieren. So fand der sog. EU-Reformvertrag im österreichischen Establishment - bis hin zu den Grünen – besonders willige Befürworter. Obwohl eine Reihe namhafter Verfassungsexperten eine Volksabstimmung über diesen EU-Vertrag für verpflichtend hielten und eine großer Bevölkerungsmehrheit das forderte, wurde die Ratifizierung dieses Vertrages im Eilzugstempo durch das Parlament gejagt.

Der EU-Reformvertrag steht in diametralem Gegensatz zur Neutralität: Aufrüstungsverpflichtung, Mandat für weltweite Militäreinsätze auch ohne UNO-Mandat, militärische Beistandsverpflichtung. Und – und das wird noch viel zu wenig wahrgenommen – dieser Vertrag legt die Grundlage für die weitere Hierarchisierung der Europäischen Union gemäß der der militärischen Potenz. Im Artikel Artikel 41, Absatz 6 des Vertrages über die EU wird die sog. „Ständige Strukturierte Zusammenarbeit“ (SSZ) aus der Taufe gehoben. In diese SSZ sollen nur jene EU-Staaten Einlass finden die über „anspruchsvollere militärische Fähigkeiten verfügen“ und zu „Missionen mit höchsten Anforderungen“ Gewehr bei Fuß stehen. Etwas prosaischer: Hohe Rüstungsausgaben und Bereitschaft zu Kriegseinsätzen an vorderster Front. Wer nicht den Sprung in dieses militärische Kerneuropa schafft, spielt nur mehr in der 2. europäischen Liga. Die Evaluation über den Einlass nimmt die EU-Verteidigungsagentur vor, deren ehemaliger Chef Nick Witney in einer Studie für den EU-Rat darlegte, warum die SSZ zu den Kernbestandteilen des neuen EU-Vertrages gehört. „Wenige Abgeordnete wollen vor ihrer Wählerschaft begründen, warum deren Steuern für Kampfhubschrauber statt für Spitäler verwendet werden soll … Militärische Operationen kosten Geld und riskieren Menschenleben. … Nur ein eiserner politischer Wille, untermauert von klarem Zielbewusstsein, kann dafür sorgen, dass sich diese strategische Orientierung gegen kurzfristige Unannehmlichkeiten durchsetzt.“[i]

Ein elitärer Klub
Die wirklichen Torwächter für den Einlass in das Militärdirektorium sind allerdings die Machteliten der großen EU-Staaten. Denn über den Erstzutritt soll bereits nach dem neuen Mehrheitsprinzip entschieden werden, das den großen Staaten deutlich höhere Stimmgewichte verleiht (z.B. BRD +100%, Frankreich und GB + 45%), während kleine und mittlere deutlich verlieren. Über spätere Aufnahme bzw. Rausschmiss aus dem exklusiven Militärklub wird dann ebenfalls mit Mehrheit der Klubmitglieder entschieden. Das diszipliniert.

Die österreichische Regierung dürfte schon seit geraumer Zeit die Frage plagen, wie man – obwohl immer noch militärisches Leichtgewicht – den Sprung in diese militärische und wohl auch politische Oberliga der EU schaffen könnte. Die Führung in Berlin weiß man offensichtlich auf seiner Seite, denn die Zusammenarbeit zwischen Bundeswehr und Bundesheer ist mittlerweile so intensiv, dass Armeekommandant Günter Höfler schon 2005 eine Dienstreise nach Deutschland „nicht mehr als Auslandsdienstreise“ (Kleine Zeitung, 14.12.2005) verstanden wissen wollte. Deutsche und österreichische Soldaten haben bereits 2001 in den Tiroler Alpen „Militäreinsätze im Kaukasus“ trainiert, österreichische Soldaten dien(t)en unter deutschem Kommando in Afghanistan und am Balkan, gemeinsam will man bis 2011 eine Battle-Group aufstellen, der Ankauf deutscher Waffen (vom Leopard-Panzer bis zum Eurofighter) ist mittlerweile fast schon so etwas wie Staatsräson in der Alpenrepublik. Schließlich sitzen auch Vertreter der großen deutschen Rüstungsschmieden Siemens, Thyssen-Krupp und Daimler schon seit geraumer Zeit im Aufsichtsrat der Staatsholding ÖIAG.

Etwas happiger könnte es jedoch bei den Franzosen werden, die dem Erstarken der deutsch-österreichischen Allianz immer schon argwöhnisch gegenüber standen. Die Teilnahme österreichischer Soldaten an der französischen EU-Mission im Tschad dient wohl in erster Linie als Signal in Richtung Paris, dass man auch bei französischen Kolonialabenteuer jederzeit mitzumachen bereit ist.

Führungsaufgaben bei EU-Kriegseinsätzen?
Doch beim Mitmachen will es die neue sozialdemokratisch/konservativen Regierungskoalition gar nicht mehr belassen. Um auch die letzten Zweifler in der EU zu überzeugen, dass die Regierung die Neutralitätsrethorik gegenüber der eigenen Bevölkerung kein bisschen ernst zu nehmen gedenkt, will die neue SP/VP-Regierung in Zukunft auch „Führungsaufgaben“ bei EU-Kriegseinsätzen übernehmen. Wörtlich heißt es im Regierungsprogramm:

„Das Bundesheer soll … zum gesamten militärischen Aufgabenspektrum der Europäischen Sicherheits- und Verteidigungspolitik auch nach kurzen Vorwarnzeiten beitragen können. Das betrifft auch die Wahrnehmung der Teilnahme an schnellen Krisenreaktionskräften der EU (Battle-Groups-Konzept) und die Weiterentwicklung des Beitrages dazu auf Basis der Erfahrungen der für 2011 und 2012 festgelegten Teilnahmen. … Ein Schwerpunkt dabei ist die Erreichung des bestehenden EU-Planungsziels (‚Headline Goals 2010’). Gleichzeitig wird auf das ambitionierte Ziel hingearbeitet, kurzfristig verfügbare, strukturierte Kräfte zur Führung einer multinationalen Framework-Brigade mit Aufgaben im gesamten Spektrum der Petersberg-Aufgaben neu ins Ausland zu entsenden.“[ii] (2)

Was steckt hinter diesem trockenen Militärjargon? Einige Erläuterungen:

„Das gesamte Spektrum der Petersberg-Aufgaben“ ist eine euphemistische Übersetzung für: Militärinterventionen auf der ganzen Welt bis hin zum offenen Angriffskrieg. Die renommierte Militärzeitschrift „Europäische Sicherheit“ fasst etwa unter dem „oberen Spektrum der Petersberg-Aufgaben“ Kriege wie den NATO-Angriff auf Jugoslawien im Jahr 1999 (vergl. Europäische Sicherheit, 2/2002). Zur Erinnerung: 78-Tage Dauerbombardement, ca. 10.000 Tote, Einsatz von Uran-Munition, Zerstörung der Infrastruktur eines Landes.

„Head-Line-Goal 2010“ (HLG 2010) der EU: Das ist jenes Streitkräfte-Ziel mit dem die EU solche Kriege in Hinkunft ohne Rückgriff auf US- und NATO-Infrastrukturen eigenständig durchführen können will. Das HLG 2010 umfasst zu diesem Zweck eigenständige Kommando-Strukturen, Errichtung der dafür notwendigen Sturmtruppen („Battle-Groups“), Transport-Kapazitäten zur Luft und See (inkl. Flugzeugträger) und schließlich die Militarisierung des Weltraums, um die sog. „netzwerkzentrierte Kriegsführung“ zu erreichen, also die Fähigkeit zu jenen High-Tech-Blitzkriegen,  wo - wie gegen Jugoslawien, Afghanistan und Irak – mit Hilfe weltraum-gestützter Satellitenkapazitäten die gesamte Logistik und Feuerkraft der Boden-, See- und Luftstreitkräfte kombiniert zum Einsatz gebracht werden kann.

Entsprechend kündet das SP-/VP-Regierungsübereinkommen auch gleich einen neuen Aufrüstungsschub an: “Fortsetzung und Intensivierung der Modernisierung der Ausrüstung und der Ausbildungsmittel (Mobilität, Transport, Schutz, Aufklärung etc.)” (Seite 142) Als erster Schritt in diese Richtung steht die Anschaffung von über hundert gepanzerten Fahrzeuge „für Auslandseinsätze“ unmittelbar bevor.

Bemerkenswerterweise findet das sicherheitspolitische Kapitel der Bundesregierung sowohl Unterstützung von Seiten der Grünen wie der Opposition von rechtsaußen. Die Parteien des Establishments mögen sich in vielem streiten, in einem sind sie hinter den Kulissen einig:

Teilnahme an der EU-Militarisierung und die Beseitigung Neutralität. Die österreichische Verfassung, das Neutralitätsgesetz und der Friedenswille der Bevölkerungsmehrheit werden von unten her verteidigt werden müssen. Denn nimmt man Neutralität ernst, dann bedeutet sie vor allem eines: Nichtteilnahme an Kriegen und Pakten, die der Vorbereitung und Durchführung von Kriegen dienen. Konkret heißt das für Österreich: Austritt aus den Gremien und Verbänden der EU-Militärpolitik (Verteidigungsagentur, Battle-Groups, etc.) und Rückzug aller Truppen von den EU- und NATO-Militärmissionen. Nur auf dieser Grundlage lässt sich eine aktive Friedens- und Neutralitätspolitik betreiben, die sich glaubwürdig für internationale Abrüstung und friedliche Konfliktbeilegung engagiert. Die jüngsten Ambitionen der Regierung, zum Sprung ins militärische Kerneuropa anzusetzen, machen diese Forderungen der Friedensbewegung umso dringender.

 

Anmerkungen
[i] Re-energising Europe`s Security and Defence Policy, Nick Witney , Policy Paper im Auftrag des European Council on Foreign Relations (ecfr.eu), Juli 2008

[ii] SP-/VP-Regierungsübereinkommen, November 2008, 139 f.

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Gerald Oberansmayr lebt und arbeitet in Linz/Österreich. Er ist Aktivist der Werkstatt Frieden & Solidarität, Redakteur der antimilitaristischen Zeitschrift „guernica“ und Autor des Buches „Auf dem Weg zur Supermacht – Die Militarisierung der Europäischen Union“ (Promedia, 2005).