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Doppelt katastrophale Zeitenwende in der Rüstungsexportpolitik
Offene Grenzen für Rüstungsexporte in Krisen- und Kriegsgebiete
von
Ende 2021 klangen einige grundsätzliche Vorgaben seitens der Ampelkoalition von SPD, Bündnisgrünen und FDP vielversprechend. Im Koalitionsvertrag für die Jahre bis 2025 legten die Koalitionäre im Rüstungsexportbereich die selbstgesetzte Messlatte hoch: In Deutschland solle „ein nationales Rüstungsexportkontrollgesetz“, kurz REKG, umgesetzt werden.
Ausdrücklich betonten die Ampelkoalitionäre: „Wir erteilen keine Exportgenehmigungen für Rüstungsgüter an Staaten, solange diese nachweislich unmittelbar am Jemen-Krieg beteiligt sind.“ (1) Maßgeblich verantwortlich für das neue REKG war das von Grünen-Politiker Robert Habeck geführte Bundesministerium für Wirtschaft und Klimaschutz, BMWK. „Erstmalig in der deutschen Geschichte soll damit die restriktive Rüstungsexportkontrolle der Bundesregierung ausdrücklich gesetzlich festgeschrieben werden.“ (2) Derlei Vorgaben boten für die Friedensbewegung durchaus Ansatzpunkte zum Dialog.
Auf Einladung von Rüstungsstaatssekretär Sven Giegold fanden in den vergangenen zweieinhalb Jahren Zoom-Sessions mit einem Bündnis von mehr als zehn Friedens- und Menschenrechtsorganisationen und der Friedensforschung statt, an denen ich für die DFG-VK und Aktion Aufschrei teilnahm. Im gleichen Zeitraum traf sich Giegold mit Lobbyisten und Vertretern der Rüstungsindustrie. Seitens des breiten Bündnisses der NGOs stand vor allem die gemeinsame Forderung nach einem Verbandsklagerecht im Mittelpunkt, wie sie beispielsweise im Umwelt- und Nachhaltigkeitsbereich angewandt wird.
Mit der völkerrechtswidrigen Intervention russischer Truppen in der Ukraine im Februar 2022 und den daraufhin folgenden umfassenden Rüstungsexportlieferungen an die Ukraine seitens der USA, der Bundesrepublik Deutschland und weiterer NATO-Staaten erfolgte eine folgenschwere Zeitenwende bei der Genehmigungspraxis – vor allem bezüglich der sogenannten „Drittländer“ außerhalb der NATO- und NATO-assoziierten sowie der EU-Staaten. Die Ukraine avancierte zum Hauptempfängerland deutscher Kriegswaffen und sonstiger Rüstungsgüter.
Anfang Februar 2025 platzten die letzten Hoffnungen: „Das Rüstungsexportkontrollgesetz wird nicht mehr weiterverfolgt“, so die Meldung aus dem Bundestag. (3)
Negativrekorde und verheerende Exportgenehmigungen
Ende 2024 publizierte die Gemeinsame Konferenz Kirche und Entwicklung (GKKE) ihren Rüstungsexportbericht. Massiv kritisierten die Expert*innen der evangelischen und katholischen Kirche den immens hohen Gesamtwert der Rüstungsexporte von 12,18 Mrd. Euro in 2023. Mehr als die Hälfte der Rüstungsexporte gingen an Drittstaaten außerhalb der EU und NATO, allen voran an die Ukraine mit rund 4,4 Mrd. Euro. Im Fokus der Kirchenkritik standen auch die Waffenlieferungen an Israel (327 Millionen Euro), die Republik Korea (256 Millionen Euro), Indien (213,6 Millionen Euro) und Algerien (121,8 Millionen Euro).
Damit nicht genug. Auch die Rüstungsexporte in die Türkei, die seit Jahren wiederholt unter Bruch des Völkerrechts im Norden Syriens und des Irak interveniert, wurden von 1,2 Mio. Euro (2023) auf 230,8 Mio. Euro (2024) um rund das Zweihundertfache gesteigert. Zu allem Übel soll die türkische Luftwaffe nunmehr Eurofighter-Kampfflugzeuge erhalten.
Unsere Kritik als Aufschrei-Kampagne fiel entsprechend deftig aus. „Statt ein Rüstungsexportkontrollgesetz zu verabschieden, wurde eine Strategie zur Stärkung der Sicherheits- und Verteidigungsindustrie beschlossen, die die Rüstungsexporte fördern will und wird.“ (4)
Kleinwaffen boomen
Auch im Bereich des Transfers von Kleinwaffen – wie Pistolen, Maschinenpistolen, Sturm- und Scharfschützengewehren – muss Erschreckendes bilanziert werden. Die Einzelgenehmigungen für diese, gemessen an den Opferzahlen, tödlichste Waffengattung, nahmen unter der Ägide der Ampelkoalition in erschreckendem Ausmaß zu.
Dazu tragen vor allem auch die Kleinwaffentransfers bei. Mit Übernahme des BMWK durch Robert Habeck verdoppelte sich das vormalige Exportvolumen erst auf 87,1 Mio. Euro, und stieg im Jahr danach auf 93,6 Mio. Euro (2022 und 2023). (5)
2024 wurde diese Negativtendenz fortgeführt. So umfasste der Gesamtwert der Genehmigungen für Kleinwaffen und deren Teile bis Ende 2024 mehr als 160 Mio. Euro. Beim Wert für die Drittländer – rund 76 Mio. Euro – beliefen sich rund 99 Prozent auf das Kriegsland Ukraine. Sehr zum Wohle des führenden Kleinwaffenlieferanten Heckler & Koch AG, die in den vergangenen Jahren neue Rekorde bei Umsatz und Operating Profit verzeichnen konnte. (6)
2025: Quo vadis Große Koalition?
Noch im Wahlkampf zur Bundestagswahl im Februar 2025 hatte Friedrich Merz sein Mantra verkündet: „Ich schließe eine Zustimmung meiner Fraktion zu einer Aufweichung der Schuldenbremse heute von dieser Stelle erneut aus. Damit können Sie nicht rechnen.“ (7) Eine Wahlkampflüge mehr, eine folgenschwere.
Stattdessen wurde Merz’ Zielvorgabe „Whatever it takes“ – das nach oben offene „Sondervermögen“ – weltweit zur vielzitierten Zielvorgabe des Wendehalses. (8)
Groß war und ist der Jubel an den Börsen. Beispielsweise empfahl FOCUS MONEY in seiner Titelgeschichte im März 2025: „So machen Sie Ihr Depot wehrtüchtig“. Beworben wurden „die besten Aktien für Wiederaufbau und Rüstung“. Das Finanzmagazin pries die Profiteure des Ukraine-Krieges in höchsten Tönen an.
Die Große Koalition unter Führung des christdemokratischen Bundeskanzlers Merz und seines sozialdemokratischen Vize Klingbeil verabschiedete für die kommenden vier Jahre (2025 bis 2029) einen Koalitionsvertrag, der Rüstungsexporten in alle Welt Tür und Tor öffnen wird. So beabsichtigt die Regierungskoalition, Verfahren zu Exportgenehmigungen zu koordinieren und zu beschleunigen. In der EU soll eine weitere „Harmonisierung“ der Exportregeln angestrebt werden. Vorgaben wie diese ebnen den Weg zu neuen Rüstungsexport-Rekorden.
Der Kommentar der Menschenrechtsorganisation amnesty international spricht Bände: Der Koalitionsvertrag sei „ein menschenrechtliches Armutszeugnis voller Doppelstandards“. (9)
Als Friedensbewegung müssen wir uns angesichts dieser dramatischen Zeitenwende fragen: Wie kann Sicherheit mit zivilen Mitteln erreicht werden, um den vorherrschenden Aufrüstungswahn zu stoppen? Unsere Antwort liegt in der Friedenslogik, die wir der Unkultur des Krieges entgegensetzen. Wir in der DFG-VK haben hierzu einen „Arbeitskreis Friedenslogik“ gegründet. Das Konzept „Sicherheit neu denken“ weist den Weg in ein Europa mit immer weniger Waffen und Militär.
Anmerkungen
1 „Mehr Fortschritt wagen - Bündnis für Freiheit, Gerechtigkeit und Nachhaltigkeit“, Koalitionsvertrag 2021 – 2025 von SPD, Bündnis 90/Die Grünen und FDP, S. 146
2 „Für eine restriktive und wertegeleitete Rüstungsexportpolitik“ des BMWK; siehe https://www.bmwk.de/Redaktion/DE/Dossier/ruestungsexportkontrolle.html]
3 „Rüstungsexportkontrollgesetz wird nicht mehr weiterverfolgt“, Antwort der Bundesregierung (20/14658) auf eine Kleine Anfrage der FDP-Fraktion (20/14385)]
4 Neue Sicherheits- und Verteidigungsindustriestrategie für die Zeitenwende“ vom 04.12.2024, siehe https://www.bmvg.de/de/aktuelles/sicherheits-und-verteidigungsindustries...
5 Quelle: Bericht der Bundesregierung über ihre Exportpolitik für konventionelle Rüstungsgüter im Jahre 2023 (Rüstungsexportbericht 2023), S. 34 f
6 „Vorläufige Rüstungsexportzahlen für das Jahr 2024 veröffentlicht und Rüstungsexportbericht für das Jahr 2023 verabschiedet“, Pressemitteilung des BMWK vom 18.12.2024
7 „Mit Merz‘ Aufweichung der Schuldenbremse heißt es wieder einmal: ‚Es gibt keine Älternative‘“ in Berliner Zeitung vom 05.03.2025
8 „Call to arms. The remilitarisation of Europe“, The Guardian Weekly, 14 March 2025, Cover und S. 10 ff
9 https://www.amnesty.de/aktuell/deutschland-koalitionsvertrag-cdu-csu-spd...