GÜZ-Prozesse

Offene Rechtsbrüche der Bundeswehr

von Malte FröhlichDagmar Schulte
Initiativen
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Das Verteidigungsministerium befindet sich immer noch in Bonn. Prozesse zum Thema Militär landen dadurch immer wieder im Bonner Gerichtsgebäude: Atomwaffen in Büchel, Tankwagenbombardierung im afghanischen Kunduz, Angriff auf die Varvarin-Brücke im ehemaligen Jugoslawien usw.. Auch die Prozesse um das größte Gefechtsübungszentrum in Europa, GÜZ genannt, mit seiner Kampfstadt Schnöggersburg finden immer wieder hier statt. Friedensaktivist*innen begeben sich bewusst auf das abgesperrte GÜZ-Militärgelände, woraufhin sie dann angezeigt werden und dann vor Gericht zu erscheinen haben. Das Spielchen wiederholt sich ständig: Das Anliegen der Friedensbewegten wird im Gerichtssaal auf das Niveau von „Falsch Parken“ nach unten kleingeredet, damit das eigentliche Anliegen der Friedensbewegten nicht thematisiert wird. Einer dieser Angeklagten, Malte Fröhlich, hat seine sog. Gerichtliche Einlassung zur Verfügung gestellt. Hier einige Auszüge von Malte Fröhlichs Einlassung vor dem Amtsgericht Bonn am 8. September 2020, zusammengetragen von Dagmar Schulte.

Sehr geehrter Herr Richter Fitzke, sehr geehrte Anwesende,
zum wiederholten Mal wird mir von der Bundeswehrverwaltung vorgeworfen, den militärischen Sicherheitsbereich in der Colbitz-Letzlinger Heide ohne Berechtigung betreten zu haben.

Dieser Auffassung widerspreche ich, indem ich die Gründe meiner Haltung und deren Berechtigung wie folgt darlege.

Die Bundesregierung hat die UN-Charta anerkannt und ist somit an die in ihr festgeschriebenen Grundsätze gebunden. Der Artikel 2 formuliert unter Punkt 3 folgendes: „Alle Mitglieder legen ihre Streitigkeiten durch friedliche Mittel so bei, dass der Weltfriede, die internationale Sicherheit und die Gerechtigkeit nicht gefährdet werden.“

Die allgemeine Situation ist hinreichend bekannt. (…)

Wir haben einen geständigen Haupttäter. Altkanzler Schröder hat den Bruch des Völkerrechts mit seiner Zustimmung zum Angriff auf die Republik Jugoslawien bereits am 09.03.2014 öffentlich eingestanden. (…) Herr Schröder hat damit eingeräumt, dass sich über die Hälfte der damaligen Bundestagsabgeordneten und die Regierung eines kapitalen Verbrechens schuldig gemacht haben.

Wie ist es zu erklären, dass die Justiz bis heute in keiner Weise auf dieses öffentlich vorgebrachte Geständnis reagiert und weiterhin einen erheblichen Teil dieser dringend Tatverdächtigen im Bundestag belässt, anstatt ihnen den Prozess zu machen? (…)

Jeder Bruch des Völkerrechts führt automatisch auch zu einem Bruch unseres Grundgesetzes und der nachfolgenden Gesetze. Dies ergibt sich aus Artikel 25 GG, der da lautet: „Die allgemeinen Regeln des Völkerrechts sind Bestandteil des Bundesrechtes. Sie gehen den Gesetzen vor und erzeugen Rechte und Pflichten unmittelbar für die Bewohner des Bundesgebietes.“

Wie kann es dann sein, dass seit über 20 Jahren die UN-Charta Artikel 2 Punkt 3 anhaltend wiederkehrend gebrochen wird, ohne dass die Justiz diese Offizialdelikte und die Täter, die sie begehen und die bekannt sind, verfolgt?

Dies ist nur durch eine umfassende Strafvereitelung möglich. Ein sehr schwerer Fall ist nun belegt.

Der Rechtsanwalt Wolfgang Kaleck hatte vor Beginn des Angriffskrieges/Aggressionskrieges gegen die Volksrepublik Jugoslawien gemeinsam mit zahlreichen anderen AnwältInnen aus diesem Grund Strafanzeige gegen Außenminister Fischer und Bundeskanzler Schröder gestellt. Der damalige Generalbundesanwalt wies diese Anzeige ab. Nun liegt das öffentliche Geständnis von Gerhard Schröder vor, genau mit diesem Krieg das Völkerrecht selbst gebrochen zu haben.

In diesem Zusammenhang möchte ich den ehemaligen Generalstaatsanwalt Fritz Bauer zitieren:

„Wenn ein neues Deutschland leben und geachtet sein will, darf es nie wieder zulassen, dass Juristen zu Helfershelfern von Mordgesellen werden (…)“.
Die Eltern des Grundgesetzes haben aus guten Gründen all jene Kriegsvorbereitungen unter Strafe gestellt, die seit nunmehr über 20 Jahren zu unserem Alltag gehören.

In der Colbitz-Letzlinger Heide wird das Töten von Menschen außerhalb von Verteidigung geübt. In der Folge werden konkrete Menschen verstümmelt, getötet und traumatisiert. Welche Rechtfertigung gibt es für diese Verbrechen? Seit des öffentlichen Geständnisses von Herrn Schröder kann es an der Illegalität dieser Tatsachen keinen Zweifel mehr geben. Und mit diesen offenen Rechtsbrüchen der Bundeswehr, begleitet von einer umfassenden Untätigkeit der Justiz, ist die Liste der Ungeheuerlichkeiten noch nicht zu Ende. (…)

Das Töten, das Verstümmeln und das Traumatisieren von Menschen ist seit 20 Jahren Alltag bundesdeutscher Politik. Für diese Verbrechen gibt es keine moralische oder juristische Rechtfertigung. Gemeinsam mit anderen sehr viel mutigeren Menschen, als ich es bin, versuche ich mit gewaltfreien Mitteln das Begehen von Verbrechen in der Colbitz-Letzlinger Heide zu erschweren und künftig ganz zu verhindern. Ich empfinde es als Ausdruck einer versagenden Rechtsstaatlichkeit, dass ich heute hier für meinen Versuch, das Begehen schwerster Verbrechen, mit den mildesten Mitteln – einer Ordnungswidrigkeit – zu verhindern, vor Gericht stehe. Gleichzeitig gibt Herr Georg Klein seine militärischen und menschlichen Wertvorstellungen als ranghoher Ausbildungsoffizier an junge Rekruten weiter, nachdem er vor den Augen der Weltöffentlichkeit ein Kriegsverbrechen mit mindestens 136 getöteten Menschen begangen hat.

Weiterhin existiert mit den Kommando Spezialkräften, auch KSK genannt, eine Miliz innerhalb der Bundeswehr, die sich jeder Kontrolle durch den Bundestag und die Öffentlichkeit entzieht. (…)

Zur Erinnerung noch einmal der Wortlaut des Art. 25 GG: „Die allgemeinen Regeln des Völkerrechts sind Bestandteil des Bundesrechtes. Sie gehen den Gesetzen vor und erzeugen Rechte und Pflichten unmittelbar für die Bewohner des Bundesgebietes.“

Ich bin Bewohner des Bundesgebietes und folglich nicht nur berechtigt, sondern verpflichtet, mir mögliche Eingriffe vorzunehmen, um wenigstens zu versuchen, dem Artikel 2 Punkt 3 der UN-Charta seine Wirksamkeit zurück zu verleihen. Der Artikel 25 Grundgesetz steht nicht zufällig eigenständig neben dem Widerstandsrecht und neben dem rechtfertigenden Notstand und legalisiert nicht nur erfolgreiche, sogenannte „geeignete“ Eingriffe, sondern fordert von uns den Versuch zu unternehmen, dem Völkerrecht wieder zu seinem Recht zu verhelfen.

Der Artikel 25 GG ist unmittelbar anwendbares Recht! Dies gilt endlich, auch von der Richterschaft wahrgenommen zu werden. (…)

Es kommt für fast jeden Menschen irgendwann einmal, oft auch mehrfach, die Notwendigkeit, sich ganz grundlegend zu entscheiden. (…) Am Ende ist es sicher auch für Sie (gemeint ist der angeredete Richter Fitzke, d. Red.) eine schwere Entscheidung. Aber Sie haben die Unabhängigkeit, bei der Korrektur von schwersten Missständen mitzuwirken – oder das System zu stützen, das dieses Unrecht begeht (…).

Schlusswort
Die Stationierung der Pershing-Raketen, organisiert von der Regierung Schmidt/Genscher entgegen dem deutlich vorgetragenen Willen von über 65% der damaligen bundesdeutschen Bevölkerung, wurde unter anderem von qualifiziertem, Zivilen Ungehorsam in Form von massenhaften, gewaltfreien Sitzblockaden begleitet. Die bundesdeutsche Friedensbewegung behinderte und besiegte gewaltfrei die Atomraketen, die Schmidt und Genscher auch auf uns in der DDR richten ließ.
Unzählige dieser mutigen BlockiererInnen mussten sich immer und immer wieder wegen angeblich verwerflicher, gewaltsamer Nötigung vor Gericht verantworten und ihre Haftstrafen addierten sich bei vielen zu mehreren Monaten, teilweise über ein Jahr.

Die Richter*innen erkannten verwerfliche Gewalt, wenn sich Menschen mit ihren ungeschützten Körpern vor Raketenschlepper setzten und verurteilten immer weiter. Nur ein einziger Richter am Stuttgarter Amtsgericht, der Herr Richter Wolf erklärte in den von ihm geführten Verhandlungen, dass er in den gewaltfreien Blockaden keinen einzigen Hinweis auf Gewalt und Verwerflichkeit erkennen konnte und sprach die Angeklagten reihenweise frei. Die Blockierer*innen, die sich in seinen Prozessen verantworten mussten, erinnern ihn als ruhigen, nachdenklichen und gütigen Menschen.

Jahre später kassierte das Bundesverfassungsgericht die Anwendung des Nötigungsparagraphen auf gewaltfreie Sitzblockaden und übernahm quasi die Rechtsauffassung des einsamen Richters Herrn Wolf und rehabilitierte die bis dahin Bestraften. Nur für Herrn Richter Wolf kam dies leider zu spät.
Herr Richter Wolf wurde in der Zwischenzeit von seinen Kolleginnen und Kollegen derartig unter Druck gesetzt und isoliert, dass er keinen anderen Ausweg sah, als den Freitod zu wählen.

Seitdem ich davon erfahren habe, stellte ich mir die Frage nach den Grenzen gewaltfreien Handeln neu. Wenn gewaltfreie Aktionen zivilen Ungehorsams den Freitod eines Menschen nach sich ziehen können, ist dann nicht diese Grenze unzulässig überschritten?

Lange habe ich mich an dieser Frage abgearbeitet und bin für mich zu einem Ergebnis gekommen. Der vom Grundgesetz geforderte freie und unabhängige Richter beschreibt ein Ideal und bleibt bis auf wenige, sehr mutige Ausnahmen eine Fiktion. (…)

Hannah Arendt ist für mich ebenso Richterin und Orientierung gebende Instanz. Ihre Erkenntnis im Erleben des Eichmann Prozesses in Jerusalem nannte sie zusammenfassend: „Die Banalität des Bösen“. Für mich noch wichtiger ist aber das, was sie daraus resultierend, ebenfalls als Bollwerk gegen die Barbarei an Aufforderung formulierte: „Kein Mensch hat ein Recht auf Gehorsam.“
Danke für Ihre Aufmerksamkeit

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Malte Fröhlich ist Aktivist der Offenen Heide.
Dagmar Schulte ist aktives Mitglied im "Internationalen Versöhnungsbund - Deutscher Zweig".