Ein aktueller Erfahrungsbericht

Palästinensische Flüchtlinge im Libanon

von Clemens Ronnefeldt

Während der „ethnischen Säuberung Palästinas“ (so der Buchtitel des israelischen Historikers Illan Pappe) 1947/48 flohen rund 100.000 palästinensische Flüchtlinge aus dem nördlichen Teil Palästinas in den Libanon, wo die Zahl der offiziell registrierten Flüchtlinge bis heute auf mehr als 400.000 angewachsen ist. Von ihnen, so erzählte uns der bekannte palästinensische Rechtsanwalt  Souheil El-Natour, leben inzwischen etwa 100.000 in den Golfstaaten, weil sie im Libanon offiziell nicht arbeiten dürfen – und versorgen z.B. von Kuwait oder den Vereinigten Arabischen Emiraten aus ihre Familienangehörigen im Libanon.

Palästinenser erhalten in der Regel keine libanesische Staatsangehörigkeit und sind auf dem Arbeitsmarkt im Libanon außerhalb der Flüchtlingslager großen Restriktionen unterworfen. Das generelle Arbeitsverbot im Libanon in mehr als 70 Berufen wurde zwar im Jahre 2005 von dem zuständigen Hisbollah-Arbeitsminister für im Libanon geborene Palästinenser aufgehoben. In akademischen Berufen (Arzt, Apotheker, Rechtsanwalt …) dürfen aber Palästinenser weiterhin nicht arbeiten, weil sie nicht in die Standesverbände aufgenommen werden. Die Lockerung des Arbeitsverbots von 2005 verlangt zudem eine teure Arbeitserlaubnis in Höhe eines Monatsgehalts, die jährlich neu zu verlängern ist. Weil sie in vielen Berufen nicht legal arbeiten dürfen, werden Flüchtlinge als billige Arbeitskraftreserve, z.B. in Krankenhäusern sogar als Ärzte illegal beschäftigt, erhalten allerdings nur einen Bruchteil des Gehaltes, den ein libanesischer Arzt oder eine Ärztin verdient.

Etwa 100.000 Palästinenser – so Schätzungen – versuchen derzeit in Europa, den USA oder anderen Ländern ihr Schicksal zu verbessern und das Leben ihrer Angehörigen durch Überweisungen zu erleichtern.

Seit dem Frühjahr 2001 hat sich die Eigentumsfrage für palästinensische Flüchtlinge noch einmal massiv verschärft. Es wurde ein Gesetz verabschiedet, dass den Immobilienerwerb außerhalb der Lager für Palästinenser verbietet. Bereits vor 2001 erworbene Immobilien dürfen beim Tod des Eigentümers nicht an dessen Kinder weitervererbt werden.

Im konfessionalistischen System des Landes, das von der Staatsspitze bis in die niedrigsten Verwaltungsämter alle Posten nach dem Schema Christ (Staatspräsident), Sunnit (Ministerpräsident) und Schiit (Parlamentspräsident) verteilt, würde eine Einbürgerung der palästinensischen Flüchtlinge die Zahl der sunnitischen Muslime um zehn Prozent erhöhen – was insbesondere von den Christen des Landes nicht gewünscht ist.

Eindrücke einer Reise durch den Libanon
An den mehrgeschossigen Betonbauten des Lagers Shatila hängen unzählige Wäschestücke an vielreihigen Leinen, die darauf schließen lassen, wie überfüllt die einzelnen Räume sein müssen.

Durch die engen Gassen fällt kaum Licht in die Elendsbehausungen, im Ernstfall würde kein einziges Feuerwehrfahrzeug hindurch passen. Über meinem Kopf hängen hunderte von Kabeln. In diesem Gewirr einen Fehler zu finden, stelle ich mir als Albtraum jedes Elektrikers vor. Manche Leitungen hängen mit blanken Enden herum, eine Sozialarbeiterin erklärt, dass Kinder immer wieder schlimme Verletzungen durch Stromschläge bekommen.

Der Blick in einzelne Zimmer zeigt das blanke Grauen: Kinder sitzen apathisch in dunklen Räumen, in denen sich nichts weiter befindet als verschmierte Wände.

Jugendliche hämmern wie sinnlos auf kaputten Tiefkühlschränken herum, Plastikteile fliegen dabei durch die Gegend. Ich denke mir: Auch dies ist offensichtlich eine Art, mit Wut und Frustration umzugehen – und dabei Energie rauszulassen.

Hoffnungsträger
Oasen der Hoffnung bilden in den Lagern die Einrichtungen der Organisation „Beit Atfal Assumoud“ (arab.: Haus der standhaften Kinder), wo uns in Shatila der langjährige Leiter Kassem Aina von der Arbeit erzählt. Mit zwei Jahren wurde er selbst aus seiner Heimat Palästina vertrieben, seit 61 Jahren lebt er nun im Flüchtlingslager, organisiert mit seinem Team Sozialzentren in den verschiedenen Lagern, sorgt für Nachhilfe-, Förder- und Berufsbildungskurse und hilft vor allem Frauen, durch den Verkauf von Stickereien etwas Geld zu verdienen. In den Sozialzentren stehen den Flüchtlingen kostenlos Zahnarztpraxen zur Verfügung, ein Fonds hilft bei medizinischen Notfällen.

Unterstützt wird diese Arbeit aus Deutschland vom Verein „Flüchtlingskinder im Libanon e.V.“ (www.lib-hilfe.de), der mit einer hervorragend gestalteten Nakba (arab.: Katastrophe)-Ausstellung auch auf die Wurzeln der palästinensischen Flüchtlingskatastrophe hinweist.

Zu den Hoffnungsträgern des Landes zählt auch das „Haus des Friedens“ (Dar Assalam, www.libanon-reise.com), dessen Mitarbeiter Said Arnaout seit vielen Jahren in Kooperation mit deutschen Organisationen Begegnungsreisen in den Libanon organisiert.

Ausgabe

Rubrik

Hintergrund
Clemens Ronnefeldt ist seit 1992 Referent für Friedensfragen beim deutschen Zweig des Internationalen Versöhnungsbundes.