Gender

Patriarchat – Militarismus – Sexismus – Atomwaffen – Gender – Suchtgesellschaft

von Marion Küpker
Hintergrund
Hintergrund

Durch die Gender-Debatte hat sich nichts Grundsätzliches geändert, weder gesamtgesellschaftlich noch in der Friedensbewegung. Der Grund: Bis heute wurde nicht aufgearbeitet, dass wir in einer schwerst traumatisierten und sexualisierten Suchtgesellschaft leben. Es besteht ein Zusammenhang zwischen der heutigen Situation und der Nachkriegs-Frauen-Widerstandsgeschichte. Außerdem besteht ein Zusammenhang mit dem patriarchalen Rückschlag (back lash), den wir in den letzten 20 Jahre erfahren haben. Es gibt jedoch Alternativen: zum Beispiel das Schwedische Modell. Außerdem gibt es die Lösungsmöglichkeiten aus dem Bereich der Trauma-Therapie. Der Kampf gegen Militarismus und Patriarchat gehören dabei für mich immer zusammen.

Frauen/Lesben gegen Militarismus und Patriarchat

Die Bewegung gegen die Mittelstreckenraketen der 80er Jahre des letzten Jahrhunderts richtete sich vor allem gegen die 7.000 Atomwaffen, die damals – verteilt auf etwa 100 Militärbasen – in Deutschland stationiert waren. Davon sind heute noch jene 20 Atombomben übrig, die in Büchel stationiert sind. Uns wurde in den 1980er Jahren klar, dass die nukleare Abschreckung zwischen den USA und der UdSSR wie ein Damokles-Schwert über der Welt und allem Leben hängt. Wir erkannten die Gefahr der sofortigen Vernichtung, die Gefahr eines nuklearen Armageddons. Gegen diesen Wahnsinn gingen damals Hunderttausende auf die Straße, blockierten Atomwaffen-Stützpunkte und verhinderten Militär-Manöver. Das Ziel war, den NATO-Doppelbeschluss von 1979 zu stoppen und die nukleare Abrüstung durchzusetzen.

Neu an dieser Bewegung war die getrenntgeschlechtliche Organisierung von Frauen: Im Jahr 1979 fand der erste Frauenkongress gegen Atom und Militär statt. Etwa 800 Feministinnen waren in Köln zusammengekommen. Kollektiv eigneten wir uns Wissen über die Nukleartechnologie an. In England umzingelten im Jahr 1982 etwa 35.000 Frauen die Militärbasis Greenham Common. Dort waren 96 Cruise Missiles (nukleare Marschflugkörper) stationiert. Erstmalig kämpften in den Jahren 1983 bis 1985 tausende von Frauen in Deutschland gegen Krieg und Männergewalt. Im Hunsrück gab es Frauen-Widerstandscamps gegen die dort stationierten 96 Cruise Missiles. Es wurde erkannt, dass der Kampf gegen Militarismus untrennbar mit dem Kampf gegen Patriarchat und Sexismus verbunden ist. Wir wehrten uns gegen den Herrschaftsapparat, der unsere Versklavung zementierte: Frauen wurden zum Kinderkriegen gezwungen (§ 218), Beischlaf war in der Ehe - für die Frau - verpflichtend, sexuelle Belästigungen am Arbeitsplatz waren normal, Pornografie war normal, Hotelzimmer gab es nur mit Heiratsnachweis und vieles andere. Dies sind nur einige Beispiele, die zeigen sollen, wie unvorstellbar die Verhältnisse vor gerade mal 40 Jahren waren. Für uns Frauen galt – und gilt noch heute – der Slogan: Das Private ist politisch!

Viele Frauen/Lesben zählten sich in den 1980er Jahren zur Frauenbewegung, aber auch zur Autonomen-Bewegung und/oder zu den „Anti-Imps“. Oft distanzierten sie sich von den hierarchisch organisierten kommunistischen Bewegungen oder Parteien. Sie initiierten Frauen-/Lesbenselbsthilfegruppen, Selbstverteidigungs- und Kampfsportgruppen, Frauen-/Lesbenwohnraum in besetzten Häusern, eigene Frei-und Schutzräume, zum Beispiel Frauenhäuser, Beratungsstellen bei sexuellem (Kinder-) Missbrauch und Vergewaltigungen, Heilpraktikerinnen-Berufe, Notruftelefone und vieles mehr.

Frauen/Lesben solidarisierten sich auch international. Gemeinsam kämpfte man mit Frauen/Lesben aus anti-kolonialen Befreiungsbewegungen für bessere Arbeitsbedingungen. Die traditionellen anti-kolonialen Befreiungsbewegungen wurden dafür kritisiert, dass sie die Frauen – nachdem das jeweilige Land die „Unabhängigkeit“ von der Kolonialmacht erreicht hatte – wieder zurück ins Haus schickten. International kämpften Frauen/Lesben gegen die Diskriminierung gleichgeschlechtlicher Liebe. Und sie solidarisierten sich mit Frauen innerhalb der linken Bewegungen, wenn es zu sexistischen Übergriffen und Anmachen kam.

Innerhalb der gemischtgeschlechtlichen Bewegung wurde verstärkt über Positionen der Frauenbewegung diskutiert. Der sexistische Umgang bei der Arbeitsverteilung und der eigenen Gesprächskultur wurde sehr langsam, mit kleinen Schritten verändert (siehe die Artikel im FriedensForum 2/2018). Durch die neue Methode der „gewaltfreien Kommunikation“ wurde das männliche Monologisieren eingeschränkt und Frauen mehr Redezeit zugestanden. Aber diese Veränderungen geschahen nur sehr langsam und oft nur an der Oberfläche.

Missbrauchszahlen

Ein wichtiger, bisher vergessener Punkt ist die Auseinandersetzung Anfang der 1990er Jahre, bei der es zur Offenlegung von sexuellem Missbrauch an Kindern innerhalb der linken Bewegung kam. Kinder wurden zum Beispiel in teilweise selbstorganisierten Kinderläden missbraucht. Feministische Beratungsstellen klärten außerdem auf, dass sexueller Missbrauch und Vergewaltigungen zu über 96 % durch Verwandte oder Bekannte stattfinden, nicht durch „böse Unbekannte“. (Im Internet veröffentlichte Statistiken sprechen heute von circa 75-85 %.). Aufgrund von Erhebungen schätzte die damalige CDU Bundesfamilienministerin Rita Süssmuth (1985-1988) bis zu 300.000 sexuell missbrauchte Kinder jährlich in Westdeutschland, wobei die durchschnittliche Missbrauchserfahrung der Kinder bei sieben Jahre lag. Weiter gab es eine Erhebung, dass durchschnittlich alle sieben Minuten in Westdeutschland eine Frau vergewaltigt wurde.

Die Auseinandersetzung um sexuellen Missbrauch an Kindern brachte zutage, dass auch homosexuelle, linke Buchläden pädophile Bücher und Pornobände von Jugendlichen verbreiteten. Es wurde die Auseinandersetzung über die „Freiwilligkeit“ von Prostitution geführt. Befragungen unter Prostituierten ergaben, dass über 60 % (bzw. mehr als 80 %) von ihnen sexuellen Missbrauch in der Kindheit erfahren hatten, sodass wir hier von vielen traumatisierten Menschen ausgehen müssen. Das so genannte Stockholm-Syndrom könnte erklären, warum einige Frauen ihre Prostitutionsarbeit als „freiwillig“ verteidigen.

Sexismus

Die linke Bewegung diskutierte endlich das Private politisch. Diskutiert wurde über Akzeptanz von Sado-Masochismus, Swinger Clubs, Sexorgien in linken Räumen/Projekten, Dark Rooms und vieles andere. Man wollte aber andererseits auch wissen, wie eine gesunde, lustvolle Sexualität aussieht und aussehen könnte. Wo fängt es an, dass Menschen sich und andere zu Sexobjekten machen?! Wann und wie müssen oder sollten wir uns davon distanzieren?! Dies sind sensible Fragen, bei denen es um uns ging, und nicht um den unbekannten, fremden, auszugrenzenden Sexisten.

Leider eskalierte diese Auseinandersetzung. Einige Frauen-/Lesben-Gruppen forderten den Ausschluss aller vom Sexismus überführten Personen und Gruppen. Sie beriefen sich auf ihr erkämpftes Definitionsrecht und darauf, dass sie über den weiteren Umgang, d.h. den Verbleib oder Ausschluss der TäterInnen (einschließlich des sie schützenden Umfeldes) entscheiden können.

Dieser Konflikt war groß. Die Spaltung zog sich durch die gesamte linke Bewegung, durch alle Gruppen und viele Freundschaften, und war ein entscheidender Grund für den Auflösungsprozess vieler Frauengruppen.

Einige Frauen/Lesben konnten nicht auf ihr individuelles Definitions-Vorrecht zu Sexismus verzichten, obwohl wir uns darin selbst als Frauen widersprachen. Diese Zersetzung führte dazu, dass Sexismus wieder zum Tabuthema wurde. Das alleinige individuelle Definitionsrecht der Frau gab es damit in der linken Bewegung nicht mehr.

Traumatherapien

Andere hingegen erkannten, dass die eigenen Kindheits-Traumata auch mit den Kriegstraumata der eigenen Eltern und Großeltern zu tun haben. In den 1980er-Jahren revolutionierte Alice Miller die Psychotherapie-Lehrmeinung mit ihren Büchern Am Anfang war Erziehung und Du sollst nicht merken. In diesem letztgenannten Buch geht es um den sexuellen Missbrauch von Kindern. Die vorhandenen Therapieformen erwiesen sich für die Auflösung von Traumata als ungeeignet. Dabei ist es bei psychischen Behandlungen unbedingt nötig, zuerst an der Auflösung der Traumata zu arbeiten.

Energetische Traumatherapien, wie EMDR (Eye Movement Desensitization and Reprocessing), die eigentlich zur Behandlung von Vergewaltigungs-Traumata angewandt wurden, wurden in den USA später auch zur Behandlung der Golfkriegs-Veteranen, die unter posttraumatischen Belastungsstörungen litten, eingesetzt.

Auch die Weiterentwicklung der Traditionellen Chinesischen Medizin (TMC) führte zu guten Ergebnissen. Trauma-Blockaden im energetischen Meridiansystem konnten mithilfe der Akupunkturpunkte aufgelöst werden. Diese Methoden kamen aber erst ab den 2000er-Jahren zu uns nach Deutschland: EFT (Energy Field Therapy), EDxTM (Energy Diagnosis x Therapy Method) und andere. Weitere gute Techniken, die uns helfen können, uns mit unseren Emotionen wieder zu spüren, sind beispielsweise Yoga, Meditation, Atem-und Achtsamkeitsübungen. Sie helfen uns unter anderem auch, wieder neu Grenzen zu setzen. Heute werden solche Techniken gerne an traumatisierte Geflüchtete vermittelt. Aber selten wird erkannt, dass wir auch selbst betroffen sind und in einer schwersttraumatisierten Suchtgesellschaft leben! Es ist unsere Aufgabe, die hinter den Süchten liegenden Traumatisierungen aufzulösen. Es ist unsere Aufgabe, uns selbst und anderen Vergeben zu lernen und auf diese Weise aus dem Kreislauf der Autoagression und Rache auszusteigen!

Dies ist der erste Teil des Beitrags. Teil II wird im folgenden Friedensforum erscheinen.

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Marion Küpker ist internationale Koordinatorin der DFG-VK gegen Atomwaffen.