Zusammenhänge – Teil 2

Patriarchat – Militarismus – Sexismus – Atomwaffen – Gender – Suchtgesellschaft

von Marion Küpker
Hintergrund
Hintergrund

Der erste Teil dieses Artikels (in Friedensforum 3/2018) endete mit der Folgerung, dass wir in einer schwersttraumatisierten Suchtgesellschaft leben. Zu den heute verbreiteten Süchten gehört auch die Sexsucht, die im ICD10, dem Diagnosebuch für psychische Erkrankungen, fehlt beziehungsweise hinter dem Begriff nichtstoffgebundene Süchte versteckt wird. Laut Online-Analyse von Similarweb aus dem Jahr 2013 sind 12,5 % aller Webseitenaufrufe in Deutschland Zugriffe auf pornografische Seiten. Nach dieser Online-Analyse steht Deutschland hierbei weltweit an erster Stelle.

Einzelheiten, wie tief Menschen im Ersten und Zweiten Weltkrieg patriarchal traumatisiert wurden, kommen noch heute ans Tageslicht. Männer, die zur Unterdrückung ihrer Emotionen erzogen wurden – boys don't cry – brauchen ein Ventil, wenn sie unter enormen Stress stehen, zum Beispiel in Kriegseinsätzen. Die traumatisierende Angst um ihr Leben und die frühere Erziehung, über Frauen bestimmen zu dürfen, hat unsere Väter und Großväter in der Regel ihre Kriegs-Vergewaltigungen als „normal“ empfinden lassen. Auch die Wehrmachtsausstellung hat dies verdeutlicht. Die heimlich gehaltenen Vergewaltigungen gehört(t)en zum Kriegsalltag. Im Zweiten Weltkrieg standen Soldaten meist unter Drogen (Amphetamine), um rücksichtsloser kämpfen zu können; durch diese Drogen wurden sie aber auch sexuell rücksichtsloser. Viele Frauen mit vaterlosen Kindern mussten sich in der Nachkriegszeit bestmöglich verkaufen, entweder in der „bestmöglichen Ehe“ oder in Arbeiten mit sexistischer Ausbeutung. Oft ließen sie ihre Kinder von den verbliebenen traumatisierten Männern schlagen - wenn sie es nicht selbst taten.
Mit dieser sozial anerkannten patriarchalen Gewalt der Nachkriegszeit ist es leicht nachvollziehbar, warum so viele junge Frauen dann in den 1980er Jahren - im Widerstand gegen Atomwaffen  - auch gleichzeitig aus dem Patriarchat ausbrechen wollten!

Der Staat als Zuhälter
Geschätzte 400.000 Prostituierte gibt es in Deutschland, wovon etwa die Hälfte Zwangsprostituierte sind, darunter sehr viele aus Osteuropa. Zirka 1,2 Millionen Freier nehmen ihre Dienste täglich in Anspruch. Seit 2001/2002 gibt es in Deutschland das sogenannte liberalisierte Prostitutionsgesetz, mit dem sogenannten Entkriminalisierungsprinzip. Ich vergleiche es ein wenig mit der Geschlechter-Gleichstellung „dem Einzug von Frauen in die Bundeswehr“, die mit unserer friedenspolitischen Forderung nach Abschaffung von Krieg und Militär gar nichts gemein hat. Zumal sind Frauen gerade beim Militär verstärkt sexuellen Übergriffen durch ihre männlichen Kampf“genossen“ ausgesetzt!
Über die Gewinne der Sexindustrie existieren keine offiziellen Zahlen. Der Bundesrechnungshof beziffert den Jahresumsatz im Prostitutionsgewerbe auf 15 Milliarden Euro, das heißt, der Staat könnte allein aus den Steuer-Vorauszahlungen der Prostituierten eine Milliarde Euro pro Jahr einnehmen. Während den Prostituierten hohe „Schwarz“geld-Einnahmen unterstellt werden, zeigen aktuelle Recherchen (zum Beispiel „Bordell Deutschland“) eine ganz andere Realität. Immer mehr Bordelle entstehen, weil die kapitalistische Leistungsgesellschaft die Menschen immer mehr in die Isolation treibt. Das Einkommen der Männer reicht nicht aus, um eine Familie zu ernähren, und Frauen können in der Regel kein ausreichend hohes Gehalt erzielen, um unabhängig zu leben. Die ökonomische Ausbeutung nimmt groteske Formen an, und trotzdem glauben viele Menschen, die noch finanziell gut dastehen, dass es fast allen anderen auch so geht bzw. gehen könnte.

Schwedisches Modell
Anders ist es in Schweden. Dort ist die Prostitution seit 1998 nicht mehr legal, und sie wird als „Gewalt gegen Frauen“ definiert. Hier wird nicht der Verkauf von Sex bestraft, sondern die Freier, Zuhälter und andere ProstitutionshelferInnen werden kriminalisiert. Ziel ist die Abschaffung der Prostitution. Es wird geschätzt, dass die Prostitution seitdem auf ein Drittel (jetzt 1000 Menschen) gesunken ist. Frankreich (20.000 Prostituierte) hat sich dem „Schwedischen Modell“ 2016 angeschlossen. Ebenso Norwegen und Island. Auch das Europaparlament stimmte 2014 für ein Komplett-Verbot der Prostitution. Die Schweiz und Holland folgten hingegen eher „unserem“ Entkriminalisierungsprinzip. KritikerInnen dieses Prostitutionsverbotes benennen die negativen Auswirkungen. Die Prostitution ist nicht zurückgegangen, sie hat sich nur verlagert, unter anderem nach Deutschland. Der deutsche liberalisierte Sexkauf führt/e zu den vielen Flatrate-Bordellen „all you can fuck“ an unseren Landesgrenzen, da viele Freier ihre Sexsucht jetzt in Deutschland ausleben – und dies zu Dumpingpreisen!
Aber auch das Schwedische Modell müsste ausgebaut werden: Zum Prostitutionsverbot gehört eigentlich unabdingbar eine Regelung, Frauen (sowie alle anderen Menschen) die finanzielle Unabhängigkeit zu ermöglichen. Freier und Zuhälter könnten die Wahl kriegen, zwischen Strafe und Therapie zu wählen. Die Geldeinnahmen könnten direkt hierfür und für Ausbildungen in therapeutischen Berufszweigen genutzt werden. Hier bei uns sollten als Erstes die Zwangsprostituierten befreit werden. Es dürfte keine Abschiebungen in ihr Herkunftsland geben, sondern sie bräuchten  geschützte Räume und Traumatherapien. Statt das unsere Regierung hierfür Verantwortung übernimmt, wird öffentlichkeitswirksam das Bild hoher westlicher Frauenwerte lanciert. Ein Bild, welches immer wieder als Rechtfertigung für völkerrechtswidriges Herbeibomben von Frauenrechten, gerade gegen islamische Länder, herhalten muss!

„Me Too“ & Gender-Debatte heute
Das Private ist nach wie vor politisch und umgekehrt. Deshalb berichte ich hier von meinen persönlichen Erfahrungen in der Friedensbewegung. Ich nenne dabei aber – im Gegensatz zur „Me Too“ Bewegung - keine Namen. Und ich möchte meine Wahrnehmung auch nicht als Beschreibung der „Kaputtheit der Friedensbewegung“ verstanden wissen, sondern zum Nachdenken anregen. Ich bin der Meinung: Nach wie vor bestimmen Männer den politischen (End-) Diskurs von Konferenzen. Zum Beispiel kamen beim World Social Forum on Nuclear Issues Anfang November 2017 in Paris viele Frauen zu dem Ergebnis, dass viele Gebiete dieser Welt so stark radioaktiv verseucht sind, dass wir über alternative Entgiftungsmethoden informieren und diese Care-Arbeit mit organisieren müssen. Dieser ganzheitliche, frauenspezifische Widerstandsbereich wurde im Abschlussbericht mit keinem Wort erwähnt, weil der Abschlussbericht von älteren Herren verfasst wurde. Obwohl eine Gruppe Frauen sich aus Protest gegen das reine Männerpodium neben das Podium stellte, gab es die Aussage, sie hätten keine kompetente Frau für das Abschluss-Podium gefunden. Wichtige Gesundheitsthemen (Care-Arbeit) werden nach wie vor nicht als Widerstand betrachtet und Männer urteilen, welche Frauen kompetent seien.

Frauenquote
Es gab von mir in meiner Organisationen (DFG-VK) im November 2016 einen Antrag zur Einführung der Frauenquote. Es waren die bekannten Männer, die, (zum Teil mit Beamtengehalt), zwar eine größere friedenspolitische Frauenarbeit wünschten, aber diese doch bitte nur im Ehrenamt! Ein Jüngerer argumentierte in Konkurrenz dazu, es sollte doch eher berücksichtigt werden, das jüngere Menschen eingestellt werden. Ich denke aber, ältere Frauen mit ihren Erfahrungen haben genauso ihren Wert und Platz! Einige Frauen, besonders wenn sie im Leben gut in Brot standen – egal ob durch ihren Ehemann oder durch ihre Selbstständigkeit oder spätere Rente – haben eine verinnerlichte Solidarität zu männlichen Kollegen, denen sie  bereitwillig zuarbeiten. Einige Männer fürchten in dieser existentiell schwierigen Zeit genauso um ihre Arbeit und fühlen sich in diesem Bereich durch Frauen bedroht. Der patriarchale Status Quo soll möglichst erhalten bleiben. Die Mehrheit der DFG-VK Delegierten stimmte auf dem Bundesausschuss im März 2017 für eine Arbeitsgruppe, die die Rahmenbedingungen zusätzlicher (Frauen-) Stellen für den kommenden Bundeskongress erarbeiten sollte. Dieses Vorhaben scheiterte bisher, weil keine/r sich wirklich in dieser Arbeitsgruppe engagiert.  So wurden tatsächlich vom Verband Spenden für neue Stellen eingeworben und besetzt, aber ohne die beschlossene Arbeitsgruppe und damit ohne konkrete Rahmenbedingungen. Es ist aktuell nicht geklärt, wie mit der Frauenquoten-Frage grundsätzlich weiter umgegangen werden soll.
Mein Resümee zur Frauenquote: Unsere Strafverfolgungsbehörden könnten bessere Frauenquoten und gleiche Gehälter auf dem Arbeitsmarkt erzwingen, da diese ungleiche Behandlung unseren Gesetzen widerspricht, wollen es aber nicht. Die Frauenquote muss in Friedensorganisationen eine Selbstverständlichkeit werden, d.h. die zu erarbeitenden Rahmenbedingungen dürfen nicht „ausgesessen“ werden!

Sexismus gegenüber Frauen
Schweigen tut weh! Deshalb möchte ich mich zu diesem Thema äußern. Als Frau in Heterobeziehungen habe ich immer mal wieder die Erfahrung gemacht, dass Männer ihren Porno-Konsum verheimlichen und verharmlosen. Immer offener und öfter bin ich damit konfrontiert, dass bei privaten Übernachtungen bei Männern in der Friedensbewegung Frauen-Nacktbilder – von „harmlos“ bis eher furchtbar – an der Wand hängen. Auch wird inhaltlich gern verteidigt, dass es Prostitution seit Gedenken gäbe. Selbst einige Friedensfrauen benennen unsolidarisch ihren Weltschwestern gegenüber, dass mehr Frauen vergewaltigt werden würden, wenn es keine Prostituierten gäbe. Krieg gibt es auch seit Gedenken und trotzdem fordern wir: Nie wieder Krieg! Heute stehen viele Männer und zum Teil auch Frauen wieder sehr offen zum Sexismus - wir sind so frei!

Dieser Teil wurde von der Redaktion gekürzt. Webseite mit vollem Text: http://bit.ly/2pckyrD

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Marion Küpker ist internationale Koordinatorin der DFG-VK gegen Atomwaffen.