Pazifisten haben keine Wundermittel, aber...

von Komitee für Grundrechte und Demokratie
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Das Komitee für Grundrechte und Demokratie hat eine neue Bürger- und Bürgerinnen- Information mit dem Titel: "Krieg auf dem Balkan - Deutschland ist wieder dabei" herausgegeben. Wir veröffentlichen einige Auszüge daraus.

Pazifisten haben keine Wundermittel, aber ...
Die deutsche Friedensbewegung und -forschung und viele andere haben seit Beginn der 90er Jahre gemahnt, den Kosovo nicht zu vergessen. Vorschläge mit weiter Perspektive zur Stabilisierung des Balkans, der insgesamt von der Kosovo-Frage berührt wird, wurden jedoch ignoriert. Balkan Peace Teams bemühten sich vor Ort um Versöhnung, ohne dass ihre zivile Konfliktbearbeitung die Unterstützung der westlichen Regierungen fand. Erst seit die militärgestützte Außenpolitik, wie jetzt im Kosovo, so festgefahren ist, fragt man, was die Friedensbewegung vorschlage. Selbstverständlich haben wir keine Wundermittel, um von heute auf morgen die grauenhafte Konfrontation zu beenden. Doch Pazifisten fordern eine andere Politik, zu der die Weichen schon jetzt gestellt werden können.

... fundierte Vorschläge für eine friedenstiftende Politik
Angesichts der Verbissenheit der Gegner ist eine neue Vermittlung durch bisher unbeteiligte glaubhafte Persönlichkeiten dringend. Die Vereinten Nationen sollten wieder in ihr Recht eingesetzt werden. Kofi Annan, ihr Generalsekretär, - er hat sich gerade dazu bereit erklärt - und von ihm ausgewählte Vermittler, die für alle Seiten annehmbar sind, könnten diese Aufgabe übernehmen - vielleicht auch andere Persönlichkeiten wie Nelson Mandela. Sie sollten nicht nur Moratorien und Waffenstillstände aushandeln und für deren Einhaltung neutrale Kräfte vorsehen, sondern auch eine weitreichende Perspektive der Entwicklung der Kooperation im Balkan in die Vermittlungsarbeit einbeziehen. Dazu bedürfen die Vermittler selbstverständlich der Unterstützung gerade auch der wohlhabenden Staaten.
 

Das Geld, das gegenwärtig zerstörerisch von allen Seiten für den militärischen Kampf bereitgestellt wird, ist für die Unterstützung des Aufbaues der Region einzusetzen. Die dabei erforderliche zwischenstaatliche Koordinierung kann die Grundlage für die Entfaltung der Kooperation auf dem Balkan legen.

Die Völker des Balkans brauchen eine Perspektive, um die Zukunft gemeinsam zu gestalten
Dem ganzen Balkan, der äußerst labil ist und der durch den jetzigen Krieg und die Flüchtlingsströme zusätzlich destabilisiert wird, muss eine gemeinsame Perspektive der Entwicklung und Kooperation angeboten werden. Oft wird von einem Marshall-Plan gesprochen. Aus dem Ausland, aus den vielen Staaten Europas muss die Botschaft von oben und unten kommen: Wir sind an Eurer Seite und für Euch, wenn ihr Euren Geschwisterkampf beendet und Euch zur Kooperation zusammenfindet. Eine solche Politik wäre weit billiger als Krieg und militärische Besatzung. Sie ist für alle, einschließlich der EU-Staaten, viel zukunftsträchtiger. Das politische Instrument, um eine solche Kooperation in Gang zu setzen, könnte eine Dauerkonferenz sein, wie sie im Ost-West-Konflikt in der Form der "Konferenz für Sicherheit und Zusammenarbeit" (KSZE, heute OSZE) recht erfolgreich praktiziert wurde. An ihr können sich alle europäischen Staaten beteiligen, selbstverständlich auch Serbien, wenn sie bereit sind, in ihren Konflikten auf Gewalt und Unterdrückung zu verzichten. Auf der Konferenz ginge es nicht mehr um den scheinbar ethnischen Konflikt zwischen Kosova-Albanern und Serben, sondern um den Dialog zwischen kooperationsbereiten Kräften auf dem Balkan.

Von der EU sollten Konsultationsgespräche über eine solche Balkanzusammenarbeit, erforderliche Vorbereitungsschritte und Verfahren eingeleitet werden.
Um eine solche Entwicklung zu ermöglichen, muss der aktuelle Konflikt um den Status des Kosovo entschärft werden, ehe er später unter der neuen Perspektive überprüft und geregelt werden kann. Es erscheint daher sinnvoll, zunächst eine vorläufige, möglichst großzügige Autonomie-Regelung zu vereinbaren, die in bestimmten Intervallen entsprechend den dann gemachten Erfahrungen und neuen Entwicklungen zu überprüfen ist. In diesem Zusammenhang sollte der jugoslawischen Seite die Aufhebung der verhängten Sanktionen zum frühestmöglichen Zeitpunkt in Aussicht gestellt werden.

Den Dialog zwischen den Gesellschaften ermöglichen, Feindbilder abbauen
Parallel dazu muss ein übergreifender Dialog der Menschen und Gesellschaften organisiert werden, der es allen ermöglicht, einen Prozess der Versöhnung und gegenseitigen Akzeptanz als zukünftigen Kooperationspartner einzuleiten und nationalistische Schranken zu durchbrechen. Unter sozialer und wirtschaftlicher Not leidende Menschen, Eltern, die um ihre Söhne bangen, BürgerInnen, die die verheerenden Wirkungen des nationalistischen Kriegskurses durchschaut haben - und das sind zusammen nicht wenige -, sie alle und die noch Zögernden können dabei begreifen, dass sie gegeneinander nur verlieren werden, aber im Miteinander über ethnische Grenzen hinweg alle gewinnen können. Oft sprechen wir in diesem Sinne von einer notwendigen Öffentlichkeitsintervention.

Der Krieg wird, wie überall, auf dem Rücken der zivilen Bevölkerung ausgetragen, die man dann ihrem Schicksal überlässt und als Flüchtlinge durch die Schengener Mauern von der Festung Europa fernhält. Humanitäre Hilfe ist deshalb großzügig und nach allen Konfliktseiten anzubieten. Den Flüchtlingen aus dem Kosovo ist ebenso zu helfen, wie denen, die von der Bombardierung in Mitleidenschaft gezogen wurden. Die humanitäre Hilfe, die die kosova-albanische und serbische Bevölkerung gegenwärtig benötigt, ist nicht nur unter dem Aspekt der Linderung von Not zu begreifen, sondern auch als ein Signal an die Menschen dort, dass die europäische Politik nun ein neues Verhältnis zu den Balkanstaaten sucht, das nicht mehr auf Militäraktionen und geopolitischen Interessenskalkülen wie in der langen Vergangenheit beruht, sondern auf der Einsicht, dass die europäische Zusammenarbeit allen Menschen und Völkern in diesem Kontinent zu dienen hat. Das ist freilich eine große Herausforderung an alle Europäer.

Statt Bomben großzügige humanitäre Hilfe für alle, Vertrauensbildung und vielfache Friedensarbeit vor Ort
Die Entfaltung einer Perspektive für zukünftige Entwicklung und Vertrauensbildung gehören zusammen. Darum ist es wichtig, dass auf vielen Ebenen (Kirchen, Gewerkschaften, Berufsverbänden, Wissenschaft, Medizin, Wirtschaft usw.) Serien von Zusammenkünften organisiert werden, in welchen Erwartungen und Möglichkeiten der Entfaltung von Zusammenarbeit erörtert werden. Ganz in diesem Sinne sind alle Kräfte und Gruppierungen, die sich für eine friedliche, zivile Lösung einsetzen, zu unterstützen. Dies kann durch die Bereitstellung finanzieller Mittel erfolgen, durch Einladungen ins Ausland, um den Gruppen ein internationales Forum zu geben, durch Bereitschaft der Medien, die gewaltfreie Arbeit bekannt zu machen, durch die Ausrichtung von Regionalkonferenzen, auf denen sich Friedens- und Anti-Kriegsgruppen, Gruppen aus verschiedenen Staaten der Region besprechen und Zusammenarbeit vereinbaren können usw. Solche Friedensarbeit vor Ort, wie sie von vielen internationalen Friedensgruppen schon im Bosnienkrieg in mannigfacher Form geleistet wurde, spielt auch nach einer Beendigung der Kampfhandlungen eine große Rolle, um die schwer getroffenen Menschen zu ermutigen, ihre demokratischen Rechte wahrzunehmen, sich selbst zu organisieren, Feindbilder zu überwinden.
 

Den von Kriegserlebnissen und der elenden Situation in Flüchtlingslagern oft schwer beeinträchtigten, ja traumatisierten Kindern ist zu helfen, neuen Lebensmut zu fassen. Das Komitee für Grundrechte und Demokratie, dies nur ein Beispiel, hat in den letzten Jahren und auch heute noch Ferienfreizeiten genau in diesem Sinne und zur Förderung von Versöhnung zwischen den ethnischen Gruppen betrieben. Vieles mehr ließe sich an notwendiger Arbeit nennen, um zur Rekonstruktion einer Zivilgesellschaft in den Kriegsgesellschaften beizutragen. Dabei muss die eigenständige Arbeit der Gruppen vor Ort respektiert und Hilfe zur Selbsthilfe geleistet werden.

Arroganz der Macht auch hier und jetzt oder ...
Sicher sind weitere Gesichtspunkte zu berücksichtigen. Es ist jedoch von zentraler Bedeutung, ohne Krieg und Bombendrohung zum Bemühen um eine nicht-militärische, zivile und politische Lösung zurückzukehren. Und da liegt eine wichtige weitere Aufgabe: Die Zivilgesellschaften und Friedensbewegungen dürfen es nicht zulassen, dass die mächtigen und reichen Industriegesellschaften Strategien der Konfliktbewältigung vorsehen, welche das "Zurückbomben in die Steinzeit" - so der US-General Le May im Vietnam-Krieg - zu einer gängigen Methode werden lassen.

Während des Vietnam-Krieges der USA spielte auch das Wort von der "Arroganz der Macht" - bezogen auf die USA - eine große Rolle. Die NATO-Staaten lassen sich gegenwärtig anscheinend von der Waffenüberlegenheit der militärisch starken und reichen Industrieländer blenden. Lasst Euch nicht durch die Sprache der Militärpolitiker verwirren, welche den Angriffskrieg zu einer humanitären Intervention umdeuten. Bomben sind niemals humanitär. Sie sind mörderisch und ein Eingeständnis politischen Versagens.

Die Bürger- und Bürgerinnen- Information ist gegen Vorkasse zu beziehen bei: Komitee für Grundrechte und Demokratie, Aquinostr. 7-11, 50670 Köln

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