Perspektiven der Friedensbewegung 1993

von Mani Stenner
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Das neue Jahr wird uns - und mehr noch Menschen in anderen Ländern - eine Menge unangenehmer Dinge bescheren. Nationalismus ist in, Pazi­fismus ist out. Der Krieg wird als realexistierender Totschlaghammer zum Argument gegen die Friedensbewegung, denn wir haben ihn ja nicht verhindert.

Pazifismus und Antimilitarismus sind in die Defensive geraten. Das moralische Dilemma ist bei Völkermord wie in Bosnien oder millionenfachem Hun­gertod wie in Somalia unerträglich. Hier hilft ja keine "vorbeugende" Konfliktlö­sung mehr, alle Fehler sind gemacht, ge­rade auch von der westlich dominierten "Völkergemeinschaft", alle Vorschläge nichtmilitärischer, aber durchgreifender Einmischung wurden in den Wind ge­schlagen. Der Ruf nach militärischen "Lösungen" kommt da auch von vielen MitstreiterInnen aus humanitären Orga­nisationen und von Menschen aus der Friedensbewegung. Wer ist nicht unsi­cher geworden, selbst wenn sie/er wie ich überzeugt ist, daß dem streitbaren Pazifismus die besseren Argumente zur Verfügung stehen?

Zornig bin ich allerdings darüber, daß die Aggressionen der Menschen, die helfen wollen - "zur Not auch mit Ge­walt" - sich gegen diejenigen richten (etwa durch Vergleiche mit der Ap­peasementpolitik gegenüber Hitler oder Begriffen wie "Beihilfe zum Völker­mord"), die vor den wahrscheinlich noch unheilvolleren Folgen eines Kriegseinsatzes warnen und nicht gegen die Politiker, die große Mitverantwor­tung für die Entstehung von Krisen und Kriegen haben und nach wie vor nicht den politischen Willen aufbringen, die vielen (nichtmilitärischen) Eingreif­möglichkeiten wahrzunehmen (vgl. die Vorschläge von Andreas Buro zum Konflikt im ehemaligen Jugoslawien im Dok.-Tel des Themenheftes). Zornig werde ich auch, wenn die Hinwendung zu militärischen Weltpolizeiaufgaben der G7-Staaten innerhalb und außerhalb der UNO als "Neues Denken" nach Ende der Blockkonfrontation gelobt und das von Friedensgruppen vertretene Primat gewaltfreier Konfliktlösungsmo­delle entsprechend als "veraltet" und nicht als die einzige Chance für den Aufbau einer erstrebenswerten "neuen Weltordnung" begriffen wird. Und zornig müssen wir werden, wenn wir noch Einiges von dem verhindern wol­len, was unsere Regierung und die Par­teien anstellen wollen.

Pazifismus wird streitbar sein müssen in nächster Zeit. Rechtsruck, äußere und innere Militarisierung gehen Hand in Hand. Die Ostgrenzen Deutschlands werden demnächst gegen illegale Flüchtlinge (alle sind dort illegal, da in einem sicheren Drittland) mit Infrarot­geräten überwacht. Soldaten der Bun­deswehr verstärken den Grenzschutz und die zentralen Aufnahme (Ab­schiebe-)Lager. Wann kommt der Schießbefehl?

Allen ist klar, daß die Regierung Kohl das Elend in Somalia und Bosnien-Her­zegowina schamlos dazu benutzt, um die innenpolitischen Hürden und bishe­rigen Widerstände gegen "out-of-area"-Einsätze der Bundeswehr und eine Mi­litarisierung der Außenpolitik zu über­winden. Wie bei der Abschaffung des Menschenrechts auf Asyl wird die SPD auch hier kippen, die Minenräumungen im Golf und der Sanitätseinsatz in Kambodscha waren nur der Anfang der Kompromisse. Der Krieg tarnt sich jetzt mit humanitären Motiven, aber für die Oberbefehlshaber sind die Menschen­rechte nicht unteilbar, sondern werden benutzt, wie es in den Kram politischer, wirtschaftlicher oder geostrategischer Interessen passt.

Vor der Zustimmung zu Kampfeinsät­zen aller Art wird diese Regierung keine Ruhe geben. Es geht zunächst um das deutsche Afrika-Korps in Somalia an der Seite der US-Marines und der fran­zösischen Fremdenlegionäre ("gegen deren Äußeres Naziskins wie Rilkeleser aussehen", schreibt der Germanistik-Professor Jürgen Link) und eine wie auch immer geartete Teilnahme an der möglichen Intervention in Bosnien-Her­zegowina (an den AWACS-Besatzun­gen und mehr). Danach dürfte sich Deutschland den ersehnten Platz im Si­cherheitsrat der UN verdient haben. Deutsche Wüstenstürmer werden dann je nach deutscher Interessenlage bei weiteren "Krisenherden" dabeisein: Kambodscha, GUS, Nordafrika, Golf, Azania (Südafrika) u.a., mit oder huma­nitäre Begründung, irgendwann auch of­fen zum Schutz "deutscher Interessen", wie Naumann und Stoltenberg es im Hardthöhen-Papier zur künftigen Rolle der Bundeswehr schon längst formuliert haben.

Diese deutsche Militärpolitik zu verhin­dern ist existentiell, jeder Alarmruf ist berechtigt, unsere Verfassung wird in Kernfragen auf den Kopf gestellt, "Verfassungsschutz von unten" ist ge­boten.

Zu unseren Warnungen gehören unsere Alternativvorschläge: zur Vorbeugung von Konflikten, nicht-militärischen In­terventionsmöglichkeiten und zu einer glaubwürdigeren, demokratisierten UNO und anderen internationalen Gre­mien. An die Adresse der eigenen Re­gierungen die Erinnerung an ein Lied der Kölner Gruppe LSE: "Ich hab Dir schon tausendmal gesagt, Du sollst es sein lassen!": Produktion und Export von Rüstungs- und Atomtechnik, Unter­stützung von Diktatoren (wie vormals Siad Barre im Fall Somalia), wirtschaft­liche Vorteilsnahme und Erpressung ge­genüber der Dritten Welt.

Mit neuem Schwung ins neue Jahr!

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