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Perspektiven und Mechanismen zur Verhinderung von Bürgerkriegen und Kriegen in Europa
von
Das Ziel ziviler Konfliktbearbeitung ist nicht Sieg und Niederlage der anderen Seite. Es läßt sich vielleicht beschreiben als Verführung zu Gewaltfreiheit, zu mehr Gerechtigkeit, zu Versöhnungs- und Kooperationsbereitschaft, durch die Feindbilder und erstarrte Denkfiguren überwunden werden können. Die Bereiche, in denen zivile Konfliktbearbeitung sich abspielt, lassen sich in den der Konfliktvorbeugung und den der Schlichtung schon ausgebrochener Konflikte unterteilen.
Der Vorbeugung kommt eine besonders große Verantwortung zu, sind doch in aller Regel gesellschaftliche und zwischenstaatliche Konflikte langfristig angelegt. Sie sind bei genauer Beobachtung frühzeitig zu erkennen, ehe sie eine Eigendynamik bekommen haben, die über die ursprünglichen Anlässe oftmals weit hinaustreibt. Vorbeugung heißt dementsprechend, rechtzeitig vermittelnd einzugreifen, alternative Wege der gewaltfreien Konfliktaustragung anzubieten und Lösungsperspektiven aufzuzeigen.
Die Konfliktschlichtung, wie sie gegenwärtig in Jugoslawien mit wenig Konsistenz und Vorüberlegung versucht wird, wird erst aufgrund einer fehlenden vorbeugenden Konfliktbearbeitung notwendig. Bei der Konfliktschlichtung sind andere Instrumente anzuwenden, die auf Zwänge (Embargo), Elemente ziviler Abschreckung (Androhung von Folgen), aber auch auf "verlockende" Angebote von Hilfen nicht verzichten können. Konfliktschlichtung soll darauf abzielen, eine gesellschaftliche Resozialisierung zu erreichen, also eine Rückkehr zum gewaltfreien Umgang der Gesellschaften in ihren inneren Verhältnissen oder in der Konfliktaustragung nach außen.
Im Folgenden will ich einige Kriterien für zivile Konfliktaustragung nennen. Sie gelten für diejenigen, die sich um Vermittlung bemühen.
1. Die Ziele, Normen und Verfahrensweisen wie auch die Funktionen und Reichweiten der möglicherweise einzusetzenden Sanktionen sind für alle Konfliktpartner transparent zu machen.
2. Die Vermittler müssen, um Glaubwürdigkeit zu gewinnen, selbst an ihre Normen gebunden sein. Das heißt auch, daß sie gegen alle gleiche Maßstäbe anwenden und Gerechtigkeit üben müssen. Einseitige Bindungen und Parteinahme zerstört die unabdingbare Vertrauensbasis.
3. Die getroffenen Maßnahmen müssen so ausgebildet werden, daß sie zur Deeskalation von Gewalt beitragen. Sie dürfen nicht die Möglichkeit der Ausweitung des Konfliktes nach Ort und Thema fördern. Die Problematik der Eskalation wird gegenwärtig deutlich an der Diskussion über eine militärische Intervention in Bosnien.
4. Die Maßnahmen müssen sich auf die Überwindung des Übels richten, aber gleichzeitig einen Weg zur Rückkehr zu gewaltfreiem Verhalten offenlassen. Es dürfen keine Situationen geschaffen werden, in denen Ausweglosigkeit den Durchhaltewillen der Rechtsbrecher stärkt und Veränderungen nicht mehr möglich erscheinen. Dann wäre nur Zusammenbruch und Niederlage die Perspektive, eine Perspektive, die irrationales Verhalten stärkt.
5. Die gewählten Maßnahmen und auch die gewählten Sanktionen müssen Kriterien der Menschenrechte und der demokratischen Orientierung erfüllen. Das heißt, nicht das Ziel rechtfertigt die Mittel, sondern die Mittel müssen den Zielen entsprechen und sie gleichsam bereits verkörpern.
Die Mittel und Instrumente ziviler Konfliktbearbeitung
Die Möglichkeiten sind vielfältig. Ich kann nur wenige Aspekte nennen und kaum im Einzelnen auf ihre Ausformung eingehen.
1. Die erforderlichen Institutionen müssen im europäischen Bereich geschaffen werden. Sicher ist es sinnvoll, sie an die Charta der Vereinten Nationen zu binden. Sie müssen mit den erforderlichen Kompetenzen und Potentialen für ihre Arbeit ausgestattet werden. Die Situation der Vereinten Nationen, die durch ständige Abhängigkeiten von ihren Geldgebern gekennzeichnet ist, darf sich hier nicht wiederholen. Die organisatorischen und die finanziellen Möglichkeiten hängen eng zusammen. Wer von internationaler Verantwortung spricht, hier ist sie sehr wirksam wahrzunehmen.
2. Umfassende Informationen über Konfliktursachen und -situationen, etwa Analysen der Konstellationen, sind ständig für die Weltöffentlichkeit herauszugeben. Damit sind Einseitigkeiten und Feindbilder leichter zu vermeiden. Eine diplomatische Zurückhaltung ist nicht geboten. Sie müsste sich allenfalls auf Angebote beziehen, die erst von den Konfliktparteien geprüft werden sollen.
3. Die umfassende Information ist auch der Öffentlichkeit der im Konflikt befindlichen Staaten zugänglich zu machen. Dort muß eine öffentliche Auseinandersetzung über die Konfliktziele, die Kosten der gewaltsamen Auseinandersetzung und die Alternativen ermöglicht werden. Dies kann nicht mit dem Argument "Keine Einmischung in innere Angelegenheiten" abgewehrt werden. Im Gegenteil, es geht gerade darum, alle gegen den Krieg gerichteten Kräfte in den Gesellschaften zu mobilisieren und ideologische Verblendung nicht zuzulassen. Die technischen Mittel stehen zur Verfügung, um Öffentlichkeit über Grenzen hinweg zu ermöglichen.
4. Ganz in diesem Sinne ist die Unterstützung der Kräfte, die sich gegen Krieg und Repression wenden, zu betreiben. Ihnen muß internationale Aufmerksamkeit und Hilfe zukommen. Sie sind die Kräfte, die innerhalb der Gesellschaft auf eine Veränderung der Form der Konfliktaustragung drängen.
5. Traditionelle Politik, immer an Militärpolitik gebunden, konnte sich nie entschließen, zur Verweigerung des Kriegsdienstes im wahrsten Sinne des Wortes aufzurufen. Dies muß sich ändern. Der Aufruf zur Kriegdienstverweigerung ist durch Schutz und Hilfe für die Verweigerer zu ergänzen.
6. Ein wichtiges Instrument, um Druck auf Parteien auszuüben und die Kriegsführung auszutrocknen, ist das Embargo. Bislang wurde es kaum konsequent angewandt. Es erfordert nicht zwingend militärische Präsenz an den Grenzen des Landes, und es muß nicht notwendig alle Teile der Gesellschaft treffen. Formen des selektiven Embargos sind zu entwickeln und Möglichkeiten der zivilen Kontrolle und Erzwingung zu erforschen. Die Belastungen von Drittländern durch ein Embargo sind selbstverständlich solidarisch in alle Staaten zu tragen. Das selektive Embargo soll Kriegsführung behindern, aber nicht die Menschen inhumanen Situationen aussetzen.
7. Die Rolle von Blauhelmen und anderen Hilfs- und Vermittlungskräften ist genau zu definieren. Eine Abgrenzung zu militärischen Aufgaben ist deutlich zu ziehen, damit diese Kräfte, die vermitteln sollen, nicht unter der Hand über eskalationsträchtige Aufgaben zu Kampfverbänden, also zu Parteien im Konflikt werden. Allerdings geht es auch nicht an, daß im Einsatzgebiet von Blauhelmen weiterhin Menschenrechtsverletzungen systematisch organisiert werden. Dies muß zu einer Diskreditierung solcher Einsätze führen. Dementsprechend sind Verträge nur unter Bedingungen zu schließen, die derartige Situationen nicht entstehen lassen.
8. Diplomatische Anstrengungen müssen sich auch auf Zukunftsperspektiven zur Lösung der Konflikte richten. Solche Bemühungen sind mit "positiven Sanktionen", also mit förderlichen Angeboten zu verbinden, die aber nur unter bestimmten Bedingungen gewährt werden: zum Beispiel Einstellung der gewaltsamen Auseinandersetzungen und Gewährung von Menschen-, Freiheits-, und Minderheitenrechten. Bislang ist weder dieses Instrument wirklich entwickelt noch sind die erforderlichen finanziellen Ressourcen bereitgestellt worden, die eine solche Art von "Entwicklungspolitik" erst möglich machen.
9. In den Bemühungen um zivile Konfliktbearbeitung werden immer wieder stagnative Situationen auftreten. Sie sind gegebenenfalls durch einseitige, richtiges Verhalten vorwegnehmende Schritte zu überwinden, die nicht vom Tun der anderen Seite abhängig gemacht werden. Dies zu ermutigen und zu fördern, ist eine wichtige Vermittlungsaufgabe.
Die Ebenen und Akteure der Vermittlungsarbeit
In der Regel konzentrieren sich Berichterstattung und Aufmerksamkeit auf die staatlichen und militärischen Aktivitäten, die in Konflikten konfrontierend oder vermittelnd wirksam werden. Politiker und Diplomaten werden als die wichtigsten Akteure empfunden. Sie können auf hohen Ebenen verhandeln, Entscheidungen treffen, das Netz internationaler Institutionen und Gerichte anrufen und mobilisieren sowie erhebliche finanzielle Mittel und entwicklungspolitisch oder humanitär ausgerichtete Wirtschaftshilfe einsetzen. Die sozialen Bewegungen können die Regierungsaktivitäten selbstverständlich nicht ersetzen und müssen diese deshalb ständig analysierend und bewertend begleiten, eigene Konzepte entwickeln und versuchen, darüber eine öffentliche Diskussion zu entfachen, die möglicherweise Regierungspolitik verändert. Ein wichtiger Gesichtspunkt dabei dürfte sein, dafür zu sorgen, daß auch von Regierungsseite die gesellschaftliche Ebene in die Konfliktbearbeitung mit einbezogen wird. Man darf nicht allein mit denjenigen verhandeln, welche die Konflikte schüren und den Krieg betreiben. Die gesellschaftlichen Kräfte gegen den Krieg und für die Demokratisierung der Gesellschaften müssen einbezogen werden. Dies ist bisher sträflich vernachlässigt worden.
Seit dem Ende des Ost-West-Konfliktes haben sich die Möglichkeiten zu friedensstiftendem Eingreifen von unten sehr ausgeweitet. Grenzüberschreitende Zusammenarbeit der Initiativen und sozialen Bewegungen wird zu einer neuen großen Aufgabe, die bislang noch kaum entwickelt werden konnte. Es gibt allerdings vielfältige interessante Ansätze, die aus der Friedensarbeit gegen den Krieg im ehemaligen Jugoslawien entstanden sind. Sie reichen von der Unterstützung der dort entstandenen Antikriegsgruppen über die Entfaltung von Gegeninformationen bis hin zur humanitären Hilfe und zur Unterstützung von Selbsthilfe durch Freiwillige. Diese Aktivitäten sind vorrangig auf der gesellschaftlichen Ebene angesiedelt, auf der das spezifische Kooperationsfeld der sozialen Bewegungen liegt. Hier zu arbeiten heißt jedoch nicht, die staatlichen Institutionen aus der Verantwortlichkeit für diesen Bereich zu entlassen. Immer wieder sind Vorschläge für sinnvolle Handlungen zu unterbreiten und zu propagieren. Bei allen Ansätzen muß die Zusammenarbeit zwischen den sozialen Bewegungen und den NGOs, den sogenannten Nichtregierungsorganisationen, weit mehr als bisher ausgebaut werden. Berührungsängste sind zu überwinden.
(Dieser Text ist in voller Länge in "Probleme des Friedens 1/93" erschienen)