Perspektiven und Mechanismen zur Verhinderung von Bürgerkriegen und Kriegen in Europa

von Andreas Buro
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Das Ziel ziviler Konfliktbearbeitung ist nicht Sieg und Niederlage der anderen Seite. Es läßt sich vielleicht beschreiben als Verführung zu Gewaltfreiheit, zu mehr Gerechtigkeit, zu Versöhnungs- und Kooperati­onsbereitschaft, durch die Feindbilder und erstarrte Denkfiguren über­wunden werden können. Die Bereiche, in denen zivile Konfliktbearbei­tung sich abspielt, lassen sich in den der Konfliktvorbeugung und den der Schlichtung schon ausgebrochener Konflikte unterteilen.

Der Vorbeugung kommt eine beson­ders große Verantwortung zu, sind doch in aller Regel gesellschaftliche und zwischenstaatliche Konflikte langfristig angelegt. Sie sind bei genauer Beob­achtung frühzeitig zu erkennen, ehe sie eine Eigendynamik bekommen haben, die über die ursprünglichen Anlässe oftmals weit hinaustreibt. Vorbeugung heißt dementsprechend, rechtzeitig ver­mittelnd einzugreifen, alternative Wege der gewaltfreien Konfliktaustragung an­zubieten und Lösungsperspektiven auf­zuzeigen.

Die Konfliktschlichtung, wie sie ge­genwärtig in Jugoslawien mit wenig Konsistenz und Vorüberlegung versucht wird, wird erst aufgrund einer fehlenden vor­beugenden Konfliktbearbeitung not­wendig. Bei der Konfliktschlichtung sind andere Instrumente anzuwenden, die auf Zwänge (Embargo), Elemente ziviler Abschreckung (Androhung von Folgen), aber auch auf "verlockende" Angebote von Hilfen nicht verzichten können. Konfliktschlichtung soll darauf abzielen, eine gesellschaftliche Reso­zialisierung zu erreichen, also eine Rückkehr zum gewaltfreien Umgang der Gesellschaften in ihren inneren Ver­hältnissen oder in der Konfliktaustra­gung nach außen.

Im Folgenden will ich einige Kriterien für zivile Konfliktaustragung nennen. Sie gelten für diejenigen, die sich um Vermittlung bemühen.

1. Die Ziele, Normen und Verfahrens­weisen wie auch die Funktionen und Reichweiten der möglicherweise ein­zusetzenden Sanktionen sind für alle Konfliktpartner transparent zu ma­chen.

2. Die Vermittler müssen, um Glaub­würdigkeit zu gewinnen, selbst an ihre Normen gebunden sein. Das heißt auch, daß sie gegen alle gleiche Maßstäbe anwenden und Gerechtig­keit üben müssen. Einseitige Bindun­gen und Parteinahme zerstört die un­abdingbare Vertrauensbasis.

3. Die getroffenen Maßnahmen müssen so ausgebildet werden, daß sie zur Deeskalation von Gewalt beitragen. Sie dürfen nicht die Möglichkeit der Ausweitung des Konfliktes nach Ort und Thema fördern. Die Problematik der Eskalation wird gegenwärtig deutlich an der Diskussion über eine militärische Intervention in Bosnien.

4. Die Maßnahmen müssen sich auf die Überwindung des Übels richten, aber gleichzeitig einen Weg zur Rückkehr zu gewaltfreiem Verhalten offenlas­sen. Es dürfen keine Situationen ge­schaffen werden, in denen Ausweglo­sigkeit den Durchhaltewillen der Rechtsbrecher stärkt und Verände­rungen nicht mehr möglich erschei­nen. Dann wäre nur Zusammenbruch und Niederlage die Perspektive, eine Perspektive, die irrationales Verhal­ten stärkt.

5. Die gewählten Maßnahmen und auch die gewählten Sanktionen müssen Kriterien der Menschenrechte und der demokratischen Orientierung er­füllen. Das heißt, nicht das Ziel recht­fertigt die Mittel, sondern die Mittel müssen den Zielen entsprechen und sie gleichsam bereits verkörpern.

Die Mittel und Instrumente ziviler Konfliktbearbeitung

Die Möglichkeiten sind vielfältig. Ich kann nur wenige Aspekte nennen und kaum im Einzelnen auf ihre Ausformung eingehen.

1. Die erforderlichen Institutionen müs­sen im europäischen Bereich geschaf­fen werden. Sicher ist es sinnvoll, sie an die Charta der Vereinten Nationen zu binden. Sie müssen mit den erfor­derlichen Kompetenzen und Poten­tialen für ihre Arbeit ausgestattet werden. Die Situation der Vereinten Nationen, die durch ständige Abhän­gigkeiten von ihren Geldgebern ge­kennzeichnet ist, darf sich hier nicht wiederholen. Die organisatorischen und die finanziellen Möglichkeiten hän­gen eng zusammen. Wer von inter­nationaler Verantwortung spricht, hier ist sie sehr wirksam wahrzuneh­men.

2. Umfassende Informationen über Konfliktursachen und -situationen, etwa Analysen der Konstellationen, sind ständig für die Weltöffentlich­keit herauszugeben. Damit sind Ein­seitigkeiten und Feindbilder leichter zu vermeiden. Eine diplomatische Zurückhaltung ist nicht geboten. Sie müsste sich allenfalls auf Angebote beziehen, die erst von den Konflikt­parteien geprüft werden sollen.

3. Die umfassende Information ist auch der Öffentlichkeit der im Konflikt be­findlichen Staaten zugänglich zu ma­chen. Dort muß eine öffentliche Aus­einandersetzung über die Konflikt­ziele, die Kosten der gewaltsamen Auseinandersetzung und die Alterna­tiven ermöglicht werden. Dies kann nicht mit dem Argument "Keine Einmischung in innere Angelegen­heiten" abgewehrt werden. Im Ge­genteil, es geht gerade darum, alle gegen den Krieg gerichteten Kräfte in den Gesellschaften zu mobilisieren und ideologische Verblendung nicht zuzulassen. Die technischen Mittel stehen zur Verfügung, um Öffent­lichkeit über Grenzen hinweg zu er­möglichen.

4. Ganz in diesem Sinne ist die Unter­stützung der Kräfte, die sich gegen Krieg und Repression wenden, zu betreiben. Ihnen muß internationale Aufmerksamkeit und Hilfe zukom­men. Sie sind die Kräfte, die inner­halb der Gesellschaft auf eine Verän­derung der Form der Konfliktaustra­gung drängen.

5. Traditionelle Politik, immer an Mili­tärpolitik gebunden, konnte sich nie entschließen, zur Verweigerung des Kriegsdienstes im wahrsten Sinne des Wortes aufzurufen. Dies muß sich ändern. Der Aufruf zur Kriegdienst­verweigerung ist durch Schutz und Hilfe für die Verweigerer zu ergän­zen.

6. Ein wichtiges Instrument, um Druck auf Parteien auszuüben und die Kriegsführung auszutrocknen, ist das Embargo. Bislang wurde es kaum konsequent angewandt. Es erfordert nicht zwingend militärische Präsenz an den Grenzen des Landes, und es muß nicht notwendig alle Teile der Gesellschaft treffen. Formen des se­lektiven Embargos sind zu entwic­keln und Möglichkeiten der zivilen Kontrolle und Erzwingung zu er­forschen. Die Belastungen von Drittländern durch ein Embargo sind selbstverständlich solidarisch in alle Staaten zu tragen. Das selektive Em­bargo soll Kriegsführung behin­dern, aber nicht die Menschen inhu­manen Situationen aussetzen.

7. Die Rolle von Blauhelmen und ande­ren Hilfs- und Vermittlungskräften ist genau zu definieren. Eine Abgren­zung zu militärischen Aufgaben ist deutlich zu ziehen, damit diese Kräfte, die vermitteln sollen, nicht unter der Hand über eskalations­trächtige Aufgaben zu Kampfverbän­den, also zu Parteien im Konflikt werden. Allerdings geht es auch nicht an, daß im Einsatzgebiet von Blau­helmen weiterhin Menschenrechts­verletzungen systematisch organisiert werden. Dies muß zu einer Diskredi­tierung solcher Einsätze führen. Dementsprechend sind Verträge nur unter Bedingungen zu schließen, die derartige Situationen nicht entstehen lassen.

8. Diplomatische Anstrengungen müs­sen sich auch auf Zukunftsperspekti­ven zur Lösung der Konflikte richten. Solche Bemühungen sind mit "positiven Sanktionen", also mit för­derlichen Angeboten zu verbinden, die aber nur unter bestimmten Bedin­gungen gewährt werden: zum Bei­spiel Einstellung der gewaltsamen Auseinandersetzungen und Gewäh­rung von Menschen-, Freiheits-, und Minderheitenrechten. Bislang ist we­der dieses Instrument wirklich ent­wickelt noch sind die erforderlichen finanziellen Ressourcen bereitgestellt worden, die eine solche Art von "Entwicklungspolitik" erst möglich machen.

9. In den Bemühungen um zivile Kon­fliktbearbeitung werden immer wie­der stagnative Situationen auftreten. Sie sind gegebenenfalls durch einsei­tige, richtiges Verhalten vorwegneh­mende Schritte zu überwinden, die nicht vom Tun der anderen Seite ab­hängig gemacht werden. Dies zu er­mutigen und zu fördern, ist eine wich­tige Vermittlungsaufgabe.

Die Ebenen und Akteure der Ver­mittlungsarbeit

In der Regel konzentrieren sich Bericht­erstattung und Aufmerksamkeit auf die staatlichen und militärischen Aktivitä­ten, die in Konflikten konfrontierend oder vermittelnd wirksam werden. Poli­tiker und Diplomaten werden als die wichtigsten Akteure empfunden. Sie können auf hohen Ebenen verhandeln, Entscheidungen treffen, das Netz inter­nationaler Institutionen und Gerichte an­rufen und mobilisieren sowie erhebliche finanzielle Mittel und entwicklungspo­litisch oder humanitär ausgerichtete Wirtschaftshilfe einsetzen. Die sozialen Bewegungen können die Regierungs­aktivitäten selbstverständlich nicht er­setzen und müssen diese deshalb ständig analysierend und bewertend begleiten, eigene Konzepte entwickeln und versu­chen, darüber eine öffentliche Diskus­sion zu entfachen, die möglicherweise Regierungspolitik verändert. Ein wich­tiger Gesichtspunkt dabei dürfte sein, dafür zu sorgen, daß auch von Regie­rungsseite die gesellschaftliche Ebene in die Konfliktbearbeitung mit einbezogen wird. Man darf nicht allein mit denjeni­gen verhandeln, welche die Konflikte schüren und den Krieg betreiben. Die gesellschaftlichen Kräfte gegen den Krieg und für die Demokratisierung der Gesellschaften müssen einbezogen wer­den. Dies ist bisher sträflich vernachläs­sigt worden.

Seit dem Ende des Ost-West-Konfliktes haben sich die Möglichkeiten zu frie­densstiftendem Eingreifen von unten sehr ausgeweitet. Grenzüberschreitende Zusammenarbeit der Initiativen und so­zialen Bewegungen wird zu einer neuen großen Aufgabe, die bislang noch kaum entwickelt werden konnte. Es gibt aller­dings vielfältige interessante Ansätze, die aus der Friedensarbeit gegen den Krieg im ehemaligen Jugoslawien ent­standen sind. Sie reichen von der Unter­stützung der dort entstandenen Anti­kriegsgruppen über die Entfaltung von Gegeninformationen bis hin zur huma­nitären Hilfe und zur Unterstützung von Selbsthilfe durch Freiwillige. Diese Ak­tivitäten sind vorrangig auf der gesell­schaftlichen Ebene angesiedelt, auf der das spezifische Kooperationsfeld der sozialen Bewegungen liegt. Hier zu ar­beiten heißt jedoch nicht, die staatlichen Institutionen aus der Verantwortlichkeit für diesen Bereich zu entlassen. Immer wieder sind Vorschläge für sinnvolle Handlungen zu unterbreiten und zu pro­pagieren. Bei allen Ansätzen muß die Zusammenarbeit zwischen den sozialen Bewegungen und den NGOs, den soge­nannten Nichtregierungsorganisationen, weit mehr als bisher ausgebaut werden. Berührungsängste sind zu überwinden.

(Dieser Text ist in voller Länge in "Probleme des Friedens 1/93" er­schienen)

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