Plädoyer für eine friedenspolitische Weichenstellung

von Andreas Buro

Auf dem Sonderparteitag von Bündnis 90/Die Grünen am 9.10.93 in Bonn ging es um Krieg und Frieden, Menschenrechte, Pazifismus und die Leitlinien grüner Außenpolitik. Andreas Buro hatte Gelegenheit, Standpunkte aus der Friedensbewegung vorzutragen:

Ich freue mich, in diesem Kreis vortra­gen zu dürfen. Es ist nicht selbstver­ständlich, daß Stimmen aus den sozialen Bewegungen und insbesondere aus der Friedensbewegung von Parteien ange­hört werden. Ich kann nicht für die Frie­densbewegung sprechen, glaube aber Spannungs-, Problem- und Konsensfel­der bezeichnen zu können. Ich versuche, dies in aller Kürze und deshalb sicher vielfach verkürzt in folgenden Thesen:

1. Der Krieg in Kroatien und Bosnien hat die Menschen in der Friedensbe­wegung mehr bewegt, als alle ande­ren kriegerischen Konflikte zuvor, Mitleiden und der Wunsch zu helfen bilden eine der großen Gemeinsam­keiten, die bis heute alle umschließt. Dabei fällt es uns immer wieder schwer zu begreifen, warum wir nicht an den vielen mindestens ebenso grausamen Kriegen nach 1945 in gleicher Weise gelitten haben. Die Grausamkeiten des Krieges in Bosnien ist kein neues Argument, das unserem Antimilitarismus entgegen­gestellt werden kann. Dieser Krieg bestätigt nur unsere Ablehnung von Militär und Krieg als letztem Mittel der Politik. Trotzdem hat der Wunsch nach einem schnellen Ende des bos­nischen Infernos uns als Personen in­nerlich gespalten. Da kämpften in aller Regel nicht Fraktionen von an­geblichen Bellizisten und pazifistischen Fundamentalisten miteinander. Vielmehr waren wir mit Allmachtphantasien und Technologiegläubig­keit in uns konfrontiert, die uns zu­flüsterten, der grauenhafte Spuk könne durch entschlossenes militäri­sches Eingreifen schnell beendet werden. Inzwischen ist, so scheint mir, diese Phase im abklingen. Die große Gemeinsamkeit ist als tragfä­hige Basis des klärenden Gesprächs erhalten geblieben. Feindbilder voneinander lassen wir uns weder aufschwatzen noch aufschreiben.

2. Die Friedensbewegung steht also nicht vor einer Zerreißprobe. Sie ist jedoch dabei, ihre Orientierung und ihre neuen Aufgaben nach Ende des Ost-West-Konfliktes auszuarbeiten. Dabei zeichnet sich eine große Übereinstimmung ab, die Durchsetzung von Menschenrechten und die Be­wältigung der großen sozialen, öko­logischen und wirtschaftlichen Pro­bleme, die alle zutiefst mit kulturel­len Orientierungen verbunden sind, durch Strategien der zivilen Konfliktbearbeitung anzugehen. Wir wollen diese Strategien gedanklich und real entfalten helfen - sicher ein­ langfristiger Prozeß. Wir werden gleichzeitig daran arbeiten, unsere Möglichkeiten grenzüberschreitender Friedensarbeit zu entwickeln und einen europäischen Kooperations­rahmen dafür auszubauen. Solche Arbeitsorientierung geht von den Prämissen aus, daß die angewandten Mittel der Konfliktbewältigung in hohem Maße die erreichbaren Ziele bestimmen und daß die Tendenz zu anhaltender Militarisierung der Welt­politik nur beendet werden kann, wenn alternative Formen der Konfliktbearbeitung eingeführt werden.

In der Friedensbewegung werden dementsprechend. gegenwärtig drei große Aufgabenfelder gesehen:

  • Für Abrüstung einzutreten, mit dem Fernziel einer Bundesrepublik ohne Armee.
  • Die Entfaltung ziviler Konfliktbear­beitung voranzutreiben.
  • Möglichkeiten grenzüberschreiten­der Friedensarbeit zu entwickeln.

Wir wären glücklich, wenn Parteien und Friedensforschung in diesem Sinne arbeiten. Wir glauben, mit leichtem historischem Rückenwind rechnen zu können, da die Unfähig­keit des Militärs zu angemessenen Problemlösungen immer offensichtlicher wird.

3. Dieser weitgesteckten Zielsetzung steht die Absicht der reichen Industriestaaten (G 7) entgegen, ihre ver­meintlichen Interessen durch Inter­ventionsstreitkräfte jenseits von Verteidigung zu verfolgen. Aus der verkündeten Abrüstung nach dem Ende des Ost-West-Konfliktes ist die Umrüstung für Zwecke out-of-area, also im jeweiligen Interessensvorfeld, geworden. Der EG- Integrationspro­zeß verbindet gleichzeitig so Remili­tarisierung mit einer Politik der Ab­schottung. In der Bundesrepublik wird der Aufbau der "Krisenre­aktionskräfte" und die out-of-area­ Forderung u.a. mit folgenden legiti­miert.

Ihnen müssen wir entgegensetzen:

  • Es handele sich um friedensschaf­fende Interventionen im Auftrage der UN. Dabei wird unterschlagen, daß der Weltsicherheitsrat in hohem Maße von den G 7 beherrscht wird. Dort werden keine  Mehrheitsinteres­sen demokratisch formuliert,
  • Es handele sich um humanitäre In­terventionen. Damit wird psychologisch sehr geschickt unterstellt, die G 7 verträten humanitäre Ziele, wovon doch angesichts der historischen Er­fahrungen keine Rede sein kann.
  • Schließlich wird von dem Militär als 'letztem Mittel' gesprochen, das einzusetzen sei, wenn alle anderen Mittel erschöpft wären. Das ist eingängig und verführerisch, suggeriert es doch, freie Fahrt für zivile Konfliktbearbeitung. In Wirklichkeit be­deutet die Akzeptanz der Formel, 'Militär als letztes Mittel' die unan­greifbare Legitimation von dauer­hafter Aufrüstung. Alle Konfliktbe­arbeitung müßte sich im Sinne von Eskalationsleitern der militärischen Logik unterwerfen. Zivile Konfliktbearbeitung ist aber unter dem Vor­zeichen der Interventionsdrohung nicht möglich. Sie verliert ihre Ori­entierung auf Versöhnung und Kooperation.

Die gegenwärtige Diskussion der po­litischen Parteien über out-of-area ge­rät ständig in Gefahr, sich diesen Legitimationen zu unterwerfen. Damit würden die Weichen auf militärische Intervention statt auf zivile Konflikt­bearbeitung gestellt. Die Friedensbe­wegung wird sich gegen solche Ten­denzen wehren.

4. Vor dem Hintergrund der angedeu­teten Tendenzen nenne ich die wich­tigsten Gründe, die aus meiner Sicht gegen eine Militärintervention in Bosnien sprechen:

  • Mit erheblicher Wahrscheinlichkeit würde menschliches Leid dadurch ausgeweitet, nicht aber schnell been­det; die Legitimation "militärischer Einsatz als letztes Mittel" würde durch eine Intervention, unabhängig von deren Verlauf,  weiter eingeübt: Weichenstellungen vollziehen sich immer in konkreten Situationen.
  • Die militärische Intervention schwächt die Bereitschaft, die "vorletzten Mittel" zu entfalten und einzusetzen oder ihnen gar erheblich Ressourcen zur Verfügung zu stellen.
  • Ansätze zu Versöhnung und Koope­ration würden zugunsten von Sieg und Niederwerfung weit zurücktre­ten.
  • Auch vor dem Hintergrund analoger Konflikte in den GUS-Staaten halte ich die Intervention weder für ein geeignetes Mittel im Sinne humanitärer Ziele, noch für ein exemplarisches Mittel zur Verhinderung weiterer Auseinandersetzungen andernorts. Ich gehe davon aus, daß in großen Teilen der Friedensbewegung ähnli­che Argumente maßgebend sind.

5. Man hat der Friedensbewegung vor­geworfen, ihre Ablehnung einer Militärintervention käme der Billigung von Genozid gleich. Diese infame Anschuldigung unterstellt, die militä­rische Intervention könne sicher Ge­nozid verhindern, was zu bezweifeln ist, und die Friedensbewegung habe nichts, gegen den Krieg und für die Menschen dort getan, was offene sichtlich falsch ist. Unter ungünstig­sten Bedingungen hat die Friedens­bewegung sich auf ihre Weise politisch und humanitär helfend eingemischt. Diese Arbeit auch im zweiten Bosnien-Winter fortzusetzen ist not­wendiger denn je. Doch wir müssen uns zusätzlich und verstärkt an die Bundesregierung die EG als Ver­mittlerin in Genf mit Forderungen wenden:

  • Die Bundesregierung - wie auch andere EG-Länder - müssen die Tore für Kriegsflüchtlinge öffnen. Huma­nitäre Hilfe großen Ausmaßes ist nun zu organisieren. Es ist doch ein Skandal, wenn das Innenministerium seine Zustimmung nicht erteilt, ob­wohl das Land Niedersachsen bereit ist, eine bestimmte Gruppe von mos­lemischen Flüchtlingen aufzuneh­men.
  • Große Anstrengungen sind zu fordern, um in den Konfliktländern einschließlich Serbiens die nationali­stisch-ideologisch beherrschte Medienöffentlichkeit zu durchbrechen, damit die dortigen Gesellschaften in die Lage versetzt werden, sich ein ei­genständiges Bild der tatsächlichen Vorgänge zu machen. Dementsprechend gilt, es, Hilfe und Öffentlichkeit den demokratischen und antimilitaristischen Kräften zu verschaffen und die Deserteure von diesem nationalistischen Krieg aufzunehmen und zu schützen.
  • Von Genf ist zu fordern, daß wenigstens die schon beschlossenen befristeten Protektorate für Sarajewo und Mostar auch außerhalb des Gesamt­planes vereinbart und eingerichtet werden.
  • Um den ineinander verkrallten Kräften eine Perspektive zu eröffnen, die aus der nationalistischen Sack­gasse herausführt, sind die Gespräche über ein "Balkan Recovery Program" sobald wie möglich zu eröffnen. Ein solches Programm wäre selbstverständlich an Menschenrechte und Minderheitenrechte zu binden.

Die für Bosnien genannten Schritte sind Elemente einer notwendigerweise kom­plexen Strategie ziviler Konfliktbewältigung. Durch sie können wir unsere langfristigen Ziele mit den aktuellen Aufgaben in Bosnien in Übereinstimmung bringen. Aus umfassender Sicht wären viele Elemente nachzutragen. So wartet eine europäische Friedensordnung noch immer auf seine Bauleute. Konfliktvorbeugung ist weiterhin völlig unterentwickelt. Eine solche Strategie auf Gesamteuropa bezogen, würde die Außenpolitik Deutschlands und der EG verändern. Freilich wären dabei auch Rückschläge zu erwarten, und es wür­den Fehler gemacht werden. Mir scheint, eine solche Politik könnte vielen Menschen eine neue sinnstiftende Perspektive für politisches Engagement bieten. Das würde die innenpolitische Landschaft verändern. Viele Gründe sprechen also dafür sich sowohl für die Menschen in Bosnien wie für die Weichenstellung fort von der Interventions­politik einzusetzen. In der Friedensbewegung und vielleicht auch darüber­ hinaus sind dafür viele Menschen zu gewinnen.

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