Plädoyer für eine internationalistische Bewegung

von Thomas Meinhardt

Seit fast 8 Jahren tobt einer der brutalsten Kriege dieses Jahrhunderts, der Krieg zwischen Irak und Iran. Dieser auch als 'Golfkrieg' bekannte Massenmord hat mittlerweile weit mehr als eine Million Todesopfer gefordert.

Der Irak und Beteiligt daran ist auch die Bundesrepublik, die ihre 'strikte Neutralität' dadurch zum Ausdruckbringt, daß sie an beide Seiten gleichzeitig Rüstungsgüter liefert.

Der Irak und das NATO-Mitglied Türkei führen seit Jahren einen Vernichtungskrieg gegen die kurdische Bevölkerung in ihren eigenen Staaten. Die irakische Armee setzt dabei in letzter Zeit zunehmend Giftgas gegen kurdische Zivilisten ein.

Wiederum ist daran auch die Bundesrepublik beteiligt: nicht nur durch die sogenannten 'normalen' Rüstungslieferungen an das irakische Regime, sondern aller Wahrscheinlichkeit nach auch durch die Genehmigung des Exports von Produktionsanlagen für Giftgas. Nicht zuletzt ist die Türkei Empfänger umfangreicher westdeutscher Militärhilfe, durch die u.a. der Krieg in Kurdistan unterstützt wird. Dies sind nur zwei Beispiele aktueller Kriege in der '3. Welt', in denen die Bundesrepublik als Rüstungslieferant "mitmischt". Und obwohl dies alles bekannt und z. B. der 'Golfkrieg' zu einem zentralen Medienereignis in der Bundesrepublik geworden ist, läßt die Friedensbewegung hierzulande wenig von sich hören. Einige kleine Kampagnen gegen den 'Golfkrieg' und die bundesdeutschen Rüstungsexporte sowie einzelne Organisationen aus dem Umfeld der Solidaritätsbewegung versuchen zwar Protest zu formulieren und zu organisieren, ihre Erfolge sind aber bisher eher bescheiden. Für die FB insgesamt, speziell für den Koordinationsausschuß in Bonn sind die Kriege in der '3. Welt' mit ihren unzähligen Opfern trotz bundesrepublikanischer Beteiligung eher Randprobleme. In Erklärungen und Demonstrationsaufrufen werden sie zwar meist genannt, aber eher im Sinne eines 'Warenhauskataloges' als Forderungen 8 und 9, wogegen man/frau sonst noch alles ist.

Selbstverständnis der FB

Vor diesem Hintergrund bleibt das immer wieder beschworene Selbstverständnis der FB als Teil einer internationalen FB, die sich internationalistisch versteht, und die die Interdependez des weltweiten Kampfes für Frieden und Gerechtigkeit sieht und thematisiert, weitgehend abstrakte Rhetorik.

Wichtig scheint es mir zu sein, die Ursachen für die eurozentrische Orientierung der FB und auch des KA zu analysieren, um daraus Ansätze für eine veränderte Politik zu gewinnen. Entstanden ist die 'neue' FB als Anti 'Nachrüstungs' - Bewegung. Die Zuspitzung auf die Raketenstationierung ermöglichte ein breites Bündnis sehr unterschiedlicher Organisationen und Parteien und eine bisher nicht gekannte Mobilisierungsfähigkeit. Die Angst vor einer Erhöhung der Kriegswahrscheinlichkeit in Mitteleuropa und die Hoffnung, die Stationierung real verhindern zu können, waren wohl die entscheidenden Gründe für das rasche Anwachsen der FB zu einer Massenbewegung. Die Versuche einiger weniger, diese schmale inhaltliche Basis zu erweitern, scheiterten weitgehend.

Der KA war in seiner Breite sichtbar nicht in der Lage, weitergehende Forderungen aufzustellen. Auch ist das Argument, daß weitergehende Forderungen, die das westliche Wirtschafts-, Gesellschafts- und Militärsystem in seinem Kern in Frage stellen, die Mobilisierungsfähigkeit der Bewegung stark eingeschränkt hätten, so leicht nicht von der Hand zu weisen. Allerdings ist auch genau das eingetroffen, was Kritiker/innen der Raketenfixierung vorausgesagt haben:

Die Krise der FB nach erfolgter Stationierung.

Es gelang der FB nicht, die Raketenstationierung als das darzustellen, was sie war, nämlich ein - wenn auch besonders gefährlicher - Baustein in einem politischen und militärischen Gesamtkonzept So wurden die Mittelstreckenraketen von vielen Friedensbewegten als die Ursache für eine wachsende Kriegsgefahr gesehen. Vor diesem. Hintergrund ist es den Herrschenden gelungen, durch Entspannungspolitik und INF-Vertrag, die Bevölkerung zu beruhigen, ohne daß sich grundsätzlich etwas an Militarisierung und Aufrüstungsdynamik verändert hat.

Da die 'neue' FB aufgrund ihrer Entstehung und Entwicklung eine weitgehend eurozentristische Bewegung war und ist, verwundert es auch kaum, daß sie bis heute keine Antwort auf die sich verschiebenden Hauptkonflikte vom West-Ost- auf den sog. Nord-Süd-Schauplatz gefunden hat.

Beispiele für diese Entwicklung gibt es genügend:

  • Die Militärstrategien und -planungen der USA und der NATO beziehen sich mittlerweile vorrangig auf Kriegsszenarien im Nahen- und mittleren Osten und in Süd-Ost-Asien.
  • 'Schnelle Eingreiftruppen' verschiedener NATOStaaten werden beschleunigt ausgebaut und eine ganze Armada von Kriegsschiffen in den Golf entsandt.
  • Der derzeit größte und opferreichste Krieg - der Krieg zwischen Irak und Iran - wird durch massive Rüstungslieferungen an beide Seiten am Leben erhalten und droht sich durch internationale Einmischung zu einem überregionalen Kriegs auszuweiten.
  • Vornehmlich die USA nutzt ihren durch die Entspannungspolitik vergrößerten Spielraum für eine aggressive '3. Welt'-Politik mit verstärkter Neigung zur militärischen Gewaltanwendung; ober- und unterhalb des direkten Eingreifens.

Auf all dies reagiert die FB bisher kaum, u.a. auch, weil sie bisher nicht vermitteln konnte, was dies alles mit der BRD zu tun hat und welche Auswirkungen diese dramatischen Entwicklung auch für Mitteleuropa haben.

Keine einfachen Strategien

Nun gibt es für die FB keine einfachen Strategien, mit denen sie ihre Krise überwinden und schlüssige Antworten auf die vielfältigen, komplexen und miteinander verschränkten Entwicklungen finden und gleichzeitig zu einer politisch·durchsetzungsfähigen Massenbewegung wird.

Ohne eine solche Antwort zu wissen, scheinen mir aber einige Punkte unverzichtbar:

M. E. ist es zunächst einmal notwendig, eine offene und breite Diskussion über die Ursachen von Militarisierung, Aufrüstung und Kriegen zu führen, um einen Ansatzpunkt zum Verständnis der Dynamik der politischen, ökonomischen und militärischen Prozesse zu gewinnen. Hierbei geht es nicht so sehr um eine abstraktes Welterklärungsmodell, sondern um die Analyse konkreter Entwicklungen, ihrer Ursachen und Zusammenhänge. Erst dies ermöglicht eine Strategieentwicklung, durch die eine konkrete Verknüpfung der verschiedenen Aktionsfelder und Themen hergestellt werden kann.

Um zu verhindern, daß eine solche Orientierung auf den Kernbereich der Friedensaktivisten beschränkt bleibt, muß es der FB gelingen, die jeweils konkreten Nahbereichsprobleme mit den erstmal 'fernen' Kriegen in der '3. Welt' zu verknüpfen. Hieraus wird schon deutlich, daß es in Zukunft zunächst mehr um die Initiierung von Lernprozessen in regionalen Zusammenhängen als um Massendemonstrationen gehen kann!

Ein möglicher Ansatzpunkt scheint mir in diesem Zusammenhang der Krieg zwischen Irak und Iran zu sein. Erstens kann die bundesdeutsche FB zum Massenmord am Golf nicht schweigen, wenn sie ihren Anspruch nicht völlig aufgeben will.

Zweitens verspielt sie ihren Kredit bei ihren Freunden in der '3. Welt', wenn sie nicht alles versucht, um die bundesdeutschen Rüstungslieferungen und die bundesdeutsche Unterstützung für die NATO-Interventionsoptionen zu verhindern.

Drittens verlangt es dieser Krieg nicht nur aufgrund von moralischen Geboten, Solidarität. mit den Opfern zu üben, sondern auch aus wohlverstandenem Eigeninteresse. In einer interdependenten Welt hat dieser Krieg und das Ergebnis der jeweils innergesellschaftlichen Emanzipations- und Demokratisierungskämpfe und der Kampf des kurdischen Volkes um das nackte Überleben, immer auch Auswirkungen auf die Handlungs- und Durchsetzungsmöglichkeiten der sozialen Bewegungen in den Metropolen.

Viertens können an diesem Krieg sehr klar die Interessen der imperialistischen Mächte und das Ausnutzen regionaler Konflikte für langfristige Ziele herausgearbeitet werden.

Und nicht zuletzt kann durch die Hilfe für die Kriegsflüchtlinge Solidarität zur konkreten Praxis werden. Gerade in der Zusammenarbeit mit iranischen, irakischen, türkischen und kurdischen Gruppen besteht vielleicht der entscheidende, weiterführende Anstoß für Gruppen der FB vor Ort. Bei allen nicht zu verkennenden Schwierigkeiten, die auftauchen können, liegt darin doch die Chance, daß neben Betroffenheit aus Empörung und Wut, Sympathie und Freundschaft mit den betroffenen Menschen zu den Stützen eines längerfristigen Engagements werden.

Mit der Aufnahme der Anti-IWF-Aktionen und der Demonstrationen gegen die Rüstungsexporte an Iran und Irak in die gemeinsamen Herbstaktionen der FB hat die Aktionskonferenz einen ersten Schritt getan. Zu einer längerfristig erfolgversprechenden Strategie kann es aber nur kommen, wenn die verschiedenen Aktionsfelder inhaltlich aufeinander bezogen werden. Nur wenn es gelingt, die kurzfristigen Aktionsschwerpunkte in einen Gesamtrahmen einzuordnen und Lernprozesse hinsichtlich der grundlegenden Strukturen des internationalen 'Unrechtssystems' zu initiieren, kann die FB eine auch langfristig wirklich Politik verändernde Rolle spielen. Frieden und Gerechtigkeit sind nur weltweit durchsetzbar. Nur durch die Solidarität der überall für Emanzipation und Demokratisierung kämpfenden Kräfte ist eine für alle lebenswerte Zukunft erreichbar.

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Thomas Meinhardt, Diplom- Soziologe, Pax Christi, Präsidiumsmitglied und Mitglied im Geschäftsführen den Ausschuß der Kampagne "Produ zieren für das Leben - Rüstungsexporte stoppen!"