Politischer Prozess in Split

von Otvorene Oci
Krisen und Kriege
Krisen und Kriege

Etliche Ungereimtheiten im Fall eines Bombenanschlages auf das Büro der Dalmatinischen Aktion, einer kleinen, regionalen oppositionellen Partei in Split / Kroatien brachte "Otvorene Oci", das BeobachterInnen­team des Balkan Peace Teams Anfang April nach Split. Dort sollte die Verhandlung gegen sieben Mitglieder der Dalmatinischen Aktion und zwei weitere Personen stattfinden, die angeklagt sind, im vergangenen September einen terroristischen Anschlag auf ihr eigenes Büro verübt zu haben. Die Verhandlung findet vor einem Militärgericht statt, da Ter­rorismus als Verbrechen gegen den Staat gilt und für letzteres das Mili­tär zuständig ist.

Doch wurde das Verfahren schon am zweiten Tag unterbrochen und auf Ende April verschoben, da der erste Haupt­belastungszeuge, der unter Epilepsie und psychischen Störungen leidet, zu­sammenbrach. Immerhin hatte die Ver­teidigung Gelegenheit, gegen die Hand­habung des Falles durch die kroatischen Behörden zu protestieren. Acht der An­geklagten machten ihren Protest durch einen Sitzstreik deutlich und warfen den Behörden Misshandlung, auch physi­scher Art, während der Haft vor.

Der Ausgang des Prozesses für die Mit­glieder der Dalmatinischen Aktion hängt in er­ster Linie an den Aussagen der anderen beiden Angeklagten, Jurica Gilic und A.N. Ben Dzarak. Letztere haben zuge­geben, die Bombe gelegt zu haben. Gilic arbeitete zu dieser Zeit als Hilfskraft bei der Dalmatinischen Ak­tion (DA). Die Anklagevertretung be­hauptet, ein ande­rer der Angeklagten, Ivica Ancic, politi­scher Berater des Vorsitzenden der DA, habe Dzarak für den Anschlag angeheu­ert, ihm den Sprengstoff gegeben und sich mit den anderen Angeklagten und Gilic getrof­fen, um die Details des An­schlags zu diskutieren. Drei der Ange­klagten wer­den außerdem des illegalen Waffenbe­sitzes beschuldigt.

Die Verteidigung bestreitet die Aussa­gen der beiden Belastungszeugen Gilic und Ben Dzarak, verweist auf ein ein­drucksvolles Vorstrafenregister des letzteren und bezweifelt den Geisteszu­stand von Gilic. Tatsächlich hat Gilic seine Aussage mehrfach geändert und erwähnte an einem Punkt, daß er die Politiker nur aufgrund von Zwang wäh­rend der Vernehmung belastet habe. Die Verteidigung macht außerdem auf die unangemessene Behandlung der Ange­klagten aufmerksam: Misshandlung wäh­rend der Haft, Verweigerung von Medi­kamenten für einen der Angeklagten, der krebskrank ist, Verweigerung des Rechts auf Hinzuziehung eines Anwal­tes bei Verhören, unrechtmäßiges Sam­meln von Beweisen wie z.B. Verhöre außerhalb legaler Uhrzeiten.

Dies ist das zweite Mal, daß der Prozess vertagt wird, was die Verteidigung für eine Strategie hält, um das öffentliche Interesse an dem Fall zu erschöpfen.

Einige MenschenrechtsaktivistInnen und Organisationen in der Region haben den Verdacht, daß der Bombenanschlag ein geplanter Versuch war, oppositio­nelle Politik in Kroatien zu unterdrücken. Sie verweisen auf andere Irregula­ritäten während des Verfahrens:

*     Einige Tage vor dem Anschlag sagte Präsident Tudjman öffentlich, daß regionale politische Parteien Feinde Kroatiens seien.

*     Gilic ist psychisch krank, und zumin­dest ein professionelles Gutachten hält ihn für unfähig, verlässliche Zeu­genaussagen zu machen. (Er wurde trotzdem als Zeuge zugelassen, weil das Gutachten sagte, es wäre zwar zu jedem gegebenen Augenblick mög­lich, daß er nicht fähig zur Aussage sei, es aber nicht möglich sei zu ent­scheiden, wann dieser Augenblick eintrete.)

*     Gilic wurde wegen Taschendiebstahls genau zu dem Zeitpunkt des An­schlags festgenommen. (Ein Vor­wurf, der später fallengelassen wurde, als der Besitzer seine Briefta­sche wiederfand.) Daher befand er sich in der Polizeistation und wurde direkt über den Anschlag befragt. Obwohl unzählige Bombenexplosio­nen letztes Jahr in Split vorgekom­men sind, ist dies der einzige Fall, wo die Untersuchungen zu irgendwel­chen Ergebnissen führte. Nicht zu erwähnen, daß die Festnahmen am gleichen Tag wie der Anschlag ge­schahen.

*     Mira Ljubic-Lorger, Präsidentin der Dalmatinischen Aktion und Gattin eines der Angeklagten, hält es nicht für Zufall, daß sie und ihre zwei Kin­der mit Gewalt aus ihrer Wohnung vertrieben wurden, während ihr Gatte im Gefängnis saß. Selbst wenn die Wohnungsräumung legal gewesen wäre (was sie nicht war), hätte sie als Mitglied des Parlaments Immunität besessen. Es sollte angemerkt wer­den, daß seit Anfang 1993 über 230 Personen in Split durch Militärperso­nal aus ihren Wohnungen vertrieben wurden, hauptsächlich, aber nicht ausschließlich, aus Appartments, die Menschen nicht-kroatischer Nationa­lität gehörten oder Eigentum der Ju­goslawischen Volksarmee gewesen waren.

*     Keine neutralen BeobachterInnen, nicht einmal Familienmitglieder, durften bei den Hausdurchsuchungen anwesend sein, bei denen laut An­klage Waffen gefunden wurden.

*     Die Gerichtsprotokolle behaupten, daß Ben Dzarak fähig war, bei einer Gegenüberstellung die angeblichen Verschwörer zu identifizieren. Einige der Angeklagten sagen, daß er dies nicht tat und die Protokolle falsch sind. Rechtsbeistand war bei den Ge­genüberstellungen keiner zugelassen.

*     Verschiedene kleinere Ereignisse le­gen zusammengenommen nahe, daß die Behörden den Prozess nicht ernst nehmen. Zum Beispiel haben die Richter sich nicht zur Beratung, wie es üblich wäre, in einen Nachbarraum zurückgezogen, um über die Zulas­sung bestimmten Beweismaterials zu beraten. Auch wurden aufgrund des großen öffentlichen Aufsehens, den der Fall in Kroatien erregt hat, die Angeklagten inzwischen aus der Un­tersuchungshaft entlassen, obwohl die Anklagen nicht fallengelassen worden sind.

Split war der Schauplatz verschiedener Menschenrechtsverletzungen in den vergangenen Jahren. Seine Lage nahe der Front nicht nur zu den besetzten Ge­bieten in Kroatien, sondern auch zu dem Krieg in Bosnien-Herzegowina bedeu­tet, daß es eine ungewöhnliche Zahl von rückkehrenden Soldaten sowie Flücht­linge und Vertriebene aufnehmen muß. Wirtschaftliche Schwierigkeiten auf­grund des Ausbleibens von TouristInnen hat schon bestehende Spannungen ver­schärft. Individuen und Organisationen, die Menschenrechtsarbeit machen, fürchten sehr um ihre eigene Sicherheit. Die Umstände um den Prozess gegen die Dalmatinische Aktion könnten sympto­matisch für eine allgemeinere Missachtung für Recht und Gesetz in Split und der Republik Kroatien sein.

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