Außenpolitik

Prävention als (vernachlässigte?) Aufgabe von Außenpolitik

von Elise Kopper

Dass Prävention, insbesondere die zivile Krisenprävention (ZKP), keinen Spitzenplatz auf der Agenda der deutschen Außenpolitik innehat, ist mittlerweile eine Binsenweisheit. Dass sie im Vergleich zum Militärhaushalt mit viel zu geringen Mitteln ausgestattet ist, ebenfalls. Viel ist über die Gründe geschrieben worden: Zivile Krisenprävention sei zu wenig medientauglich, zu kompliziert und deshalb zu schwer vermittelbar, ihre Erfolge seien kaum nachweisbar und die Tagespolitik mit ihren akuten Krisen sei sowieso viel zu dominant. Dies mag alles zutreffen. Und doch hat sich die ZKP in den letzten 20 Jahren einen festen, kleinen Platz in der deutschen Außenpolitik gesichert. Gerade in den letzten Monaten erfährt sie neue Aufmerksamkeit im Auswärtigen Amt – und bekommt nun auch von unerwarteter Seite Unterstützung.

Die zivile Krisen- oder Konfliktprävention kam in den 1990er Jahren erstmals prominent auf die bundespolitische Tagesordnung und wurde 1998 als außenpolitisches Ziel und Instrumentarium in den rot-grünen Koalitionsvertrag aufgenommen. Seitdem hat sich mit dem Aktionsplan „Zivile Krisenprävention, Konfliktlösung und Friedenskonsolidierung“, dem Zentrum für Internationale Friedenseinsätze (ZIF), dem Ressortkreis Zivile Krisenprävention, dem Beirat Zivile Krisenprävention, dem Unterausschuss Zivile Krisenprävention, Konfliktbearbeitung und vernetztes Handeln, der dem Auswärtigen Ausschuss untergeordnet ist, sowie mit dem Forum Ziviler Friedensdienst, der Plattform Zivile Konfliktbearbeitung oder der Arbeitsgemeinschaft Frieden und Entwicklung (FriEnt) sowohl auf staatlicher als auch auf zivilgesellschaftlicher Seite eine beeindruckende Landschaft auf dem noch jungen Politikfeld entwickelt. Trotzdem, so die Klage vieler BeobachterInnen der Szene, sei die ZKP weiterhin ein Nischenthema der Außenpolitik, noch immer werde viel zu spät auf Krisen reagiert und eine kriegerische Eskalation von Konflikten damit zu selten verhindert. Die knappen Ressourcen des Auswärtigen Amtes würden viel zu sehr durch das tagespolitische Geschehen in Beschlag genommen und nicht in eine weitsichtige, vorausschauende Politik investiert.

 

Die neue Abteilung „S“ im Auswärtigen Amt

Auf diese Kritik hat nun das Auswärtige Amt (AA) reagiert. Als Folge des partizipativen Projektes „Review 2014 - Außenpolitik Weiter Denken“ (1) wurde Anfang 2015 eine gänzlich neue Abteilung im AA geschaffen. Sie soll die bisher breit im Ministerium gestreuten Kompetenzen in den Bereichen Krisenfrüherkennung, Prävention und Krisenmanagement bündeln. Selbst einige Mainstream-Medien wie die Online-Ausgaben der Frankfurter Allgemeinen Zeitung, der Zeit und der Süddeutschen Zeitung berichteten über diese Umstrukturierung - eine Aufmerksamkeit, die dem Politikfeld Krisenprävention sonst nur äußerst selten zuteilwird. Diese neue Abteilung „S“ für Krisenprävention, Stabilisierung und Konfliktnachsorge ist neben den im Namen aufgeführten Themenfeldern auch für die humanitäre Hilfe zuständig und soll gerade bei der Zusammenführung der in Deutschland vorhandenen Expertise im Bereich der Frühwarnung eine größere Rolle spielen. (2) Und auch wenn die Abteilung in den letzten knapp zwölf Monaten seit ihrer Gründung zunächst einmal viel mit sich selbst und dem eigenen Aufbau beschäftigt war, so setzt sie gerade auf dem Gebiet der Vernetzung mit der Zivilgesellschaft schon jetzt erste eigene Akzente. Im gleichen Zuge soll auch die interministerielle Zusammenarbeit weiter intensiviert und verbessert werden: Die neu geschaffene, ressortübergreifende so genannte „Steuerungsgruppe“ soll den Schritt von einer „konsularischen“ zu einer „politischen“ Betrachtung von Krisen gehen und analysieren, welches Ministerium welche konkreten Beiträge zur Entschärfung einer drohenden oder akuten Krise leisten kann. Das Gremium soll nach Möglichkeit auf Abteilungsleiterebene tagen und den bereits etablierten Ressortkreis ZKP nicht ersetzen, sondern ergänzen.

 

Krisenprävention auch im neuen Weißbuch?

Auch im neuen Weißbuch zur Sicherheitspolitik, das maßgeblich vom Bundesverteidigungsministerium geschrieben und redigiert wird und im Sommer 2016 erscheinen soll, will das AA Akzente in Richtung Krisenprävention setzen. Das Weißbuch ist traditionell zweigeteilt, in einen „politischen“ und einen „militärischen“ Teil. Insbesondere bei der Formulierung des ersten Teils hat das Außenministerium ein gewichtiges Wörtchen mitzureden. So ist es durchaus möglich, dass sich die neue, vorsichtige Priorisierung der Krisenprävention in der Außenpolitik auch im Weißbuch widerspiegeln wird. Dies umso mehr, als dass sich an den Weißbuch-Prozess ein weiterer Prozess anschließen soll, der federführend im AA stattfinden und ein „Leitbild Zivile Krisenprävention“ zum Ziel haben soll. Was genau dieses Leitbild-Dokument am Ende sein wird – vielleicht gar die von vielen Seiten seit langem geforderte, ressortübergreifend verbindliche, nationale Friedens- und Sicherheitsstrategie? –, das scheint zur Zeit noch offen zu sein. Wohl ist aber bereits jetzt geplant, dass das Leitbild ZKP an die Inhalte des Weißbuchs anknüpfen soll, dass im Umkehrschluss also der politische Teil des Weißbuchs schon so formuliert werden muss, dass er dem später entstehenden Leitbild ZKP – für das die verantwortlichen Menschen im AA mit hoher Wahrscheinlichkeit bereits ein paar Gedanken im Hinterkopf haben – nicht widerspricht. Der Leitbild-Prozess soll nach Veröffentlichung des Weißbuchs noch im Jahr 2016 mit einer Outreach-Phase starten, an deren Konzeption auch der zivilgesellschaftliche Beirat ZKP beteiligt werden soll. Bis zum Ende der Legislaturperiode im Sommer 2017 soll das Dokument fertig sein.

Man merkt: Es ist einiges im Umbruch in der deutschen Außenpolitik und im Auswärtigen Amt. Und es sind einige Ansätze auszumachen, die Anlass zur Hoffnung geben, dass Krisenfrüherkennung und Krisenprävention in den kommenden Jahren zumindest eine etwas größere Rolle spielen könnten als bisher. Sogar ein ressortübergreifendes „Lageanalysezentrum“ im Bundeskanzleramt, in dem Ministerien, Politik, Wirtschaft und Wissenschaft, Zivilgesellschaft, Kirchen und weitere relevante AkteurInnen gleichberechtigt zusammen an einem Tisch sitzen und über Handlungsmöglichkeiten bei schwelenden und akuten Krisen beraten sollen, ist im Gespräch.

 

Krisenprävention und Fluchtbewegungen

Möglicherweise öffnet sich gerade ein „window of opportunity“, ein Fenster der Gelegenheit, um die zivile Krisenprävention wieder prominenter auf der politischen Tagesordnung zu platzieren. Denn mit den zahlreichen Geflüchteten, die gerade im vergangenen Jahr die europäischen Grenzen überschritten haben, stehen die Folgen nicht verhinderter gewaltsamer Konflikte buchstäblich direkt vor unserer Tür und begehren – völlig zurecht! – Einlass. Dieser Zusammenhang zwischen nicht erfolgter Prävention und Fluchtbewegungen wird nun auch Personenkreisen bewusst, die sich bisher – um es vorsichtig auszudrücken – eher weniger für die ZKP interessiert haben. Als Indiz dafür genügt ein Blick in den Bundeshaushalt 2016. Dort wurden die Mittel im Haushaltstitel des AA für Krisenprävention, Friedenserhaltung und Konfliktbewältigung, die in den letzten Jahren konstant bei 95 Mio. Euro lagen, kurzfristig und selbst für viele Insider durchaus überraschend auf immerhin 248,5 Mio. Euro deutlich erhöht.(3) Diese Gelder sollen laut CDU/CSU-Bundestagsfraktion explizit für die Bekämpfung von Fluchtursachen und die Stabilisierung von Nachbarländern von Krisenstaaten genutzt werden, um dadurch wiederum die Kommunen hier vor Ort zu entlasten. (4) Also mehr Krisenprävention, damit nicht noch mehr Geflüchtete herkommen und uns hier vor Ort Kosten und Probleme bereiten? So zynisch es klingen mag – dieses Argument ist eines, das „zieht“. Ökonomische Gründe wurden schon immer als ein Argument für die Förderung von ZKP angeführt. Und dies ist angesichts begrenzter staatlicher Ressourcen auch durchaus legitim, solange es eben nur EINS von vielen Argumenten bleibt und die humanitären, ethischen und politischen Argumente nicht überdeckt. Die Friedensszene sollte die neuen Entwicklungen im Auswärtigen Amt genau beobachten und das Fenster der Gelegenheit nutzen, solange es geöffnet ist, um ihre eigenen Argumente für die ZKP zu platzieren. Der bald beginnende Leitbild-Prozess könnte dafür eine gute Gelegenheit sein.

 

Anmerkungen

1 Das Projekt wird ausführlich beschrieben im Abschlussbericht „Review 2014 - Krise. Ordnung. Europa“, der über das Auswärtige Amt zu beziehen ist. Alle Infos auch online unter: http://www.aussenpolitik-weiter-denken.de/de/themen.html (alle Websites zuletzt abgerufen am 17.01.2016).

2 Die folgenden Ausführungen zum Weißbuch-Prozess, zum Leitbild-Prozess und zu den Entwicklungen im Auswärtigen Amt basieren zum großen Teil auf Erkenntnissen aus Vorträgen und Gesprächen, die im Rahmen der Tagung „Friedens- und Außenpolitik im neuen Weißbuch“ vom 16. bis 18. November 2015 in der Evangelischen Akademie Loccum stattgefunden haben.

3 Ausführlich zu den Mitteln für die ZKP im Bundeshaushalt vgl. die Stellungnahme „Friedensförderung, Konflikttransformation und Krisenprävention: Politische Leitbilder des Bundeshaushaltes?“ des SprecherInnenrats der Plattform Zivile Konfliktbearbeitung, online unter: http://konfliktbearbeitung.net/sites/default/files/stellungnahme_pzk_zum_bundeshaushalt_2016_korr.pdf.

4 Vgl. Homepage der CDU/CSU-Bundestagsfraktion, Thema des Tages am 07.09.2015, „Kommunen bei Flüchtlingsarbeit entlasten“, online unter: https://www.cducsu.de/themen/europa-aussenpolitik-und-verteidigung/kommunen-bei-fluechtlingsarbeit-entlasten .

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Mitglied des Vorstands im Bund für Soziale Verteidigung e.V., Geschäftsführerin beim Frauennetzwerk für Frieden e.V. und Referentin für Bildungs- und Öffentlichkeitsarbeit bei erlassjahr.de - Entwicklung braucht Entschuldung e.V.