Praktische Friedenspolitik durch zivile Intervention im Alltag

von Andreas Speck
Schwerpunkt
Schwerpunkt

Zivile Intervention im Alltag als eine Form der Friedenspolitik, der Begriff ist so weit gefaßt, daß er eigentlich schon gar nicht mehr faßbar ist. Darunter fallen individuelle Handlungen, die unter dem Stichwort "Zivilcourage" zusammengefaßt werden - also z.B. individuelles und beherztes Eingreifen bei rassistischen oder sexistischen Übergriffen, z.B. im Bus oder in der U-Bahn -, auf der anderen Seite aber auch im lokalen Alltag eingebettete Aktionen von handelnden Gruppen wie z.B. die Unterstützung von Flüchtlingen, der Aufbau von Netzwerken zur Unterstützung von Illegalisierten, aber auch demonstrative Aktionen wie z.B. tägliche oder wöchentliche Mahnwachen, Boykottaktionen, "giroblau", das Einkaufen mit Wertgutscheinen für Flüchtlinge etc. ...

Auch der Begriff der Friedenspolitik ist zunächst einmal unklar, und er bleibt dies in meinen Augen gerade auch im vorgelegten Entwurf des Manifestes. Friedenspolitik erfordert aus meiner Sicht eine Politik, die sich aktiv gegen existierende oder enstehende Herrschaftsstrukturen wendet, denn diese beruhen letztendlich immer auf Gewalt. Einer Gewalt, die häufig - gerade hierzulande - hinter den anonymen staatlichen Strukturen verschwindet, als strukturelle Gewalt also nicht mehr sichtbar wird. Letztendlich richtet sich aus meiner Sicht daher Friedenspolitik nicht nur gegen das Militär als Institution und gegen militärische Konfliktlösung, sondern gegen den dahinter stehenden Gedanken der Staatlichkeit. Friedenspolitik muß also aktiv gegen den Staat erkämpft werden, und dabei geht es nicht nur um die Frage des Mittels - zivil oder militärisch - bei ansonsten vorhandener Zielübereinstimmung mit der staatlichen Politik, sondern ich behaupte das Frieden und staatliche Politik unvereinbare Ziele sind. Ich will das hier nicht vertiefen, doch ergibt sich daraus als Schlußfolgerung, daß ein Aspekt von Friedenspolitik immer der Konflikt mit dem (eigenen) Staat ist, ein Konflikt, der nicht befriedet, sondern sogar eskaliert werden muß.

Ich schicke das vorweg, da diese Herangehensweise Auswirkungen auf meine Betrachtung ziviler Interventionen im Alltag hat. Ich will diese grob in vier Gruppen einteilen:

Zivilcourage dient im wesentlichen dem Eingreifen in Konflikten zwischen Menschen oder kleineren Menschengruppen: rassistische Übergriffe von Einzelnen oder kleinen Gruppen, sexistischer Anmache, Ausgrenzung und Beleidigung von Menschen, meist im öffentlichen Raum. Zivilcourage dient im wesentlichen der Befriedung innergesellschaftlicher Konflikte, sie ist aber auch ein Übungsfeld für eine zukünftige gewaltärmere Gesellschaft. Zivilcourage ist jedoch nur begrenzt wirksam, wenn es um den Konflikt zwischen Gesellschaft und Staat um die Institution Militär oder um staatlichen Rassismus geht, das Mittel des Krieges und der Ausgrenzung also. Dabei will ich allerdings nicht abstreiten, daß Zivilcourage häufig eine Voraussetzung für gesellschaftliches Engagement darstellt. die zweite Gruppe sind für mich alltägliche lokale Aktionen, die im wesentlichen der Bewußtseinbildung, der Aufklärung der Bevölkerung dienen. Hierunter fallen für mich z.B. regelmäßige Mahnwachen oder Infostände, das Verteilen von Flugblättern, Unterschriftensammlungen, etc...

Die dritte Gruppe ziviler Interventionen möchte ich die konkrete Unterstützung für Ausgegrenzte nennen. Das sind also im wesentlichen die Unterstützung von Flüchtlingen, von Obdachlosen, von Opfern gewaltförmiger Strukturen wie Rassismus, Sexismus und Heterosexismus. Die Einrichtung und Unterhaltung von Frauenhäusern oder von Notrufen für überfallene Schwule und Lesben ist für mich durchaus eine zivile Intervention im Alltag, eine zivile Intervention gegen sexistische und heterosexistische Gewalt, genauso wie es das Verstecken illegalisierter Flüchtlinge oder von Deserteuren ist.

Die vierte Gruppen sind alltägliche Aktionen, die der Eskalation des Konfliktes mit dem Staat um die Institution Militär dienen. Hierzu zählen z.B. der Kriegssteuerboykott, Kriegsdienstverweigerung vor allem als totale KDV, aber auch die Verweigerung der alltäglichen Einplanung vor allem bestimmter Berufsgruppen, z.B. im Gesundheitsbereich oder andere Aktionen eines vielleicht alltäglichen Zivilen Ungehorsams.

Praktische Friedenspolitik durch zivile Intervention im Alltag kann nicht losgelöst gesehen werden vom Kontext der sozialen Bewegung - also der Friedensbewegung im weitesten Sinne - in dem sie praktiziert wird. Das gilt vor allem für die Relevanz, die wir den kleinen alltäglichen Aktionen zumessen können. Ich will dies an einigen Beispielen erläutern:

1. out-of-area-Einsätze der Bundeswehr

Es scheint mir ziemlich deutlich, daß die Friedensbewegung der zunehmenden Militarisierung der deutschen Außenpolitik, die seit Ende der 80er Jahre zu den jetzigen out-of-area-Einsätzen der Bundeswehr geführt hat, ziemlich orientierungslos gegenüberstand und steht. Die Friedensbewegung - wenn mensch denn überhaupt noch von einer solchen sprechen will - hat sich seit Mitte der 80er Jahre massiv gewandelt, sie ist von großen konfrontativen Aktionen gegen die NATO-Nachrüstung zu den häufig propagierten kleinen Aktionen im Alltag übergegangen. Ich will hier nicht näher nach den Ursachen fragen, diese sind mit Sicherheit vielschichtig, doch die Konsequenzen sind eben nicht nur positiv, und hierin zeigen sich die Grenzen der zivilen Intervention im Alltag.

Die Bundeswehr hat seit Ende der 80er Jahre in einer geschickten Salamitaktik ihren Aktionsradius zielstrebig in Richtung out-of-area ausgeweitet. Stichworte hierfür sind: der BGS in Kambodscha, Bundeswehr in Somalia und aktuell in Kroatien/Bosnien. Hiergegen wurde von der Friedensbewegung zwar argumentiert und als Alternative die zivile Konfliktbearbeitung propagiert, und diese Alternative auch in zahlreichen Veranstaltungen auf lokaler Ebene vorgestellt, doch es ging dabei etwas unter: die Eskalation des Konfliktes mit dem deutschen Staat über die Bundeswehr. Erst über die Eskalation dieses Konfliktes hätte eine Basis geschaffen werden können, die den kleinen lokalen Aktionen eine politische Wirksamkeit verliehen hätte, ein hoch eskalierter Konflikt mit dem eigenen Staat wäre sozusagen der Resonanzboden für die zivilen Interventionen im Alltag, für Unterschriftensammlungen, Postkartenaktionen, Diskussionsrunden, Kriegsdienstverweigerung, etc... gewesen. Ohne diesen Konflikt bestand jedoch auch wenig Bereitschaft, zum einen selbst zivil im Alltag gegen out-of-area zu intervenieren, zum anderen fehlte die öffentliche Aufmerksamkeit für die stattgefundenen kleinen Interventionen. Und noch etwas ganz wichtiges: ohne die Eskalation des Konfliktes mit dem deutschen Staat entstand in der Öffentlichkeit der Eindruck, es ginge bei der gesamten Diskussion nicht um fundamentale Interessengegensätze, sondern lediglich um einen Streit über das richtige Mittel zur Erreichung des im wesentlichen gemeinsamen Zieles. Diese "Fachdiskussion" erschwerte ein Engagement der BürgerInnen.

2. Der Krieg in Ex-Jugoslawien

Wohl kaum ein Krieg führte seit dem Ende des Zweiten Weltkrieges zu so zahlreichen Aktivitäten von Seiten der Friedensbewegung und der breiten Bevölkerung wie der Krieg im ehemaligen Jugoslawien. Fast alle Aspekte der zivilen Intervention im Alltag wurden hier massenhaft ausgeführt. Es gab zahlreich Aufklärungsarbeit, es gab vor allem direkte Unterstützung, sei es nun die Organisation humanitärer Hilfe für die vom Krieg Betroffenen in den Nachfolgestaaten Jugoslawiens, sei es die Unterstützung von Flüchtlingen hier: ich erinnere hier an die Aktion "Den Winter überleben", die Aufnahme von BürgerInnenkriegsflüchtlingen in zahlreichen Orten auf Initiative von Gruppen der Friedensbewegung. Dennoch, was gleichwohl fehlte, waren und sind die Aktionen gegen die aggressive Interessenpolitik der Bundesregierung und der NATO. Von Anfang an hat die Friedensbewegung letztendlich vor der Frage der militärischen Intervention kapituliert - ich behaupte das trotz der zahlreichen Presseerklärungen von zahlreichen Friedensorganisationen - und sich auf die mehr oder weniger humanitäre Arbeit verlegt. Ich will diese Arbeit nicht kleinmachen - diese alltägliche Arbeit war und ist wichtig - trotzdem fehlte die Eskalation des Konfliktes mit der Interventionspolitik der Bundeswehr. Der konstruktiven und lokalen Politik der Friedensbewegung fehlte die öffentliche Konfrontation, die erst den Resonanzboden für diese Politik gebildet hätte.

Die Friedensbewegung ist zu friedlich!

Ich möchte abschließend meine Bewertung auf einen Punkt zuspitzen: die Friedensbewegung ist derzeit zu friedlich, um politisch relevant zu werden. Dies klingt zunächst einmal nach Provokation, und eine solche soll es auch sein. Doch ich meine damit nicht, daß die Friedensbewegung nun die Gewaltfreiheit hinter sich lassen und mit gewaltförmigen Mitteln agieren sollte - dies führt mit Sicherheit nicht weiter und kann nur kontraproduktiv sein - ich meine damit etwas anderes: die Friedensbewegung richtet ihr Augenmerk viel zu sehr darauf, Konflikte zu entschärfen, zu befrieden. Dies mag für bestimmte Konflikte sinnvoll sein, doch der wesentliche Konflikt, um den es bei Friedenspolitik geht, der Konflikt um die Existenz von Militär und staatlich-gewaltförmigen Strukturen, dieser Konflikt darf gerade nicht befriedet werden, dieser Konflikt muß von der Bewegung massiv eskaliert werden - und dies gerade im Alltag!

Das Beispiel: Kriegssteuerverweigerung

Die Steuerverweigerungskampagne - wenn man denn von einer solchen in der BRD reden kann - stellt zunächst von ihrem Charakter her durchaus eine konfrontative Aktion dar. Gleichwohl erlebe ich sie nicht als solche, da sie im wesentlichen juristisch auf der Ebene der Gewissensfreiheit geführt wird. Dabei ist ein "Kriegssteuerverweigerungsrecht" schlicht - und ich formuliere hier bewußt scharf - mindestens naiv. Die entscheidende Frage ist nicht, ob der Staat die Steuern eines/r Einzelnen für militärische Zwecke verwenden darf, sondern die Existenz des Militärs an sich. Genauso wie das Recht auf Kriegsdienstverweigerung nicht die Existenz und Legitimation der Wehrpflicht in Frage stellt, sondern lediglich ein individuelles Ausnahmerecht darstellt, genauso zweifelt eine so verstandene Steuerverweigerung nicht grundsätzlich die Legitimation militärischer Ausgaben an.Als radikal verstandener Ziviler Ungehorsam, dem es nicht um seine juristische Anerkennung sondern um die Verneinung der Legitimation des Militärs an sich geht, kann die Kriegssteuerverweigerung politisch relevant werden. Ein Beispiel dafür stellt meines Erachtens die Steuerverweigerungskampagne im spanischen Staat dar. Hier wird die individuelle Steuerverweigerung zu einer individuellen zivilen Intervention gegen staatliche Rüstungspolitik, eingebunden in eine kollektive Kampagne. Hier entfaltet diese zivile Intervention ihre ganze Stärke, ist sie doch gleichzeitig gekoppelt mit der konkreten Unterstützung antimilitaristischer Projekte aus den verweigerten Steuerbeträgen.

Schluß

Zivile Interventionen im Alltag, und zwar in allen vier eingangs genannten Formen, sind ein notwendiger Bestandteil von Friedenspolitik, aber sie allein sind nicht hinreichend. Erst in Kombination mit überregionalen demonstrativen und konfrontativen Aktionen - seien es die Blockadeaktionen der Friedensbewegung der 80er Jahre, seien es die aktuell hoffentlich stattfindenden Störungen der öffentlichen Rekrutengelöbnisse in Berlin, Mainz, Guben/Gubin und wo es noch Not tut, entfalten zivile Interventionen im Alltag ihre Wirksamkeit, gleichzeitig sind sie oft Voraussetzung für größere konfrontative Aktionen. Was wären Entzäunungsaktionen an Abschiebeknästen ohne Aktionen der Zivilcourage gegegen die viel zu alltäglichen rassistischen Übergriffe? Was wären Störaktionen gegen Rekrutengelöbnisse ohne die zum Glück schon fast alltägliche Kriegsdienstverweigerung und die leider noch nicht alltägliche totale Kriegsdienstverweigerung? Was wären Pflugscharaktionen ohne die zahlreichen regelmäßigen Infostände, Mahnwachen und Flugblattverteilungen? Genauso wie ziemlich deutlich sein dürfte, daß diese radikaleren Aktionen ohne alltägliche zivile Interventionen verpuffen würden, genauso wichtig ist aber auch, daß ohne diese radikalen Aktionen auch die zivilen Interventionen an den gewaltförmigen Strukturen des Staates wenig verändern. Im Zusammenwirken liegt die Stärke, die es uns hoffentlich ermöglicht, irgendwann Staat und Militär abzuschaffen!

Kontakt: Patchwork, Kaiserstraße 24, 26122 Oldenburg, Tel.: 0441/17111, Fax: 0441/2489661, email: Patchwork @oln.comlink.apc.org

Ausgabe

Rubrik

Schwerpunkt
Andreas Speck war Pressesprecher von Action AWE während des Burghfield Disarmament Camp. Seit Mitte September lebt er in Sevilla und engagiert sich im Red Antimilitarista y Noviolenta de Andalucia (RANA). mail@andreasspeck.info, http://andreasspeck.info