Professionalisierung der Friedensbewegung?

von Harald Fuchs

Professionelle FriedensarbeiterInnen (Profis) wird es geben, solange friedens­bewegte Menschen (Laien) Rundbriefe abbonnieren, Mitgliedsbeiträge bezahlen oder regelmäßig Geld für Friedensarbeit spenden und solange Großorganisatio­nen (Parteien, Gewerkschaften, Kirchen) oder staatliche und halbstaatliche Stellen (Kommunen, Forschungseinrichtungen, Bildungsinstitutionen) das Thema "Frieden" für wichtig genug halten, MitarbeiterInnen für diesen Bereich abzustellen - unabhängig davon, ob wir uns diese Professionalisierung wünschen oder nicht.

Professionalisierung ist wünschens­wert, wenn sie dazu dient, eigenstän­dige Informations- und Kommunikati­onsstrukturen zu schaffen bzw. aufrechtzuerhalten, die "Freizeitaktivi­stInnen" von dröger Organisationsar­beit zu entlasten, Medien-, Bildungs- und Lobbyarbeit für Abrüstung und Gewaltfreiheit auszuweiten und quali­tativ zu verbessern sowie für kontinu­ierliche Friedensarbeit zu sorgen.

Professionelle und Nicht-Professio­nelle FriedensarbeiterInnen müssen sich aber über die folgenden Pro­blemfelder im klaren sein, die mit der Professionalisierung von Friedensar­beit verbunden sind:

Profis werden teilweise für Arbeiten bezahlt, die Laien unbezahlt in ihrer Freizeit tun. Dies kann zu Konflik­ten und zur Demotivierung der Laien füh­ren.

Umso mehr Friedensarbeit von Profis erledigt wird, umso geringer ist u. U. die sichtbare Notwendigkeit für Laien, Friedensarbeit zu tun. Umso weniger Friedensarbeit von Laien getan wird, umso geringer ist die Identifizierung der Laien mit der Friedensbewegung und umso größer ist die Gefahr, daß aus einer breiten Massenbewegung ein ver­knöcherter Apparat von bezahlten Hauptamtlichen wird.

Aufgrund ihres Informationsvor­sprungs und des größeren Zeitkon­tingents der Profis für Friedensar­beit entstehen folgende Gefahren:

  • Die Profis überschütten die Laien mit Informationen und Aktionsvorschlägen und ersticken eigenen Ge­danken und Initiativen der Laien;
  • die Profis haben immer die "besse­ren" Argumente und setzen letztlich ihre Vorstellungen durch, demoti­vieren zugleich die Laien, überhaupt noch ihre weniger informierten und durchdachten Meinungen zu äußern, womit die Bewegung insge­samt tendenziell vom Alltagsbe­wußtsein soweit abhebt, daß sie ihre Informationen nicht mehr "trans­portieren" kann;
  • die Profis kennen die Strukturen und haben mehr Zeit, Beziehungen aufzubauen und können so selbst bei schlechter Argumentation ihre Planungen tendenziell gegenüber Vor­stellungen von Laien durchset­zen, die nicht die Kenntnis und Zeit (und auch nicht die Lust) haben, den Hintern in den entsprechenden Ent­scheidungsgremien platt zu sit­zen oder tausend Leute anzurufen und von der Planung zu überzeugen.

Die Tätigkeiten der Profis sind für die Laien selbst bei demokratischen Strukturen sehr schwer zu überblic­ken und zu kontrollieren (selbst wenn ausführliche Tätigkeits- und Rechen­schaftsberichte erstellt wer­den - wer hat schon die Zeit, die auch noch le­sen?), daraus entstehen einerseits un­kontrollierte Machtpo­sitionen, ande­rerseits tendenzielle Unzufriedenheit der Laien mit der Arbeit der Profis, bei der zu wenig herauskommt, und Unzufriedenheit der Profis, die sich mit einer Masse unerfüllbarer und wi­dersprüchlicher Erwartungen der Laien konfrontiert sehen.

Neben der Konfliktebene Profis-Laien entsteht mit der Professionalisierung das Problem der Konflikte zwischen verschiedenen Profis, die dazu neigen, die Laien für ihre Konflikte mit ande­ren Profis zu in­strumentalisieren. Zugleich entsteht bei den Laien die Tendenz, sich von den oft schwer zu durchschauenden Konflikten zwischen den Profis und damit von den organi­satorischen Strukturen der Friedens­bewegung insgesamt frustriert abzu­wenden mit dem Gefühl, am liebsten mit diesem ganzen "zerstrittenen Hau­fen" nichts mehr zu tun haben zu wol­len.

Die Kunst professioneller Friedensar­beit wird also vor allem darin beste­hen:

  • Konflikte mit anderen Profis so auf den Punkt zu bringen, daß sie für Laien durchschaubar und nachvoll­ziehbar bleiben;
  • der Versuchung zu widerstehen, sich in der professionellen Arbeit so zu verlieren, daß der Kontakt zur "Basis" nichtprofessioneller Aktivi­sten verlorengeht;
  • der Versuchung zu widerstehen, die Laien mit Informationen und Vor­schlägen so "zuzudecken", daß Ei­geninitiativen erstickt werden. Pro­fis sollten mehr zuhören und lesen und weniger (und dafür substantieller) reden und schreiben.

Nichtprofessionelle Friedensarbeiter werden sich stärker darauf einstellen müssen, daß ein wichtiger Teil der Friedensarbeit in der Kontrolle von und im Austragen von Konflikten mit professionellen Friedensarbeitern be­steht. Dabei ist aber wesentlich, die zur Verfügung stehende Zeit nicht von der Beschäftigung mit den Aktivitäten und Konflikten der Friedensprofis zu­schütten zu lassen, so daß für die Friedensarbeit im eigenen privaten, beruf­lichen und Wohnumfeld kein Platz mehr bleibt.

Die durch professionelle Friedensar­beit freigesetzte politische Energie ist nicht ohne den Preis von in die Kon­trolle der Profis und in die mit der Professionalisierung gegebenen Kon­fliktebenen gebundene politische En­ergie zu haben.

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Hintergrund
Harald Fuchs ist Psychologe und war mehrere Jahre beim Friedensbildungswerk Köln tätig.