Dialog-Seminare zwischen Israelis und Palästinenser*innen

Projekt „Ferien vom Krieg. Dialoge über Grenzen hinweg“

von Komitee für Grundrechte und Demokratie

Das Projekt „Ferien vom Krieg. Dialoge über Grenzen hinweg“ des Grundrechtekomitees veranstaltet seit Jahren neben Begegnungsseminaren im ehemaligen Jugoslawien auch politische Dialog-Seminare mit jungen Erwachsenen aus Israel und Palästina. Zwei der Koordinator*innen des israelisch-palästinensischen Frauenseminars berichteten auf einer Vortragsreise durch Deutschland aus ihren jeweiligen Sichtweise, welche Beweggründe sie selbst zu dieser Funktion gebracht hat. Die Texte sind dem Berichtsheft des Projektes über die Aktivitäten in 2021 entnommen.

Rana K., die das Projekt auf palästinensischer Seite koordiniert, schildert ihren Weg so:
Ich komme ursprünglich aus „Galiäa“. Wie Sie wissen, hat die Geschichte einer jeden Nation Wendepunkte, die das jeweilige historische Narrativ prägen. Ein solcher Punkt in der palästinensischen Geschichte und auch in meiner persönlichen Lebensgeschichte ist die “Nakba“, ein arabischer Begriff, der Desaster oder Katastrophe bedeutet. Während der Nakba waren viele Palästinenser*innen gezwungen, zu fliehen oder wurden vertrieben. (…)

Als Kind und Heranwachsende hörte ich viele Geschichten von meiner Familie, aber immer nur in Bruchstücken, nie eine kohärente Geschichte dessen, was 1948 mit unserem Dorf geschah und warum ein Teil meiner Familie nicht mehr dort lebt. Die Geschichte, die mich am meisten beeinflusst hat, ist die Geschichte meiner Mutter. Als 1948 die Besatzung im historischen Palästina begann, gab es viel Angst wegen der Bedrohung. Auch meine Familie entschloss sich, Zuflucht im Libanon zu suchen. Sie nahmen mit, was sie tragen konnten und machten sich auf den Weg. Meine Großmutter trug meine Mutter, die damals 40 Tage alt war und meinen Onkel, der zwei Jahre alt war. Unterwegs merkte sie, dass es unmöglich war, beide Kinder auf einmal zu tragen und sie entschied sich schweren Herzens, meine Mutter am Straßenrand zurückzulassen. Doch nach wenigen Kilometern bereute sie diese Entscheidung zutiefst und kehrte um, um meine Mutter zu holen. Zum Glück fand sie sie dort, wo sie sie zurückgelassen hatte. Allerdings war klar, dass die Flucht mit beiden Kindern unmöglich war, und so blieb meine Familie in unserem Dorf. (…)

Als Kind konnte ich nicht verstehen, was passiert war und bekam keine Antworten. Also machte ich mich selbst auf die Suche nach Antworten. Ich las viel und entschied, im Herzen des Konflikts, in Jerusalem, zu studieren. Ich studierte Soziale Arbeit und begann, in den Bereichen zu arbeiten, die ich am meisten liebte: Menschenrechte und Frauen*rechte. Leider war es aufgrund der schlechten Bezahlung unmöglich, von dieser Arbeit zu leben, und so nutzte ich meine Mehrsprachigkeit und wurde Übersetzer*in für Arabisch-Hebräisch-Englisch. Ich übersetzte auch in binationalen Gruppen, um Menschen zu helfen, zu kommunizieren und in Verbindung zu treten. So kam ich auch zu „Ferien vom Krieg“, als Übersetzer*in. Ehrlich gesagt, kam ich mit sehr geringen Erwartungen. Ein wesentlicher Grund dafür war meine Erfahrung mit vorherigen Projekten, bei denen es im Dialog nicht um die Kernthemen des Konflikts ging. Teilweise fielen nicht einmal wichtige Begriffe wie Palästina oder Besatzung; sie sprachen nicht über Identität. Im Mittelpunkt stand, Freundschaften zu knüpfen, sonst nichts. Sie scheuten sich, zentrale Themen anzugehen. Ich bin aber überzeugt, dass eine dauerhafte und stabile Freundschaft auf Ehrlichkeit aufgebaut sein muss. Alle schwierigen und herausfordernden Themen müssen auf den Tisch kommen (…). Letzteres war bei „Ferien vom Krieg“ zu meiner Überraschung der Fall.

Im folgenden Jahr entschied ich mich, die Koordination zu übernehmen. Ich sehe unser Projekt als große Chance für palästinensische Frauen*, in eine persönliche Auseinandersetzung mit sich selbst zu kommen und gleichzeitig Teil eines Projekts zu sein, das für mich Widerstand ist.

Ich weiß, dass für einige nur bewaffneter Widerstand „echter“ Widerstand ist, aber ich glaube an Gewaltfreiheit. Und das tue ich nicht, weil ich naiv wäre oder weil ich nicht ‚palästinensisch genug‘ bin, sondern weil ich einfach keinen Nutzen in bewaffnetem Widerstand sehe. Gewalt hat immer zwei Seiten: Du wirst niemals anderen gegenüber gewalttätig sein können, ohne dass es sich auch auf dich selbst auswirkt. Ich bin überzeugt, dass Menschen im Dialog ihre Ansichten ändern können, sie können für ihre Rechte einstehen und gleichzeitig auch die andere Seite sehen. Wenn wir gerechten Frieden erreichen wollen, müssen wir die Kernthemen des Konflikts angehen (…).  

Die Erzählung der israelischen Koordinatorin Dina G.
(…) Ich habe das Projekt vor sieben Jahren als Teilnehmer*in kennengelernt. Vorher hatte ich wenig Ahnung vom politischen Narrativ Israels und Palästinas. Meine Familie emigrierte in den 1990ern, als ich noch ein Kleinkind war, aus der damaligen UdSSR. Sie kam allerdings nicht aus patriotischen oder zionistischen Motivationen hierher, sondern auf der Suche nach einem sicheren Ort für Jüdinnen und Juden. Als sie hierherkamen, war ihnen nicht klar, dass es einen Konflikt gibt und sie waren sehr unpolitisch. Wir schauten nie israelische Nachrichten, bis heute nimmt meine Mutter nicht an Wahlen teil. Vielleicht noch aus der Erfahrung der UdSSR heraus lag immer die Stimmung in der Luft, dass es besser ist, sich aus politischen Fragen herauszuhalten, unter dem Radar zu bleiben, damit sie “nicht kommen und dich holen„. Außerdem „kann man sowieso nichts verändern“.

Obwohl ich in Haifa, einer gemischten Stadt aufgewachsen bin, war das so; ich hörte die arabische Sprache, ich habe diese Menschen getroffen, aber ich war nicht sonderlich interessiert an ihnen, bis die zweite Intifada ausbrach und es unmöglich wurde, den Konflikt weiter zu ignorieren.  (…) [Doch] die Gewalt war wie eine Naturkatastrophe, die plötzlich über uns hereinbrach. Wir wussten nicht, woher sie kommt und wir konnten auch nichts gegen sie unternehmen. Wir versuchen, sie zu überleben, dann machen wir weiter und kehren zu unserem friedlichen Leben zurück.

In der Retrospektive scheint es mir eigenartig, dass wir nie verstanden haben, was eigentlich los war, aber wir haben auch seinerzeit nicht danach gefragt.

Nach meinem Schulabschluss arbeitete ich in einem Restaurant, wo ich einige palästinensische Freund*innen hatte. Mit der Zeit begannen meine anderen Freund*innen, irritiert zu reagieren und fragten, warum ich mit „denen„befreundet sei, mit Leuten, die im Grunde “unsere Feinde“ seien, das sei eigenartig. Ich fand das nicht eigenartig und fragte mich daraufhin zum ersten Mal ernsthaft, warum sie mir solche Fragen stellten und warum ich nicht diese Ablehnung gegenüber Menschen empfand, die scheinbar meine ‚Feinde‘ sein sollten.

Dann begann ich meinen Armeedienst – leider, aus meiner heutigen Sicht – und danach ging ich an die Uni. Dort sah ich einen Aushang für eine Dialoggruppe zwischen Israelis und Palästinenser*innen. In der Gruppe saß ich in einem Raum mit Studierenden, die auch sonst mit mir in Seminarräumen oder der Mensa saßen, mit denen ich aber nie irgendetwas ernsthaft diskutiert hatte. Das war das erste Mal, dass ich verstand, was ‚Palästinenser*in sein‘ eigentlich bedeutet, ich hörte aus erster Hand, was Palästinenser*innen zum Konflikt zu sagen haben, nicht gefiltert durch parteiische Medien oder Geschichtsbücher, die eine ganz bestimmte Version der Geschichte darstellen. Das hat mich erschüttert.

Dann sah ich die Ausschreibung für das Dialogseminar in Deutschland. Erst dort hörte ich den Begriff „Besatzung“. Dort habe ich erst verstanden, dass es Menschen gibt, die nur wenige Kilometer von mir entfernt leben und ihrer grundlegenden Menschenrechte, wie dem Recht auf Bewegungsfreiheit, beraubt sind. Und dass ich Teil davon bin, da dies durch meine Regierung verursacht wird, und es mir nicht einmal bewusst war. Ich genoss so viele Privilegien auf Kosten dieser Menschen (…). Mit 23 Jahren war der Konflikt zwar Teil meines Lebens gewesen, aber immer nur punktuell. Jetzt traf ich Menschen, die davon erzählten, wie der Konflikt vom Moment ihrer Geburt an ihr ganzes Leben bestimmt hat.

Für mich war das absolut wegweisend, ich war geschockt und unheimlich wütend. Wütend, weil mir klar wurde, dass dieses Leid etwas ist, das in meinem Namen als jüdische Israelin geschieht, mir aber nie die Chance gegeben wurde, mir eine eigene Meinung dazu zu bilden. Mir wurde klar, dass es vielen Menschen so geht wie mir. Sie haben kein Bewusstsein für die Situation. Sie schweigen nicht, weil sie mit der Situation einverstanden wären, sondern weil sie schlicht keine Ahnung haben. Und warum sollten sie auch Bescheid wissen, wenn es so einfach ist, ahnungslos zu bleiben. Ich blieb aktiv im Projekt, zuerst als Moderator*in. Ich hatte in der Zwischenzeit einige Erfahrung in einer anderen Organisation gesammelt, die ich aktuell koordiniere und die israelische und palästinensische Jugendliche innerhalb Israels zusammenbringt. Als ich selbst Dialoggruppen moderierte, sah ich, wie zwei kurze Wochen die Sichtweise von Personen komplett ändern können. Welche Wirkung zwei Wochen, in denen die Teilnehmenden die Chance haben, die politische Situation zu diskutieren und einander zu begegnen, haben können. Das ist es, was mich heute hierherbringt, diese Graswurzelarbeit, diese Art der politischen Bildung, von der ich überzeugt bin, dass sie den entscheidenden Unterschied macht und so viele Leben verändern.

Die Autor*innen dieses Beitrags, der von der Redaktion gekürzt wurde, möchten anonym bleiben.

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Friedensbewegung international