Erster Weltkrieg

Protestantische Friedenspfarrer und der Erste Weltkrieg

von Karlheinz Lipp

Viele protestantische Pfarrer und Theologen unterstützten hemmungslos das Militär und den Kriegskurs des imperialistischen Kaiserreichs. Viele, aber nicht alle. Die Deutsche Friedensgesellschaft (DFG), die 1892 von Bertha von Suttner und Alfred Hermann Fried in Berlin gegründet wurde, umfasste bis 1914 in 98 Ortsgruppen ca. 10.000 Menschen. Dass der regionale Schwerpunkt dieser Friedensorganisation in Württemberg lag, ist vor allem das große Verdienst des sehr aktiven Stuttgarter Pfarrers Otto Umfrid. Dieser Friedenspfarrer verfasste ca. 600 Publikationen, wirkte seit 1900 als Vizepräsident der DFG – und wurde für den Friedensnobelpreis 1914 vorgeschlagen.

Unter der Ägide von Umfrid kritisierten u. a. die Berliner Friedenspfarrer Hans Francke und Walther Nithack-Stahn im Frühjahr 1914 in einer Schrift die dreiste militaristische Propaganda des Deutschen Wehrvereins. Bereits ein Jahr zuvor, 1913, verfasste Nithack-Stahn, der seit 1910 zahlreiche Artikel und Schriften zur Friedensthematik veröffentlichte, einen Friedensaufruf „An die Geistlichen und theologischen Hochschullehrer der evangelischen deutschen Landeskirchen“, der deutlich die Aufrüstung und die daraus resultierende Kriegsgefahr kritisierte. Insgesamt schlossen sich ca. 400 evangelische Theologen dieser Friedensresolution an – allein in Preußen arbeiteten ca. 18.000 Pfarrer.

Seit 1908 wirkte der Friedenspfarrer Friedrich Siegmund-Schultze im Dienst der deutsch-britischen Verständigung. Von 1913 bis 1933 gab Siegmund-Schultze mit der Zeitschrift „Die Eiche“ ein wichtiges Organ der internationalen ökumenischen und pazifistischen Bewegung heraus. Es war vor allem das große Verdienst von Siegmund-Schultze und des britischen Quäkers Josef Allen Baker, dass Anfang August 1914 in Konstanz eine große internationale, kirchliche Friedenskonferenz stattfand, die durch den Beginn des Ersten Weltkrieges überschattet wurde. Die Abschlusserklärung dieser Tagung markiert den Beginn der Arbeit des Weltbundes für Freundschaftsarbeit der Kirchen, der Siegmund-Schultze über Jahrzehnte verbunden war. (Im Friedensforum 1/2014 berichtete Ullrich Hahn über diese Konferenz, die zur Gründung des Versöhnungsbunds führte – Anm. d. Red.)

Der Thüringer Friedenspfarrer Ernst Böhme (Kunitz), der auch an der Konstanzer Tagung teilnahm, beschäftigte sich nicht nur mit der Friedenstheologie, sondern auch mit der Friedenspädagogik. So beurteilte Böhme den Geschichtsunterricht sehr skeptisch, da dieser Unterricht einen festen Bestandteil einer militaristischen Erziehung darstelle. Böhme forderte in der Schule eine Darstellung der Friedensbewegung, die Lektüre von Romanen und Anthologien mit pazifistischen Inhalten sowie die Einführung eines Friedenstages. Der Kunitzer Pfarrer redigierte von 1916 bis 1919 das Gemeindeblatt „Heimatglocken“, das keine Kriegspropaganda vertrat.

Zwischen christlichem Pazifismus und Patriotismus – so lassen sich am besten die Positionen von Nithack-Stahn und Siegmund-Schultze in den Monaten nach dem Kriegsbeginn im Sommer 1914 bezeichnen. Francke hingegen blieb sich seinem strikten Friedenskurs konsequent treu, verurteilte die Kriegstheologie der vielen deutschen Pfarrer und organisierte maßgeblich als Vorsitzender die Arbeit der Berliner Ortsgruppe der DFG in den vier Kriegsjahren.

Die pazifistische Arbeit wurde während des Ersten Weltkrieges durch die massiven Repressionen der militärischen Behörden und die unablässige Kriegspropaganda vieler Presseorgane erheblich behindert – aber dennoch ging sie weiter. Es kam sogar zu Gründungen von neuen Friedensorganisationen: Bund Neues Vaterland, Zentralstelle Völkerrecht und die Vereinigung Gleichgesinnter. Friedenstheologen wie Francke, Siegmund-Schultze, Nithack-Stahn und Böhme zählten zu den Mitgliedern und unterschrieben Friedensresolutionen.

Im Sommer 1917 unterstützte der Berliner Pfarrer Karl Aner, der bis dato antipazifistisch eingestellt war, das Friedensmanifest des Papstes Benedikt XV.  –  für nicht wenige Protestanten ein Affront. In den folgenden Monaten entwickelte sich Aner zu einem wichtigen Friedenspfarrer. So trieb er (zusammen mit Martin Rade) die Centralstelle bzw. die „lose Vereinigung“ evangelischer Friedensfreunde inhaltlich und organisatorisch voran.

Einen friedenstheologischen Höhepunkt bildete der Aufruf von fünf Berliner Friedenspfarrern anlässlich des vierhundertjährigen Jubiläums der Reformation im Oktober 1917. Diese Friedensresolution mit dem Ziel eines Verständigungsfriedens sowie einer Kritik von Gewalt und Krieg erregte reichsweit großes Aufsehen und wurde kontrovers diskutiert – eine militaristische Gegenerklärung unterzeichneten in kurzer Zeit 160 Pfarrer!

Karlheinz Lipp: Berliner Friedenspfarrer und der Erste Weltkrieg. Ein Lesebuch. Freiburg i. Br. 2013

Ders.: Der Thüringer Friedenspfarrer Ernst Böhme (1862-1941). Ein Lesebuch. Nordhausen 2010

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Hintergrund
Karlheinz Lipp ist Historiker mit dem Schwerpunkt Historische Friedensforschung und Verfasser des Buches: Der Friedenssonntag im Kaiserreich und in der Weimarer Republik. Ein Lesebuch. Nordhausen 2014