Wie ernst nehmen wir das Problem Rassismus?

Rassismus in der Friedensbewegung

von Tejan LamboiKrischan Oberle
Schwerpunkt
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In seinem Beitrag „Vom Rassismus in der Friedensbewegung“ in der DFG-VK-Zeitschrift Zivilcourage 3/2021 beklagt Ernst Rattinger die Arbeit der verbandsinternen „AG bertha – werkstatt für intersektionale Friedensarbeit”. Rassismus und Diskriminierung, so liest man zwischen den Zeilen, seien nicht das Hauptanliegen der DFG-VK. Sie Solle sich auf „sorgfältig geplante Einzelaktionen und Kampagnen gegen Drohnen, Rüstungsexporte, Kindersoldaten, Bundeswehranzeigen, Büchel-Atombomben, Militärseelsorge, KSK-Killer“ konzentrieren. (1)

Diese Argumentationsweise ist aus politischen Räumen, Vereinen, Schulen und Arbeitskontexten hinlänglich bekannt: Selbstkritik blockiert uns; lasst uns bei der eigentlichen Aufgabe bleiben! Wer dieses Wir ist, wird implizit vorausgesetzt; wer daran aus verschiedenen Gründen nicht Teil hat, Pech gehabt. Wie gewaltfrei sind eigentlich unsere Strukturen?  Die BIPoC- Klimaaktivistin (Black, Indigenous, People of Color) Tonny Nowshin weist darauf hin, dass sie nur dann willkommen sei, wenn sich sich einfügt: „BiPoC-Aktivist*innen sind willkommen, wenn wir in die Rolle eines "Tokens" oder einer "Opferstimme" passen.“ (2)
Wir wollen nicht die Klimabewegung mit der Friedensbewegung gleichsetzen. Vielmehr wollen wir zeigen, dass das Problem des Rassismus und der Ausgrenzung von Minderheiten ähnlich.
Uns war klar: Rassismus ist fest in unseren Gesellschaften verankert, also auch in der Friedensbewegung. Für uns waren bei der Anfrage des Friedensforums zwei Fragen zentral: Wer genau ist eigentlich diese Friedensbewegung? Und in welchen anderen Formen zeigt sich Rassismus in der Arbeit dieser Bewegung?

Wer ist die Friedensbewegung?
Sind das die Organisationen, die im Rahmen der Kooperation für den Frieden und des Kasseler Friedensratschlags organisiert sind? Gehören Gruppen des „Friedensmahnwachen“ ab 2014 dazu? Sind alle, die sich als solche bezeichnen, Friedensbewegung? Und sind die vielen Organisationen und Verbände eigentlich Bewegung?
Wir sind in einer Generation und einem Kontext sozialisiert, die die großen Demonstrationen der Friedensbewegung, die Diskussionen um die Pershing usw. nicht mitbekommen hat. Trotzdem setzen wir uns unter anderem beim Bund für Soziale Verteidigung für Zivile Konfliktbearbeitung, gegen Militarisierung im In- und Ausland sowie für gleichberechtigte gesellschaftliche Teilhabe von Menschen ein.
Konrad Tempel definierte: Friedensbewegung ist die „Gesamtheit aller zivilgesellschaftlichen Bemühungen für Frieden, Abrüstung und Gerechtigkeit“. (3) Nehmen wir das ernst, gehören neben der klassischen „neuen Friedensbewegung“ auch Fridays for Future, Feminismen und, ja, auch Black Lives Matter dazu. Die Frage ist eher: wie können Kooperationen zwischen antimilitaristischen und anderen Gruppen gestaltet werden? (4)
Konflikte sind komplex. Lasst sie uns in ihrer Komplexität und unter Berücksichtigung verschiedener Betroffenheiten angehen. Friedensarbeit in Mali und die Kritik am dortigen Einsatz der Bundeswehr kann nicht effektiv sein, wenn wir koloniale Kontinuitäten, strukturellen Rassismus und Sexismus oder den Klimanotstand außer Acht lassen. Dazu brauchen wir eine Reflexion und ein gemeinsames Verständnis zu Rassismus in der Friedensbewegung.

Rassismus in der Friedensbewegung
Es widerspricht der Intuition, dass Bewegungen, die nach Frieden streben, selbst Strukturen schaffen, die ungleiche Machtdynamiken verstärken. Bei dem Versuch zu verstehen, wie sich Rassismus in Friedensbewegungen manifestiert, müssen wir sehen, dass sich Rassismus auf allen Ebenen unserer Gesellschaft manifestiert – von den Strukturen unserer Organisationen und Institutionen bis hin zu einer interpersonellen Alltagsebene.
Rassismus ist eine Ideologie, die eine hierarchische Unterscheidung von Menschen vornimmt und sich individuell und strukturell auswirkt. Er zeigt sich z.B. darin, wie wir über Konflikte sprechen: Die Bezeichnung des Kriegs in Sierra Leone als Bürgerkrieg verdeckt beispielsweise die fortbestehende koloniale Ausbeutung, die Ursache des Krieges war. Diese Sprache macht es unmöglich, Wiedergutmachung zu fordern. Auch in Förderlinien für Friedensarbeit offenbart er sich strukturell. Der Zivile Friedensdienst erlaubte es bis vor Kurzem Menschen ohne EU-Pass nicht, als Fachkraft in dem Programm zu arbeiten.
Der jährliche Höhepunkt des Engagements, die Ostermärsche, sind ein weiteres Beispiel. Migrantische Stimmen werden nur sehr vereinzelt gehört, obwohl gewaltsame Konflikte, die weit weg von Deutschland ausgetragen werden, im Mittelpunkt stehen. Das geht aus den Redner*innenlisten – einsehbar über den Kalender des Netzwerks Friedenskooperative – hervor. Auch fällt die Abgrenzung zu Rechtsextremen und Verschwörungsmythen schwer. Die Diskussion zu Ramstein rund um die Personalie Ken Jebsen oder der Umgang mit den Mahnwachen ab 2014 sind nur zwei Beispiele.
Wir wollen nicht behaupten, dass nichts unternommen wird, um Rassismus zu bekämpfen. Im Jahr 2016 lud z.B. der BSV Expert*innen mit unterschiedlichen Perspektiven ein, um über Rassismus in Friedensbewegungen zu diskutieren. Sie überlegten, inwiefern Rassismus eine Rolle spielt und wie rassismuskritische Ansätze in die Friedensarbeit integriert werden können. Ähnliche Reflexionsprozesse gibt es unseres Wissens auch u.a. bei EIRENE und dem forumZFD.
Bei solchen Versuchen gibt es allerdings auch immer wieder Hürden: Der Plattform ZKB war es z.B. bei ihrer Tagung 2021, „Farbe bekennen - Rassismus und Zivile Konfliktbearbeitung“, nicht möglich, eine gleichberechtigte Kooperation mit migrantischen Dachverbänden bei der Ausrichtung der Tagung zu erreichen.
Was wir auch als positive Entwicklung sehen, ist, dass vermehrt Organisationen rassismuskritische Prozessbegleitung suchen, um ihre Arbeit zu reflektieren und Veränderungen anzugehen.
Mit der globalen Black Lives Movement und in Deutschland besonders nach dem Tod von George Floyd zeigt sich zudem, dass der Kampf gegen Rassismus ernst genommen wird. Viele Großdemonstrationen, wie beispielsweise die breite Zusammenarbeit im Rahmen von #unteilbar, sind Beispiele für positive Entwicklungen.

Powersharing
Dennoch muss mehr getan werden. Der Kampf gegen Rassismus sollte als eine Reise und ein Prozess verstanden werden, bei dem jeder Schritt reflektiert und kritisch hinterfragt werden muss.
Vor diesem Hintergrund wollen wir kurz über den Powersharing-Ansatz im Umgang mit Rassismus und Machtungleichgewichten in Friedensbewegungen sprechen.
Powersharing, d.h. die Teilung von Macht mit minorisierten Gruppen aus einer relativ privilegierten Position heraus, hat zwei Voraussetzungen aktives Zuhören seitens der beteiligten Mehrheitsangehörigen, um die selbstdefinierten Perspektiven und Interessen minorisierter Menschen zu erfahren. Powersharing bedeutet nicht, sich selbst zu beauftragen, für andere ‚mitzusprechen‘. Es geht weder um Vertretung noch um Toleranz, sondern um Zugang zu Macht und Entscheidungen: wir benötigen Menschen mit Rassismuserfahrungen in Geschäftsführungen, in Vorständen, in jedem Plenum der lokalen Initiative. Darüber hinaus stellt die Bewusstmachung der eigenen Privilegien und Ressourcen eine weitere Voraussetzung dar, da diese nur so gezielt eingesetzt und geteilt werden können. (4)

Anmerkungen
1 Ernst Rattinger: Vom Rassismus in der Friedensbewegung, 14. Juni 2021, online unter: https://zivilcourage.dfg-vk.de/vom-rassismus-in-der-friedensbewegung/.
2 https://taz.de/Klimabewegung-und-Diskriminierung/!5689986/
3 Kladnikiewitz, Ines (2021):Ein Blick in die Friedensbewegung heute – Wurzeln und Perspektiven. Hrsg. Bund für Soziale Verteidigung, HuD76.
4 Rosenstreich, Gabriele (2006): Von Zugehörigkeiten, Zwischenräumen und Macht.

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Tejan Lamboi ist Bildungsreferent beim Bund für Soziale Verteidigung. Der Beitrag erschien erstmalig im Rundbrief 3/2020 des BSV.
Krischan Oberle ist Bildungsreferent beim BSV, Trainer und Berater für Konflikttransformation.