Polizei

Rassistisch diskriminierende Migrationskontrollen

von Dirk Vogelskamp

Im Oktober 2012 erklärte das Oberverwaltungsgericht Rheinland-Pfalz die „anlasslose Kontrolle“ eines Studenten durch die Bundespolizei für rechtswidrig. Dessen Hautfarbe sei ausschlaggebendes Kriterium für die Identitätsfeststellung in einem Regionalzug von Kassel nach Frankfurt gewesen. Der Student konnte sich nicht sofort ausweisen, daraufhin musste er mit den Polizeibeamten den Zug vorzeitig verlassen und wurde zur nächsten Polizeidienststelle mitgenommen. Das Gericht erkannte: „Für die Befragung und die Aufforderung, Ausweispapiere vorzulegen, nach § 22 Abs. 1 a Bundespolizeigesetz (BPolG) im vorliegenden Fall, ist der Anknüpfungspunkt der Hautfarbe nicht zulässig. Die Maßnahmen (erste Befragung und erstes Auskunftsverlangen der Polizeibeamten) verstoßen gegen das Diskriminierungsverbot nach Art. 3 Abs. 3 GG ...“ (Az.: 7 A 10532/12.OVG). Das Urteil hat diese alltägliche Polizeipraxis erneut in die öffentliche Diskussion gebracht.

Diese Praxis der verdachtsunabhängigen Kontrollen, die der Student während seiner Zugfahrt unterworfen worden war und ihn aufgrund seiner Hautfarbe zum Objekt polizeilicher Maßnahmen machte, wird international als „Racial oder Ethinc Profiling“ bezeichnet. Sie gilt als rassistische Diskriminierung und als menschenrechtlich unzulässig. Zudem verstößt sie gegen das allgemeine Diskriminierungsverbot in Art. 3. Abs. 3 Grundgesetz: „Niemand darf wegen seines Geschlechtes, seiner Abstammung, seiner Rasse, seiner Sprache, seiner Heimat und Herkunft, seines Glaubens, seiner religiösen oder politischen Anschauungen benachteiligt oder bevorzugt werden. Niemand darf wegen seiner Behinderung benachteiligt werden.“

Worauf zielen derartige Kontrollen der Bundes- und Landespolizeien? Bei der Bundespolizei lautet der Zweck der anlasslosen Kontrollen in § 22 Abs. 1 a BPolG, die unerlaubte Einreise zu verhindern oder zu unterbinden. Dazu kann sie jede Person in Zügen, Bahnanlagen, Flughäfen anhalten, um sie zu befragen, die mitgeführten Ausweispapiere kontrollieren und das mitgeführte Gepäck in Augenschein nehmen. Als Voraussetzungen für die polizeilichen Eingriffe werden lapidar „Lageerkenntnisse und grenzpolizeiliche Erfahrungen“ genannt, die annehmen lassen, dass diese Orte und Routen „zur unerlaubten Einreise genutzt werden“. Darüber hinaus nimmt die Bundespolizei polizeiliche Aufgaben der Strafverfolgung in dem Maße wahr, wie der Verdacht eines Vergehens besteht, „das nach den Vorschriften des Passgesetzes, des Aufenthaltsgesetzes oder des Asylverfahrensgesetzes zu verfolgen ist, soweit es durch den Grenzübertritt oder in unmittelbarem Zusammenhang mit diesem begangen wurde“ (§ 12 Abs. 1.2. BPolG). Ferner darf sie die Identität einer Person im Grenzgebiet, das gesetzlich bis zu einer Tiefe von dreißig Kilometern gefasst wird, feststellen, um die unerlaubte Einreise in das Bundesgebiet zu verhindern oder zu unterbinden und um Straftaten im Sinne des bereits angeführten § 12 zu verhüten (§ 23 Abs. 1.3. BPolG).   

Ähnlich sind die verschiedenen Landespolizeigesetze normiert, exemplarisch in Nordrhein-Westfalen: dort heißt es in § 12, Abs. 1. 2. b. PolG NRW „Die Polizei kann die Identität einer Person feststellen, … wenn sie sich an einem Ort aufhält, von dem Tatsachen die Annahme rechtfertigen, dass … b) sich dort Personen treffen, die gegen aufenthaltsrechtliche Strafvorschriften verstoßen“. Im nordrhein-westfälischen Ordnungsbehördengesetz wird in § 24 Abs. 4 (OBG) der entsprechende Paragraph aus dem Polizeigesetz übernommen („Geltung des Polizeigesetzes“), soweit es erforderlich ist, die Aufgaben der Ordnungsbehörden zu erfüllen. 

Obwohl die Gesetze neutral, insofern nicht diskriminierend („jede Person“) formuliert sind, sind sie es in der Praxis sehr wohl aufgrund ihres gesetzlichen Zwecks, nämlich der Migrations- und Aufenthaltskontrolle, und ihrer Eingriffsermächtigungen, die wiederum äußerst unbestimmt an polizeilichen „Lageerkenntnissen und Erfahrungen“ sowie an „auf Tatsachen beruhende Annahmen“ gebunden sind. Diese Voraussetzungen für die polizeiliche anlasslose Identitätsfeststellung sind jedoch vage, interpretationsoffen und gesetzlich nicht eng begrenzt umrissen. Die Polizeien als Gesetzesanwender bestimmen letztlich selbst, wann sie von ihren Eingriffsrechten zur Identitätsfeststellung Gebrauch machen und wen sie verdachtsunabhängig kontrollieren. Wie aber sind Immigrantinnen und Immigranten, nur sie könnten unerlaubt eingereist oder gegen Bestimmungen des Aufenthaltsgesetzes verstoßen haben (Gesetzeszweck), zu erkennen? Die Polizeien greifen – wie selbstverständlich – auf das äußere Erscheinungsbild eines Menschen wie Hautfarbe, Gesichtszüge, ethnische oder religiöse Merkmale als Raster zurück. Damit sind alle People of Colour pauschal verdächtig. Sie sind fortwährend polizeilichen Kontrollen in der Öffentlichkeit ausgeliefert, in denen sie als „Minderheit“ sichtbar gemacht und dem Kriminalitätsverdacht ausgesetzt werden. Die „verdachtsunabhängigen“ Kontrollen der Polizei verfestigen insofern die Vorbehalte gegenüber Fremden, den Alltagsrassismus und die gesellschaftlich produzierte Ungleichheit zwischen Mehrheitsbevölkerung und Minderheiten. (1) Der allgemeine Gesetzeszweck, die Bekämpfung der unerlaubten Einreise und von Vergehen gegen das Aufenthaltsgesetz, fördert und sichert die rassistische Praxis der Polizei gesetzlich ab: Racial Profiling. Es kommt insofern nicht auf die Einstellung des einzelnen Beamten an, sondern die rassistisch diskriminierende Praxis folgt der Gesetzeslogik. Insofern kann von einem institutionellen Rassismus gesprochen werden. Die gesetzliche Ermächtigung zu „verdachtsunabhängigen“ Kontrollen haben die Schleusen für diskriminierende polizeiliche Arbeitsroutinen geöffnet.

Seit einigen Jahren wird die „illegale Einwanderung“, genannt in einem Atemzug mit der „organisierten Kriminalität“ und dem „Terrorismus“, diese zumeist in ethnisierenden Polizeirastern gefasst (Racial Profiling), als Bedrohung bundesdeutscher und europäischer Sicherheit hervorgehoben. Die Bekämpfung der „illegalen Migration“ wird europaweit vordringlich und produziert ihr eigenes Recht. Dieses geht im Inneren mit einem hohen Maß an legalem Zwang und legaler Gewalt gegen Immigrantinnen und Immigranten einher: bei den Abschiebungen, Überstellungen und polizeilichen Kontrollen (Residenzpflicht), in den Lagern und Abschiebegefängnissen. Die Ausländerämter als gesonderter Teil der Sicherheits- und Ordnungsbehörden und die ihnen assistierende Polizei setzen jeden Tag diskriminierende, Menschen ausschließende Sondergesetze des Ausländerrechtes um. So wie die Bekämpfung der illegalen Migration an den Außengrenzen mit ihren todbringenden Folgen menschenrechtswidrig ist, so zeigt das eingangs erwähnte OVG-Urteil, dass sie es auch im Landesinneren ist. Das inkriminierte „Racial Profiling“ ist Ausfluss eines Sonderbekämpfungsrechtes gegen Immigranten und Immigrantinnen, das insgesamt abgeschafft gehörte. (2)

 

Anmerkungen
1 Vgl. Dirk Vogelskamp, Polizeigewalt, Rassismus und die gesellschaftliche Herstellung von Ungleichheit, in FriedensForum, 2/2009.

2 Literatur: Bürgerrechte & Polizei/CILIP Heft 104 (Dezember 2013): Racial Profiling

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Dirk Vogelskamp ist Referent des Komitee für Grundrechte und Demokratie.