Reaktoren von russischen Atom-U-Booten sind großes Umweltrisiko

von Steffen Wagner
Im Blickpunkt
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( c ) Netzwerk Friedenskooperative

Die Admirale der sowjetischen Marine hatten einen Sinn für das Symbolische: Das erste Atom-U-Boot der sowjetischen Flotte, die K-3 Leninsky Komsomol, nahm ihre Reaktoren zum ersten Mal am 4. Juli 1958 in Betrieb, während die Amerikaner mit Bier und Hamburgern ihren Unabhängigkeitstag feierten.

1989 hatte die Sowjetunion mit 196 die höchste Zahl von Atom-U-Booten im Einsatz. Heute hat Russland noch 52 Atom-U-Boote. Das nukleare Erbe der Flotte stellt das Land vor riesige wirtschaftliche, technische und politische Probleme. Die umweltgerechte Entsorgung der Reaktoren und der nuklearen Brennstoffe ist eine Aufgabe, die Russland nur mit internationaler Hilfe lösen kann. Die Unterstützung aus dem Westen fließt noch spärlich. Währenddessen wächst der nukleare Müllhaufen unaufhaltsam weiter.

Der Untergang der Kursk hat die Öffentlichkeit wieder auf die Umweltrisiken, die mit dem Einsatz dieser schwimmenden Atomkraftwerke verbunden sind, aufmerksam gemacht. Die Hauptgefahr geht nicht von havarierten Schiffen aus: ein viel größerer Risikofaktor sind die zahlreichen in den vergangenen Jahren ausgemusterten Atom-U-Boote mit ihren zumeist zwei Reaktoren, den festen und flüssigen nuklearen Brennstoffen und den radioaktiv kontaminierten Bauteilen des Brennstoffkreises.

Technische Probleme bei der dringend notwendigen Verschrottung der Schiffe ergeben sich vor allem durch
 

  •  geringe Arbeitskapazitäten der existierenden Abwrackeinrichtungen;
     
  •  mangelhafte Lager- und Transportkapazitäten für verbrauchte Brennstoffe;
     
  •  Probleme bei der Filterung und Lagerung flüssiger nuklearer Abfallstoffe;
     
  •  das Fehlen von Einrichtungen zur langfristigen Lagerung von hoch-radioaktivem Material.
     

Engpässe im Abwrackungsprozess sind das Zerlegen der Schiffe und die spätere Lagerung des nuklearen Materials. Gegenwärtig warten eine Reihe von U-Booten in den Werften von Murmansk, Severodvinsk und Bolshoy Kamen darauf zerlegt zu werden. Zur Zeit kann Russland etwa drei bis sechs Schiffe im Jahr fachgerecht auseinandernehmen. Bedenkt man, dass allein seit 1989 mehr als 140 Atom-U-Boote aus dem Dienst genommen worden sind, von denen mehr als 110 noch funktionsfähige Reaktoren an Bord haben, wird die dramatische Lage offensichtlich.

Die Arbeiten in den Werften werden aus Mitteln des Expanded Cooperative Threat Reduction Program (ECTR) (1) der USA mit finanziert. In diesem Programm sind Aktivitäten des amerikanischen Außen-, des Verteidigungs- und des Energieministeriums in Russland und den Nachfolgestaaten der Sowjetunion im Bereich der nuklearen Nichtproliferation zusammengefasst. Das gesamte ECTR-Budget beträgt in diesem Jahr US$ 999,7 Millionen. Für das Haushaltsjahr 2001 hat Präsident Clinton US$ 973,6 Millionen beantragt. Der Großteil der Gelder fließt jedoch in die Abrüstung von Atom- und C-Waffen. Speziell für das Abwracken von U-Booten wurden in diesem Jahr US$ 25 Millionen bereitgestellt. Jedoch sollen in 2001 auch aus anderen ETCR-Töpfen Gelder für die Verschrottung fließen, unter anderem für den Ausbau der Lagerkapazitäten und bessere Überwachung der Anlagen.

Insgesamt sollen mit Mitteln des ECTR 30 Atom-U-Boote verschrottet werden. Für die Beseitigung der nuklearen Altlasten der Flotte wurden von den USA und anderen westlichen Ländern etwa US$ 100 Millionen zur Verfügung gestellt. Experten kritisieren den Betrag als zu niedrig und weisen darauf hin, dass bisher die Abrüstung der ebenfalls nukleargetriebenen russischen Angriffs-U-Boote vernachlässigt worden ist.

Sind die Schiffe zerlegt, fällt zusätzliches nukleares Material an, das transportiert und gelagert werden muss. Dabei handelt es sich auch um bis zu 45 Prozent hochangereichertes Uran-235. Ein Beispiel für die Probleme, die entstehen, bietet die größte russische Marinebasis für Atom-U-Boote Zapadnaya Litsa. Der Litsa Fjord im äußersten Westen der Kola Halbinsel ist nur rund 45 Kilometer von der norwegischen Grenze entfernt. Unter den Gesichtspunkten nuklearer Sicherheit ist das Lager für feste und flüssige nukleare Abfallstoffe und radioaktiv kontaminierte Bauteile aller Art in der Andreeva Bucht im Litsa Fjord am bedeutsamsten. Hier lagern in drei großen Betontanks etwa 21.000 verbrauchte Brennelemente, hinzu kommen etwa 12.000 Kubikmeter an festem und flüssigen nuklearem Abfall. Die radioaktive Belastung des Nuklearmülls variiert von sehr schwach bis sehr hoch. Die Lagerkapazitäten in der Andreeva Bucht sind ausgeschöpft. Deshalb werden feste und flüssige Abfälle seit Jahren in offenen Containern und Behältern gelagert.

Um das Problem der Lagerung von verbrauchten nuklearen Brennstoffen zu mildern, hat der U.S.-Kongress im vergangenen Jahr zugestimmt, einen Teil der ECTR-Mittel auch für die Aufbereitung von verbrauchtem Brennstoff von bis zu 15 Atom-U-Booten in der Wiederaufbereitungsanlage in Mayak in Westsibirien zu verwenden. Die Wiederaufbereitungskapazitäten sind jedoch ebenfalls begrenzt, da Russland nur fünf spezielle Eisenbahnwaggons zum sicheren Transport der nuklearen Fracht besitzt.
 

Nicht nur technische Faktoren gefährden die Nuklearsicherheit bei Russlands Abrüstungsbemühungen. Der wichtigste ist sicherlich die Finanzkrise des russischen Staates. Die notwendigen Mittel zur Abrüstung der Atom-U-Boote werden auf rund US$ 2,2 Milliarden geschätzt. Davon entfallen allein 1,4 Milliarden auf die Nordmeerflotte. Russland hat davon bis Ende 1998 nur rund US$ 500 Millionen im Haushalt eingestellt. Wieviel davon wirklich zur Verfügung stand und in Zukunft steht, ist unklar. Das russische Ministerium für Atomenergie (MINATOM), das seit 1998 für die Abrüstungsfragen verantwortlich ist, hat angegeben, dass teilweise nur rund 50 Prozent der Gelder geflossen sind.

Deutlich ist, dass Russland die Aufgabe überfordert, ein umfassendes System zur Abrüstung seiner Atom-U-Boot-Flotte zu schaffen. Die von der maroden Flotte ausgehenden Gefahren sind kein russisches, sondern ein internationales Problem, wie der Untergang der Kursk erneut gezeigt hat. Gefragt sind jetzt vor allem die Partner Russlands in der G-8 und die skandinavischen Länder. Sie haben auf dem G-8 Gipfel in Okinawa im Juli 2000 signalisiert, dass sie bereit sind, über bisherige Hilfsangebote hinauszugehen.

Auch die EU greift das Problem der nuklearen Sicherheit in ihrer "Gemeinsamen Strategie gegenüber Russland" und in ihrer "Initiative zur Nördlichen Dimension" auf. Gerade die europäischen Länder sind jetzt aufgefordert, Mittel nicht wie bereits geschehen bilateral zu geben, sondern die Mittel in einem umfassenden Programm zu bündeln. Dabei muss besonders um das Vertrauen Russlands geworben werden. Das ECTR-Programm der USA wird häufig dadurch behindert, dass die russische Seite sich der notwendigen Transparenz aus Angst vor Spionage verweigert. Alle Beteiligten wissen, dass gehandelt werden muss: Wenn der technische und personelle Verfall auf den Stützpunkten und Werften weiter fortschreitet, ist der nächste Unfall oder die nächste Umweltkatastrophe nur eine Frage der Zeit.

Literaturhinweis:

Nilsen, Thomas; Kudrik, Igor; Nikitin, Alexandr. The Russian Northern Fleet. Sources of Radioactive Contamination. Bellona Report Vol. 2. Oslo, 1996. http://www.bellona.no/

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Steffen Wagner ist Diplom-Politologe und Mitarbeiter am Berliner Informationszentrum für Transatlantische Sicherheit (BITS).