Buchbesprechung

"Recht ist, was den Waffen nützt"

von Martin Singe

Das 2004 erschienene Buch "Recht ist, was den Waffen nützt" kann für Friedensbewegte dringend zur Lektüre empfohlen werden. Herausgegeben wurde es von Richter a.D. Helmut Kramer und dem Militärhistoriker Wolfram Wette. Der Untertitel des Buches lautet "Pazifisten im Visier der Justiz - vom Kaiserreich bis in die Gegenwart". Auf 432 Seiten wird dargestellt, wie die deutsche Justiz in teilweise erschreckender Kontinuität mit formal-juristischen Mitteln und Paragraphen gegen jeglichen Pazifismus gekämpft hat. Schon vor dem Ersten Weltkrieg wurden Pazifisten eingeschüchtert, während der Weimarer Republik wurden Militärkritiker als Landesverräter abgestempelt. Ausführlich wird auf die Strafprozesse gegen Rosa Luxemburg und Karl Liebknecht eingegangen.

Im Zweiten Weltkrieg trug die Militärjustiz vor allem durch Todesurteile gegen Deserteure, Selbstverstümmeler, "Wehrkraftzersetzer" und andere Widerstand leistende Personen zur Verlängerung des Krieges bei, da ein Klima absoluter Angst verbreitet wurde. Geschilderte Einzelbeispiele lassen bei der Lektüre spürbar werden, wie sehr sich Menschen, die Desertions- oder Widerstandsgedanken erwogen, unter Terrordruck fühlen mussten.

Die Aufarbeitung der Urteile gegen die Wehrmachtsdeserteure in der in den 50er Jahren schnell wiederbewaffneten Bundesrepublik stellt ein eigenes trauriges Kapitel dar. Es ist eigentlich bis heute nicht wirklich abgeschlossen, wenn auch vielleicht formal durch einen Bundestagsbeschluss. Die 50er Jahre waren gekennzeichnet von einer politischen und juristischen Verfolgung der Friedensbewegung, die sich in dieser Zeit zunächst gegen die Wiederbewaffnung, dann gegen die Atombewaffnung richtete.

Kritisch beleuchtet wird das Verhältnis der BRD- und DDR-Justiz zur Kriegsdienstverweigerung in beiden Staaten. Weitere Aufsätze kommen auf die Gegenwart zu sprechen. Die unseligen Auseinandersetzungen um den Nötigungsparagraphen als Strafkeule gegen die vor Raketen sitzende Friedensbewegung wird ebenso thematisiert wie die Auseinandersetzung mit der seit den out-of-area-Einsätzen wieder verstärkt friedensbewegt-öffentlich genutzten wahrheitsgemäßen Aussage "Soldaten sind Mörder" von Tucholsky. (Juristisch sicherer ist, nebenbei bemerkt, bis heute, wenn man nur sagt, Tucholsky hat Recht.)

Schließlich geht es um die Auseinandersetzungen des Bundesverfassungsgerichts mit den - Art. 87 a GG offensichtlich widersprechenden - Bundeswehreinsätzen "out of area" und in völkerrechtswidrigen Kriegen (Jugoslawien, Irak-Kriegsunterstützung der BRD). Die mehrjährige Prozessserie gegen die Friedensbewegten, die die am Jugoslawien-Krieg (1999) teilnehmenden Bundeswehrsoldaten zum Gehorsam aufgefordert hatten, wird geschildert. Aber es ist ja bekannt, dass es Rot-Grün "nicht um Juristerei" (Zitate Schröder; Struck), sondern stets um "Bündnissolidarität" und eigensüchtig kalkulierte neudeutsche Machtpolitik geht. Deshalb versagt der Zugriff des (regierungsweisungsgebundenen) Generalbundesanwaltes regelmäßig, wenn Friedensbewegte die Regierenden wegen Beteiligung an völkerrechts- und grundgesetzwidrigen Kriegen (oder deren aktiver Unterstützung) anzeigen. Dieses Kapitel bedürfte übrigens einer eigenen Vertiefung, da die Ausführungen der Generalbundesanwaltschaft regelmäßig unterstellen, dass der Strafrechtspargraph 80 (Angriffskrieg) nicht alles unter Strafe stelle, was in Art. 26 GG als Friedensgebot formuliert ist.

Bei einer Neuauflage des Buches sollten noch zwei (wiederum traurige) Kapitel über die Nötigungs-Strafverfahren gegen die Airbase-BlockiererInnen während des 2003-Irak-Krieges, die die Frankfurter Staatsanwaltschaft aktuell weiterhin mit verfolgungswütiger Leidenschaft führt, und gegen die AktivistInnen, die Flugblätter gegen die nukleare Teilhabe der Bundeswehr in Büchel verteilt hatten und bis zu 2 Monaten Gefängnis ohne Bewährung verurteilt wurden, aufgenommen werden.

Ein Bruch dieser so traurigen bundesdeutscher (schrecklich-)juristischen Kontinuität wäre so wünschenswert. Aber wer soll es richten, wenn nicht die Friedensbewegung im weiter kontinuierlichen Engagement?

... Sag mir, wo die Blumen sind, wann wird man je versteh`n ...? - Dieses Lied fällt einem unwillkürlich nach der Buchlektüre ein. Bzw.: Wird man überhaupt je versteh`n, und vor allem: werden Juristen je versteh`n? Zum Glück ganz wenige.
 

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Martin Singe ist Redakteur des FriedensForums und aktiv im Sprecher*innenteam der Kampagne "Büchel ist überall! atomwaffenfrei.jetzt".