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Rechtsextremismus/ Rassismus im vereinten Deutschland: Hintergründe und Gegenstrategien
vonDeutschnationalismus, Rechtsextremismus und Neonazismus gibt es nicht erst seit der Wiedervereinigung, wenngleich sie durch diese spürbar Auftrieb erhielten. Die Wurzeln dafür liegen jedoch tiefer: Auschlaggebend dürfte die Entwicklung der Bundesrepublik zu einer Wohlstands-, Wegwerf- und Walkmangesellschaft, sozialer Strukturwandel und politische Kräfteverschiebungen sein.
Seit der Weltwirtschaftskrise 1974/76, verstärkt seit der "Wende" im Herbst 1982, gab es eine gigantische Umverteilung "von unten nach oben": Die Armen wurden immer mehr und ärmer, die Reichen aber immer reicher. Als Folge einer (Re-)Privatisierung sozialer Risiken, Deregulierung und forcierten Rationalisierung spaltete sich die Gesellschaft ("Zweidrittelgesellschaft"). Dieser Prozeß der systematischen Entsolidarisierung wurde durch eine Philosophie der marktradikalen Privatinitiative, eine sozialdarwinistische Leistungsideologie und liberal-nationalkonservatives Elitedenken flankiert.
Auch die Privatisierung der audiovisuellen Massenmedien (Rundfunk und Fernsehen) blieb nicht folgenlos. Nach der Vereinigung von DDR und Bundesrepublik bzw. der Vereinnahmung ersterer durch letztere fand überdies eine Art semantischer Enteignung der Arbeiter- und Gewerkschaftsbewegung statt: Der Solidaritätsbegriff wurde im Zuge der "Solidarpakt“-Diskussion nationalistisch umgebogen. Man tat so, als sei staatliches Handeln "unter dem Diktat leerer Kassen" nicht möglich. In Wahrheit wurde mit dem Argument, keine Politik mehr machen zu können, eine unsoziale Austeritätspolitik zu Lasten der "kleinen Leute" und zugunsten des Großen Geldes gemacht. Die neuesten Kürzungsvorschläge der Regierung Kohl/ Kinkel erwecken den Eindruck, als rüste sie nach dem "Sieg über den Sozialismus" zum "Krieg gegen den Sozialstaat".
Der Rechtsextremismus ist kein Randproblem, sondern wurzelt im Machtzentrum der Gesellschaft und hält ihr gewissermaßen den Spiegel vor. Die Brutalität rechtsextremer Schlägerbanden bzw. Subkulturen (Skinheads, Hooligans, Faschos) und neonazistischer Organisationen richtet sich also nicht zufällig gegen Gruppen, die auch von der Gesamtgesellschaft ausgegrenzt werden (Asylsuchende, aber auch Drogenabhängige, Behinderte, Haftentlassene, Obdachlose, Homosexuelle und Prostituierte). Sie wuchs im selben Maße, wie das Gewaltpotential in anderen Lebensbereichen zunahm. Der Bogen einer sinkenden Gewaltschwelle spannt sich von der Ellenbogenmentalität im Berufsleben ("Mobbing" im Büro) über die Risikobereitschaft bzw. Rücksichtslosigkeit im Straßenverkehr bis zu Horrorvideos und Blutorgien im Fernsehprogramm.
Ausländer/innen werden nicht zuletzt deshalb Opfer rechtsextremer Gewalttäter, weil ihr sozialer und Rechtsstatus niedriger ist, was sie leichter angreifbar als gutsituierte, nichtstigmatisierte Gruppen macht. Nach dem Reichs- und Staatsbürgergesetz von 1913 werden nur Menschen eingebürgert, die "deutschen Blutes" sind. Das Jus sanguinis ist jedoch genauso antiquiert wie die Blutrache, aber in der Bundesrepublik Deutschland immer noch geltendes Recht.
Ins Blickfeld der Kritik geriet auch das Parteiensystem (unter Stichworten wie "Krise der Volksparteien" bzw. "Staats- und Parteienverdrossenheit"). Viele Bürger/innen haben den Eindruck, daß sie selbst keine ausreichenden Mitbestimmungsmöglichkeiten haben und durch Parlamente und Regierungen nicht mehr vertreten werden. So entsteht ein Ohnmachtsgefühl, das sich in zunehmender Wahlmüdigkeit, der Entscheidung für Parteien wie die Republikaner und Sympathie für deren Ideologie bzw. Demagogie ausdrückt.
Soziale Gerechtigkeit, Gleichheit der Bürger und Glaubwürdigkeit demokratischer Institutionen als Leitlinien einer Gegenstrategie
Will man den Rechtsextremismus/Rassismus zurückdrängen, sind auf der gesellschaftspolitischen Ebene drei Hauptziele zu verfolgen: Mehr soziale Gerechtigkeit, mehr direkte Demokratie (Gleichheit aller Staatsbürger/innen) und mehr Glaubwürdigkeit der staatlichen Institutionen würden die Wirkungsmöglichkeiten neofaschistischer Organisationen verringern. Polizei, Justiz und (Sozial-)Pädagogik kurieren vielfach nur an den Symptomen herum, ohne jedoch die gesellschaftlichen Wurzeln der Rechtsentwicklung zu beseitigen.
Zwar wird der Rechtsextremismus durch Arbeitsplätze und preiswerte Wohnungen nicht wieder aus der Welt geschafft, die Bekämpfung von (Angst vor) Armut, sozialem Abstieg und Ausgrenzung ist dafür umso nötiger, um seinen Nährboden trockenzulegen. Damit deutsche "Modernisierungsverlierer" in einer Krisensituation nicht gegen Ausländer/innen. bzw. Asylsuchende aufgehetzt werden können, muß der gesellschaftliche Verteilungskampf intensiviert und wieder mehr gegen "die da oben" statt wie im Rahmen der Asyldiskussion geschehen gegen noch Schwächere geführt werden.
Rechtsgleichheit und Gleichberechtigung bilden die Grundlage einer multikulturellen Gesellschaft wie einer demokratischen Republik. Daher sollte das Staatsbürgerrecht der Bundesrepublik entrümpelt und die kollektive Einbürgerung von Ausländern, die eigentlich Inländer ohne deutschen Paß sind, unter Zulassung der doppelten Staatsbürgerschaft ermöglicht werden; längst überfällig sind Einwanderungs-, Niederlassungs- und Antidiskriminierungsgesetze.
Wenn es sich bei denjenigen, die für Republikaner, DVU oder NPD votieren, wirklich um "Protestwähler" und bei randalierenden bzw. Ausländer/innen terrorisierenden Skinheads um eine "Jugendrevolte" handelt, wie man überall lesen kann, besteht eine Hauptaufgabe darin, den mit ihrer Arbeits- und Lebenssituation unzufriedenen Menschen eine demokratische Plattform für Sozialprotest zu bieten. Solange die parlamentarische Opposition unsoziale Maßnahmen der Bundesregierung nicht, selten oder halbherzig anprangert, aber auch von den Gewerkschaften nur zaghaft Kritik geäußert wird, läßt sich der Unmut darüber von Rechtspopulisten wie Franz Schönhuber leicht in antiparlamentarische Bahnen lenken. Den Bürger(inne)n sollte durch Volksinitiative, Volksbegehren und Volksentscheid die Chance eröffnet werden, in wichtigen Sachfragen mitzubestimmen.