Rechtsextremismus/ Rassismus im vereinten Deutschland: Hintergründe und Gegenstrategien

von Christoph Butterwegge

Deutschnationalismus, Rechtsextremismus und Neonazismus gibt es nicht erst seit der Wiedervereinigung, wenngleich sie durch diese spür­bar Auftrieb erhielten. Die Wurzeln dafür liegen jedoch tiefer: Auschlaggebend dürfte die Entwicklung der Bundesrepublik zu einer Wohlstands-, Wegwerf- und Walkmangesellschaft, sozialer Struktur­wandel und politische Kräfteverschiebungen sein.

 

Seit der Weltwirtschaftskrise 1974/76, verstärkt seit der "Wende" im Herbst 1982, gab es eine gigantische Umverteilung "von unten nach oben": Die Ar­men wurden immer mehr und ärmer, die Reichen aber immer reicher. Als Folge einer (Re-)Privatisierung sozialer Risi­ken, Deregulierung und forcierten Rationalisierung spaltete sich die Gesell­schaft ("Zweidrittelgesellschaft"). Dieser Prozeß der systematischen Entsoli­darisierung wurde durch eine Philosophie der marktradikalen Privatinitiative, eine sozialdarwinistische Leistungs­ideologie und liberal-nationalkonserva­tives Elitedenken flankiert.

Auch die Privatisierung der audiovisu­ellen Massenmedien (Rundfunk und Fernsehen) blieb nicht folgenlos. Nach der Vereinigung von DDR und Bundesrepublik bzw. der Vereinnahmung erste­rer durch letztere fand überdies eine Art semantischer Enteignung der Arbeiter- ­und Gewerkschaftsbewegung statt: Der Solidaritätsbegriff wurde im Zuge der "Solidarpakt“-Diskussion nationalistisch umgebogen. Man tat so, als sei staatli­ches Handeln "unter dem Diktat leerer Kassen" nicht möglich. In Wahrheit wurde mit dem Argument, keine Politik mehr machen zu können, eine unsoziale Austeritätspolitik zu Lasten der "kleinen Leute" und zugunsten des Großen Geldes gemacht. Die neuesten Kür­zungsvorschläge der Regierung Kohl/ Kinkel erwecken den Eindruck, als rüste sie nach dem "Sieg über   den So­zialismus" zum "Krieg gegen den Sozi­alstaat".

Der Rechtsextremismus ist kein Rand­problem, sondern wurzelt im Machtzentrum der Gesellschaft und hält ihr gewissermaßen den Spiegel vor. Die Brutalität rechtsextremer Schlägerban­den bzw. Subkulturen (Skinheads, Hooligans, Faschos) und neonazistischer Organisationen richtet sich also nicht zufällig  gegen Gruppen, die auch von der Gesamtgesellschaft ausgegrenzt werden (Asylsuchende, aber auch Dro­genabhängige, Behinderte, Haftentlas­sene, Obdachlose, Homosexuelle und Prostituierte). Sie wuchs im selben Maße, wie das Gewaltpotential in ande­ren Lebensbereichen zunahm. Der Bo­gen einer sinkenden Gewaltschwelle spannt sich von der Ellenbogenmentali­tät im Berufsleben  ("Mobbing" im Büro) über die Risikobereitschaft bzw. Rücksichtslosigkeit im Straßenverkehr bis zu Horrorvideos und Blutorgien im Fernsehprogramm.  

Ausländer/innen werden nicht zuletzt deshalb Opfer rechtsextremer Gewalttäter, weil ihr sozialer und Rechtsstatus niedriger ist, was sie leichter angreifbar als gutsituierte, nichtstigmatisierte Gruppen macht. Nach dem Reichs- und Staatsbürgergesetz von 1913 werden nur Menschen eingebürgert, die "deutschen Blutes" sind. Das Jus sanguinis ist je­doch genauso antiquiert wie die Blutra­che, aber in der Bundesrepublik Deutschland immer noch geltendes Recht.

Ins Blickfeld der Kritik geriet auch das Parteiensystem  (unter Stichworten wie "Krise der Volksparteien" bzw. "Staats­- und Parteienverdrossenheit"). Viele Bürger/innen haben den Eindruck, daß sie selbst keine ausreichenden Mitbestimmungsmöglichkeiten haben und durch Parlamente und Regierungen nicht mehr vertreten werden. So entsteht ein Ohnmachtsgefühl, das sich in zu­nehmender Wahlmüdigkeit, der Ent­scheidung für Parteien wie die Republi­kaner und Sympathie für deren Ideolo­gie bzw. Demagogie ausdrückt.

 

Soziale Gerechtigkeit, Gleichheit der Bürger und Glaubwürdigkeit demokratischer Institutionen als Leitlinien einer Gegenstrategie

Will man den Rechtsextremis­mus/Rassismus zurückdrängen, sind auf der gesellschaftspolitischen Ebene drei Hauptziele zu verfolgen: Mehr soziale Gerechtigkeit, mehr direkte Demokratie (Gleichheit aller Staatsbürger/innen) und mehr Glaubwürdigkeit der staatli­chen Institutionen würden die Wirkungsmöglichkeiten neofaschistischer Organisationen verringern. Polizei, Justiz und (Sozial-)Pädagogik kurieren vielfach nur an den Symptomen herum, ohne jedoch die gesellschaftlichen Wur­zeln der Rechtsentwicklung zu beseiti­gen.

Zwar wird der Rechtsextremismus durch Arbeitsplätze und preiswerte Wohnungen nicht wieder aus der Welt geschafft, die Bekämpfung von (Angst vor) Armut, sozialem Abstieg und Aus­grenzung ist dafür umso nötiger, um seinen Nährboden trockenzulegen. Damit deutsche "Modernisierungsverlier­er" in einer Krisensituation nicht gegen­ Ausländer/innen. bzw. Asylsuchende  aufgehetzt werden können, muß der gesellschaftliche Verteilungskampf intensiviert und wieder mehr gegen "die da oben" statt wie im Rahmen der Asyldiskussion geschehen gegen noch Schwächere geführt werden.

Rechtsgleichheit und Gleichberechti­gung bilden die Grundlage einer multi­kulturellen Gesellschaft wie einer demokratischen Republik. Daher sollte das Staatsbürgerrecht der Bundesrepublik entrümpelt und die  kollektive Einbürge­rung von Ausländern, die eigentlich In­länder ohne deutschen Paß sind, unter Zulassung der doppelten Staatsbürger­schaft ermöglicht werden; längst über­fällig sind Einwanderungs-, Niederlas­sungs- und Antidiskriminierungsge­setze.

Wenn es sich bei denjenigen, die für Republikaner, DVU oder NPD votieren, wirklich um "Protestwähler" und bei randalierenden bzw. Ausländer/innen terrorisierenden Skinheads um eine "Jugendrevolte" handelt, wie man überall lesen kann, besteht eine Hauptaufgabe darin, den mit ihrer Arbeits- und Lebenssituation unzufriedenen Menschen eine demokratische Plattform für Sozi­alprotest zu bieten. Solange die parla­mentarische Opposition  unsoziale Maß­nahmen der Bundesregierung nicht, selten oder halbherzig anprangert, aber auch von den Gewerkschaften nur zag­haft Kritik geäußert wird, läßt sich der Unmut darüber von Rechtspopulisten wie Franz Schönhuber leicht in antiparlamentarische Bahnen lenken. Den Bür­ger(inne)n sollte durch Volksinitiative, Volksbegehren und Volksentscheid die Chance eröffnet werden, in wichtigen Sachfragen mitzubestimmen.

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