Ukraine

Rechtsradikale in der Ukraine

von Karl Grobe

Die radikale Rechte scheint in der ukrainischen Politik unwichtig geworden zu sein. Bei den Wahlen zur Werchowna Rada, dem Parlament, fielen die einschlägigen Parteien Swoboda (4,7 Prozent) und Rechter Sektor (1,8 Prozent) im Oktober vorigen Jahres glatt durch. Ein halbes Jahr davor hatten die beiden Spitzenleute Oleh Tjahnibok und Dmytro Jarosch als Präsidentschaftskandidatin noch schwächer abgeschnitten. Aber das täuscht. Traditionen und Vorurteile, Denkweisen und politische Meinungen ultrarechter Herkunft sind in manchen Regionen allgemein respektierter Bestandteil des politischen Bewusstseins. Von dort sickern sie ins allgemeine Bewusstsein.

Am 14. Oktober 2014 erließ Präsident Petro Poroschenko ein Dekret, das den 14. Oktober zum Tag der Verteidiger der Ukraine erklärt – anstelle des 23. Oktober, der in der unabhängigen Ukraine als Tag der ukrainischen Armee gefeiert wurde und auf Sowjet-Traditionen zurückging. Der 14.10. wurde auch von Rechtsextremisten als mythischer Gründungstag der UPA (1942) begangen. (1)

Zudem war er Gedenktag für Stepan Bandera, der am 15. Oktober 1959 im Münchner Exil ermordet wurde. Nach Bandera sind in der Westukraine zahllose Straßen benannt, unter den Denkmälern fällt eins am Lemberger Bahnhof – an der nach Bandera benannten Hauptstraße – durch Pomp und Größe auf. Verbreitet sind kleine Gedenksteine in den Städten Galiziens und Wolyniens, lokale „Märtyrer“ feiernd und unablässig mit Blumen, Kränzen und Gedenk-Schärpen verziert.

Bandera, die Aufstandsarmee UPA, die Nationalisten-Organisation OUN sind in der Westukraine Symbole der Nation: Sie haben zuerst gegen die polnischen Herren, dann ein wenig gegen die Nazi-Besatzer, schließlich lange gegen die Sowjetmacht gekämpft, in den Karpaten bis 1956. Während im Osten der Ukraine – der schon vor dem Hitler-Stalin-Pakt von 1939 Teil der UdSSR war – die Rote Armee als Befreier von den Nazis begrüßt wurde, kam sie den Galiziern, Podoliern und Wolyniern im vor 1939 polnischen Westen als neue Besatzungsmacht. Wer gegen sie aufstand, war ein Vorkämpfer der Nation. Wie eben Bandera.

Der Hamburger Historiker Frank Golczewski hat das Thema Anfang 2015 in einem „Spiegel“-Leserbrief folgendermaßen zurechtgerückt: Bandera „war Anfang der Dreißigerjahre Galizien-Führer der Organisation Ukrainischer Nationalisten (OUN), wurde wegen des Attentats auf den polnischen Innenminister zu Zuchthaus verurteilt, im September 1939 freigelassen und hielt sich bis 1941 in Deutschland und zeitweise in Krakau auf. In der Zeit spaltete er die OUN und führte ihren aktivistischen Teil, der auch die Bataillone ,Nachtigall’ und ,Roland’ aufstellte, die mit den Deutschen die Sowjetunion überfielen. Am 30. Juni 1941 rief sein Stellvertreter Jaroslaw Stezko in Lemberg einen ukrainischen Staat aus, woraufhin Bandera von den Deutschen festgenommen und in Sachsenhausen in Prominentenhaft festgesetzt wurde. Im September 1944 wurde er freigelassen, organisierte mit anderen das Ukrainische Nationalkomitee (in Deutschland) und leitete nach Kriegsende von München aus den politischen Teil einer weiteren Abspaltung der OUN. Auf ukrainischem Gebiet war er nach 1941 nie mehr.“

Golczewski hätte zweierlei hinzufügen können: „Nachtigall“ verübte noch vor der Ankunft der Wehrmacht und der SS in Lemberg ein scheußliches Pogrom gegen die jüdische Intelligenz und das jüdische Bürgertum; „Roland“ massakrierte die Juden und Polen Wolyniens, bis es der Nazi-Besatzung zu viel war und die Bandera-Leute in Haft kamen, bevor sie nützlicherweise wieder gegen die Rote Armee verwendet werden konnten, als die Wehrmacht auf dem Rückzug war.

Dass gerade in den Ortschaften, in denen Nazis und ukrainische Chauvinisten üble Massenvernichtung und -vertreibung betrieben haben, seit einigen Jahren die damaligen Täter als Helden geehrt werden, ist eine traurige Volte der Geschichte. Doch auf gerade diese historischen Figuren – aus der ukrainischen Geschichte lassen sie sich ja nicht entfernen – berufen sich die „Milizen“, die mangels regulärer Truppen beispielsweise die Hafenstadt Mariupol im Südosten verteidigen, was zur Aufwertung jenes politischen Sektors ebenso beiträgt wie die Aktivitäten – einschließlich Schießereien – von Rechtsextremisten beim Sturz des Janukowitsch-Regimes. Seit dem Maidan sieht man das von den Rechtsextremen okkupierte Symbol „Wolfsangel“ häufig, zum Beispiel in Mariupol.

Solchen Symbolen und Ideologien hingen bisher vor allem Ältere an; die jüngere Generation hat sie eher verspottet, und Gedenkstätten in Karpatenhöhlen (ehemalige UPA-Gefechtsstände) wurden als lokale Kuriosität wahrgenommen – und ausländischen BesucherInnen gern als solche präsentiert. Da aber die Poroschenko-Regierung ebenso wie ihre letzten Vorläufer keine nationale Identität stiftet, der Zusammenbruch des Sowjetkommunismus eine durch die Nostalgie Älterer nicht gefüllte ideologische Leerstelle hinterlassen hat, die „auf dem Maidan“ 2004 (und auch anfangs 2014) erfolglos bekämpfte Herrschaft der Oligarchen weiterbesteht und der ostukrainische Konflikt patriotische Emotionen schafft, hat das rechtsradikale Relikt unversehens wieder eine Zukunft.

Hier hat die Friedensbewegung eine Aufgabe. Es geht darum, über die historischen Verbrechen der alt-neuen Nationalhelden aufzuklären und die Akteure von damals auf den Platz in der ukrainischen Geschichte zu verweisen, auf den sie gehören. Die Wirkung der Symbole – Wolfsangel, Gedenk-steine, UPA-Museen – und der mündlichen Überlieferung dürfen wir keinesfalls unterschätzen. Da aufklärend zu wirken, soweit es uns möglich ist, ergibt sich im Übrigen aus der historischen Verantwortung. So haben die Stiftungen  und sonstigen NGOs, die in der Ukraine tätig sind, dort die-selbe Verantwortung und auch ein weites Betätigungsfeld.

 

Anmerkung
1 Die „Ukrainische Aufständische Armee“ (Ukrajinska Powstanska Armija; kurz UPA) war der militärische Flügel der von Stepan Bandera geführten „Organisation Ukrainischer Nationalisten“ (OUN). Sie wurde im 1942 gegründet und bestand bis ca. 1956. (Anm. d. Red.)

Ausgabe

Rubrik

Schwerpunkt

Themen

Journalist und Historiker, war Außenpolitik-Redakteur der Frankfurter Rundschau.