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Susanne Miller (Historikerin, Vorstand Arbeitsgemeinschaft ehemals verfolgter Sozialdemokraten, AVS)
Redebeträge der Auftaktekundgebungen: Süd (Landesbehördenhaus)
vonIch bin eingeladen worden, hier zu sprechen, weil ich in der Nazi-Zeit selber im Exil war, weil ich mit vielen meiner politischen und persönlichen Freundinnen und Freunde die Erfahrungen des Exils geteilt habe und weil ich mich als Historikerin auch mit jener Zeit beschäftige.
Wir erleben nun seit Monaten die Diskussion um Artikel 16 des Grundgesetzes. Innerhalb der SPD ist sie besonders lebhaft und die Meinungen prallen oft hart aufeinander. Das ist verständlich, weil die Menschen in der Asylfrage unterschiedliche Erfahrungen und Aufgaben haben. Verbreitet ist die Meinung, es sei schon unnötig viel Zeit aufgewendet worden auf die Frage: Änderung des Grundgesetzes oder nicht? Ich sehe das anders: Ich bin stolz darauf, daß meine Partei, die SPD, diese Frage so ernst nimmt. Und große Verbundenheit empfinde ich mit den jungen Menschen, die sich so leidenschaftlich für Grundsätze der Menschlichkeit engagieren.
Aus den Erfahrungen einer Zeit der Unmenschlichkeit wurden Konsequenzen gezogen, als das Grundgesetz der Bundesrepublik Deutschland entstand. Eine dieser Konsequenzen war sein Satz: "Politisch Verfolgte genießen Asylrecht". Dieser Satz zeigt an, daß die Bundesrepublik Deutschland einen Weg gehen will und geht, der eine Wiederholung der Schrecken der Vergangenheit ausschließt. Nicht die Identität einer Partei oder einer gesellschaftlichen Gruppe signalisiert der Artikel 16 des Grundgesetzes - er signalisiert die Identität der Bundesrepublik selber. Er ist ein wichtiger integraler Teil des Grundgesetzes. Und dieses Grundgesetz verpflichtet den Staat und seine Bürger zur Achtung der Menschenrechte. Darum muß der Satz erhalten bleiben: "Politisch Verfolgte genießen Asylrecht".
Willy Brandt, Heinz Kühn, Max Brauer, Wilhelm Hoegner und viele andere, die den neuen deutschen Staat geschaffen und unsere Demokratie geformt haben, konnten die Nazi-Zeit überleben, weil sie im Ausland Asyl fanden. Aber Hunderttausende Verfolgte haben kein Asyl gefunden, haben die Nazi-Zeit nicht überlebt, sind gequält, gefoltert und grauenvoll ermordet worden. Wenn gefragt wird, warum Deutschland in der Asylfrage eine besondere Verantwortung habe, kann die Antwort nur sein, weil es eine Vergangenheit hat, die es zu dieser Verantwortung verpflichtet.
Zuweilen wird auf die großen Traditionen der westlichen Demokratien hingewiesen. Aber diese Traditionen versagten in der Asylfrage, als sie sich hätten bewähren sollen. Die Nachrichten von den Gestapokellern, den Konzentrationslagern, den Todesurteilen veranlasste die meisten Staaten nicht, Verfolgte aufzunehmen und ihnen ein erträgliches Leben zu ermöglichen. Als sie sogenannte Reichskristallnacht zeigte, was mit den Juden im Nazi-Reich geschieht - es war das Vorzeichen für Auschwitz-, selbst dann öffneten sich die Tore der freien Welt höchstens einen Spaltbreit für sie. Ich erinnere daran nicht, um anzuklagen, sondern um darauf hinzuweisen, daß wir uns nicht nach vermeintlichen Modellen richten dürfen. Aus eigener Einsicht und aus Bereitschaft zu humanem Verhalten muß die Bundesrepublik das individuelle Recht politisch Verfolgter auf Asyl unangetastet erhalten.
Für die meisten Menschen ist es ein bitterer Entschluss, ihre Heimat zu verlassen, und ihr Leben in der Fremde ist oft sehr schwer. Es kann erleichtert werden, wenn zur materiellen Hilfe menschliches Verständnis und menschliche Wärme hinzukommen. Ich selber habe das mitunter im Exil erfahren und denke dankbar daran. Daß hier ein großer Teil der Flüchtlinge genau das Gegenteil erlebt, physisch gefährdet und von Hass umgeben ist, sollte uns alle alarmieren und tätig werden lassen.
Schluss mit der Gleichgültigkeit!