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Täuschung der Betroffenen:
Regierungsfraktionen verhindern Rehabilitierung von Opfern der NS-Militärjustiz
vonIn der 11. Wahlperiode des Bundestages hatte eine parlamentarische Initiative der GRÜNEN keinen Erfolg, die die Rehabilitierung und Entschädigung der Opfer der NS-Militärjustiz erreichen wollte. Wenigstens gelang es aber, daß alle Parteien beschlossen, das Anliegen in der 12. Wahlperiode noch einmal vertiefter zu behandeln - kurioserweise im Zusammenhang mit der Aufarbeitung des Unrechts unter der DDR-Herrschaft. Nach anderthalb Jahren gelang es immerhin, daß Verurteilungen der DDR-Justiz wegen Kriegsdienstverweigerung und Wehrdienstentziehung (nicht aber der Fahnenflucht) grundsätzlich als politische Verfolgung gewertet werden, die zu einer Rehabilitierung und Entschädigung berechtigen. Die Frage war nun, ob der Bundestag endlich auch zur Rehabilitierung der von der NS-Militärjustiz Verurteilten bereit war.
Politischen Rückenwind bekam die Angelegenheit 1991 überraschend durch ein Urteil des Bundessozialgerichts (BSG), das erstmals die Todesurteile ab 1942 durchgängig als NS-Unrecht bewertete. Beim Versorgungsrecht sollten - dies war ein gewaltiger Durchbruch - nicht allein "ehrenwerte Widerstandskämpfer" leistungsberechtigt sein, sondern selbst sog. Feiglinge oder gar unpolitische Menschen, die Opfer der NS-Militärjustiz geworden waren. Es oblag dem BSG aber weder, die Urteile selbst aufzuheben, noch einen relevanten Durchbruch bei der Entschädigung zu normieren: für beide Bereiche ist höchstinstanzlich der Bundesgerichtshof zuständig, der bisher für eine restriktive Rechtsprechung gesorgt hatte. Trotz der neuen Rechtsprechung des BSG für den Versorgungsbereich, blieb es bei den konservativen Bastionen in den Bundesministerien, die für die Rehabilitierung (Justizministerium) und Entschädigung (Finanzministerium) fachlich zuständig waren.
Mit dem genannten BSG-Urteil in der Tasche erreichte es die "Bundesvereinigung Opfer der NS-Militärjustiz" zunächst, daß die SPD erstmals einen eigenständigen parlamentarischen Antrag vorbereitete. Sie erhoffte sich, daß der Antrag von allen Fraktionen und Gruppen im Bundestag gemeinsam eingebracht werden konnte. Er hatte zum Ziel, zwar nicht alle Urteile der NS-Militärjustiz, aber doch die, die gegen Kriegsdienstverweigerer, Deserteure und "Wehrkraftzersetzer" gefällt wurden, als NS-Unrechtsurteile per Bundestagsbeschluss aufheben zu lassen. Eher bescheiden war der Formulierungsvorschlag für den Entschädigungsbereich: keine gesetzliche Änderung wollte die SPD, aber eine Aufforderung an die Regierung, die bisherigen entschädigungsrechtlichen Nachteile für die Betroffenen auszugleichen.
Der Versuch einer interfraktionellen Initiative wurde von den herrschenden Kreisen in der CDU/CSU und FDP abgeblockt, nur das Bündnis 90/DIE GRÜNEN erklärte sich bereit. Um die erhoffte Zustimmung zu ihrem Entwurf im Bundestag nicht zu gefährden, entschloss sich die SPD, den Antrag im Dezember 1993 allein einzubringen (BT-Drucksache 12/6220). Dem folgte ein Antrag des Bündnis 90/DIE GRÜNEN (BT-Drucksache 12/6418). Gegenüber dem SPD-Antrag forderte dieser zusätzlich, daß auch andere Urteile der NS-Militärjustiz, soweit sie mit rechtsstaatlichen Grundsätzen unvereinbar waren, aufgehoben werden sollten. Ferner sollten auch vergleichbare NS-Unrechtsmaßnahmen (wie etwa die Maßnahmen im Rahmen der Militärpsychiatrie) unter die Rehabilitierungsregelung fallen. Bei der Versorgung, Entschädigung und beim Rentenschadensausgleich wurde gefordert, daß den Betroffenen, soweit nötig durch gesetzliche Neuregelungen, alle Leistungen zuteilwerden sollten, die ansonsten regulär anerkannten Opfern zustehen.
Ab Januar 1994 begann jedoch die Verzögerungsstrategie von CDU/CSU und FDP. Lehnte man eine Plenardebatte über den Antrag des Bündnis 90/DIE GRÜNEN monatelang mit der Begründung ab, man wolle ihn zusammen mit einem eigenen Antrag debattieren (der jedoch nie vorgelegt wurde). Mit der gleichen Begründung wurde die Behandlung des SPD-Antrags in den Ausschüssen herausgezögert. Erst ab Ende Mai 1993 wurde auf Ausschussebene von dem FDP-Abgeordneten Lüder ein eigener Entwurf eingebracht (der dem SPD-Antrag zumindest nahekam), kurz darauf aus Fraktionsdisziplin jedoch wieder zurückgezogen. Kurz vor der Sommerpause zogen die Regierungsparteien dann in den Ausschüssen ihren Vorschlag aus der Tasche und drückten ihn - gegen den Widerstand von SPD, Bündnis 90/DIE GRÜNEN und PDS - durch:
"1. Der Deutsche Bundestag stellt fest, daß die Gerichte der Militärjustiz - durch den NS-Staat als Terrorinstrument der nationalsozialistischen Willkürherrschaft missbraucht - Unrechtsurteile gefällt haben. Diesen Urteilen kommt deshalb nach Überzeugung des Deutschen Bundestages keine Rechtswirkung zu.
2. Den Opfern derartiger Unrechtsurteile und ihren Familien bezeugt der Deutsche Bundestag Achtung und Mitgefühl.
3. Der Deutsche Bundestag fordert Bundesregierung und zuständige Behörden auf sicherzustellen, daß bei der Anwendung der einschlägigen Wiedergutmachungsvorschriften auf diesen Personenkreis eine dem jeweiligen Einzelfall gerecht werdende Entscheidung getroffen werden kann."
Der Nichtjurist ist geneigt, dies als die gewünschte Rehabilitierung zu begrüßen. Weit gefehlt. Nicht nur, daß die Militärjustiz selbst reingewaschen wird (sie wurde nur "missbraucht"). Die Entschließung bedeutet gerade nicht, daß die Urteile der Militärjustiz grundsätzlich NS-Unrechtsurteile waren. Sie bedeutet nur, daß die Militärjustiz auch einige Unrechtsurteile gefällt hat, denen dann - eine Selbstverständlichkeit - keine Rechtswirkung zukommt. (Dies kann man aber über jedes deutsche rechtsstaatliche Nachkriegsgericht sagen, denn jedes hat schon einmal ein Fehlurteil gefällt, das von einer höheren Instanz wieder aufgehoben wurde und dem also keine Rechtswirkung zukam). Die Urteile der Militärjustiz werden vom Bundestag auch nicht aufgehoben, sondern es obliegt weiterhin den Betroffenen, vor Gericht den Canossagang anzutreten. Und bezüglich der Entschädigung sind die Behörden zu einer "Entscheidung, die dem Einzelfall gerecht werden kann" ohnehin rechtlich verpflichtet.
Damit bleiben die annähernd 50.000 Todesurteile der NS-Militärjustiz als rechtsstaatliche Urteile bestehen. Die Opfer und ihre Hinterbliebenen erhalten keine gesetzesförmige Entschädigung. Sie können nur in strengen Ausnahmefällen Härteleistungen ohne Rechtsanspruch erhalten.
Trotz jahrelanger Gespräche mit Abgeordneten der CDU/CSU und FDP, bei denen den Betroffenen gegenüber Aufgeschlossenheit für ihr Anliegen gezeigt wurde, haben sich nun offenbar die rechten Strömungen durchgesetzt , denen in einem verbrecherischen Angriffskrieg offenbar die Treue zur Wehrmacht wichtiger ist als eine Würdigung all derer, die sich dem NS-Staat widersetzt oder entzogen haben.